Wir müssen ja verrückt sein, die nicht arbeiten zu lassen
Kategorie: Allgemein, Titel 2 | Kommentare deaktiviert für Wir müssen ja verrückt sein, die nicht arbeiten zu lassenBirgit Gerstorfer, SPÖ-Chefin in Oberösterreich und Landesrätin, über die Notwendigkeit von Arbeit für Asylwerber und den Zustand des Arbeitsmarktes. Das Gespräch stammt aus dem April 2016, als Gerstorfer noch AMS-Chefin war.
Gerstorfer: Ich bin gleich bei Ihnen. Ich schreibe gerade eine Petition an die Bundesregierung, weil ich unbedingt möchte, dass Asylwerber bei uns arbeiten dürfen. Wissen Sie, wir haben in Oberösterreich gerade 12.800 Flüchtlinge, die noch keinen Bescheid haben. Davon sind 3.800 Kinder unter 15. Nur 200 über 60. Alle anderen sind im erwerbsfähigen Alter. Knapp 6000 Männer sind irgendwo auf das Land verteilt und dort kaum in der Lage zu pendeln. Aber sie könnten beim Schlosser oder Tischler oder Wirt ums Eck was tun. Wir bekommen ja Anfragen von solchen lokalen Betrieben. Leute in Grundversorgung sind geografisch gefesselt. In dem Moment, wo sie den Asylbescheid bekommen, ziehen die alle natürlich in den Zentralraum. Wenn wir es schaffen, zumindest 20% der Männer, also 1.200 Personen, unterzubringen, dann sparen wir uns im Jahr 9,6 Mio Euro Grundversorgung und erzielen stattdessen 12 Mio Euro Einnahmen aus der Sozialversicherung. Wir müssen ja verrückt sein, die nicht arbeiten zu lassen.
Ja, woher kommen denn diese Restriktionen?
Ich bin seit 27 Jahren hier im AMS und habe in der Ausländerbeschäftigung begonnen. Ich habe das seit den 90er Jahren miterleben dürfen. Damals konnte man ohne Aufenthaltstitel eine Beschäftigungsbewilligung bekommen. Das hat natürlich auch zu Missbrauch geführt man hat das dann gekoppelt: nur die Person darf in Österreich arbeiten, die sich hier auch aufhalten darf. So weit, so logisch. Wenn man also einen Asylantrag gestellt hat, war man berchtigt, sich in Österreich aufzuhalten und somit auch arbeitsberechtigt. Da gab’s dann aus dem Kosovo einen Asyltourismus. Die Leute sind gekommen, haben Asylanträge gestellt, haben eine Arbeit gefunden, den Asylantrag zurückgezogen und aufgrund der Beschäftigung hier dann den Aufenthaltstitel bekommen. Das hat man dann zu unterbinden versucht, indem man die Arbeitsbewilligung erst nach sechs Monaten erteilt hat. Das hat uns viel Geld gekostet, weil das einzige, was sich geändert hat, der Umstand war, dass wir die Leute zuerst mal sechs Monate lang in der Grundversorgung hatten. Das hat man dann auch geändert und Asylwerber gar nicht mehr arbeiten lassen. Nur in den Saisonbranchen wie der Gastronomie und der Landwirtschaft , sonst nicht. Das hat man dann auch geändert und sie nur mehr in Saisonkontingenten bewilligbar gemacht. Das war 2004. Das gilt bis heute.
Und was passiert, wenn man das jetzt ändert?
Nichts wird passieren. Man könnte sich z.B. konzentrieren auf jene Nationalitäten mit hoher Anerkennungswahrscheinlichkeit. Wenn alle, die jetzt im Asylwerbestatus sind, arbeitsberechtigt wären, könnten wir sie ohnehin nur dort bewilligen, wo wir keine Österreicher finden. Das war schon immer so. Gastronomie, Landwirtschaft, Fleischerei, Baunebengewerbe, … solche Jobs! Diese Jobs würden die alle liebend gerne nehmen, dürfen aber nicht.
Jetzt kommen aber Leute mit hoher Qualitfikation.
