Wahre Liebe ist Mitleid

Abseits politischer Verordnungen, Drohungen oder Versprechungen hat sich ein Teil der ÖsterreicherInnen im Zuge der aktuellen Flüchtlingsströme ein Herz gefasst und geholfen. Einfach so. Sie haben mit Privatautos Menschen über die Grenze gebracht, Flüchtlinge mit dem Notwendigsten versorgt und eine natürliche Herzenswärme gelebt, während andere noch darüber gerätselt haben, ob der Anspruch auf Zuwendung gerechtfertigt ist.

Fragen wir denn in der Liebe, ob sie gerechtfertigt ist und ob die betreffende Person sie sich auch wirklich verdient hat? Ist denn Liebe nichts als Kalkül?

Arthur Schopenhauer meinte, wir mögen einander doch nicht noch mehr Leid zufügen als es uns durch unser Schicksal ohnehin schon bestimmt ist. Ethisch handeln hieße, die Hölle, in der man gemeinsam steckt, nicht noch schlimmer zu machen. „Alle wahre und reine Liebe ist Mitleid[1], und jede Liebe, die nicht Mitleid ist, ist Selbstsucht.“

Für unser Mitgefühl braucht es weder Belohnung noch Bestrafung. Wir beziehen den Lohn für die mitfühlende Tat aus ihr selbst. Da nämlich unser eigenes Selbst in allem lebt, fühlt sich das Herz durch jeden Akt des Mitgefühls erweitert, ebenso wie durch jeden Akt des Egoismus zusammengezogen.

Wenn wir helfen, helfen wir daher nicht den anderen, sonst in erster Linie uns selbst. Ein buddhistischer Mönch hat sich einmal für eine Zuwendung bei mir bedankt und gemeint, es möge mir Freude bringen und vielleicht könne ich mich einmal dafür bedanken, dass ich heute jemandem etwas geben durfte.

Wenn sich das Herz aus Angst zusammenzieht, dann wählen wir für unser Leben die Enge, das Unwohlsein, den Hass. Ganz im Wortsinn, denn man kann diesem Gefühl der Angst und Enge in der politischen Wahlzelle seine Stimme geben. Viele Menschen tun das, wie zuletzt das Wahlergebnis in Oberösterreich zeigt. Das, was man wählt, bekommt man auch im Leben.

So kann man nun einerseits bestürzt sein über eine politische Stimmung und sich andererseits freuen über eine natürliche Solidarität so vieler. Beides ist gleichzeitig vorhanden – die Angst und die Liebe, nur drückt sich die Liebe halt noch nicht in Wahlergebnissen aus, aber in Taten des Alltags. Die europäischen Gesellschaften sind in einem Prozess der Häutung, wo sie – wie eine Schlange – die zu eng gewordene Haut abwerfen und wachsen. Wachstum ist immer von Wachstumsschmerzen begleitet, wie man von Kindern weiß. Es ist unangenehm, aber naturgegeben, und man kann „das Gras auch nicht ziehen, damit es wächst“.

Wir könnten uns aber die Zeit damit vertreiben, die Liebe zu üben.



[1] Schopenhauer hat bewusst das Wort „Mitleid“ gewählt, da er die Welt als von Leid getragen verstanden hat.

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