Aber sie sind der Sprache noch nicht ausreichend mächtig. Meine Freundin Lubica war Bilanzbuchhalterin und hat hier einen Job als Reinigungskraft angenommen. Erst nach langer Zeit hat sie eine Ausbildung zur Kindergartenhelferin gemacht und ist jetzt vom Magistrat Linz angestellt worden. Sie spricht jetzt auch perfekt Deutsch.
Wir brauchen aber durchaus Leute mit hoher Qualifikation. Zumindest höre ich das.
Es gibt so viele Lippenbekenntnisse. In Politik wie Unternehmertum.
Warum nehmen uns denn die Ausländer keine Arbeitsplätze weg, wie ja am Stammtisch so gerne behauptet wird?
Zum einen, weil sie in Betätigungsfeldern zu arbeiten beginnen, wo es keinen Wettbewerb gibt. Wenn im Salzkammergut 200 Küchenhilfen gesucht werden und es vor Ort nur drei Menschen gibt, die das machen wollen, dann nimmt man niemandem etwas weg. Und zum zweiten ist das Ausländerbeschäftigungsgesetz in Wahrheit ohnehin ein Inländerschutzgesetz. Es gibt einen Paragraphen, der fragt, ob der Arbeitsmarkt eine Anstellung des Asylwerbers zulässt und es im gesamtwirtschaftlichen interesse ist. Eine Firma meldet einen Arbeitsplatz und wir prüfen, ob es für diese Stelle nicht eine inländische oder bereits besser integrierte Arbeitskraft gibt. Nur wenn das nicht zutrifft, dann wird der Job dem Asylwerber gegeben. Somit ist gesetzlich überprüft, dass niemand jemandem etwas wegnimmt. Das ist keine Grobbprüfung, sondern wird von Fall zu Fall durchgeführt. Also, kein Grund zur Panik.
Wie sieht denn der Arbeitsmarkt generell aus? Bin ich zum Beispiel vermittelbar? Ich bin 53 und habe eine sehr wechselhaftes Leben hinter mir.
Wenn man sich Ihre Brille aufsetzt, wird’s ein langer Weg am heutigen Arbeitsmarkt. Sie wollen passable Entlohnung, eine sinnstiftende Tätigkeit, eben weiterhin ein wechselhaftes Leben. Da gibt der Arbeitsmarkt vermutlich nur punktuell attraktive Angebot her. Wenn man die rechtliche Brille aufsetzt, geht es nur um die Zumutbarkeit. In der Notstandshilfe (bei Ihnen vermutlich nach einem Jahr) fallen alle Schutzbestimmungen weg. Da kann ich Sie auch als Landarbeiter oder Bauarbeiter vermitteln.
Das geht für den Bauherrn aber nicht gut aus. Gibt’s eine Alternative? Es macht ja auch keinen Sinn, Menschen in völlig unpassende Jobs zu vermitteln.
Da haben Sie natürlich Recht. Das ist die Diskrepanz zwischen Realitäten am Arbeitsmarkt und den rechtlichen Grundlagen. Netzwerke spielen eine große Rolle. Ich kann nur raten, seine eigenen, individuellen Netzwerke zu bedienen. Wir versuchen auch bei uns in der Vermittlung, auf gegenseitige Hilfe der Arbeitssuchenden zu setzen.
Ich denke, unser lineares Verständnis von einem Job funktioniert nicht mehr.
Das ist wohl wahr. Jeder betet die Idealvorstellung von einer klassischen Karriere herunter. Das sieht so aus, dass man ein sehr lineares Berufsbild hat und vielleicht zwei Mal im Leben den Job wechselt. Das stimmt mit der Realität nicht überein. Wir haben in Oberösterreich eine durchschnittliche Veränderung alle vier Jahre. Jeder wechselt im Schnitt alle vier Jahre seinen Job. Alles andere sind auch gewerkschaftliche Idealbilder. Wir haben die Babyboomer-Generation in Entscheidungsfunktionen sitzen und die propagieren immer noch diese Idealbilder.
Die Meinung der jungen Leute ist auch, der Staat könne sich eine Pension eh nicht mehr leisten, also wozu etwas einzahlen.
Mich haben die damals, als ich jung war, nirgendwo genommen, obwohl ich eine sehr gute Schülerin war. „Zuerst die Linzer, dann die vom Land“, hat es geheißen. Dann musste ich sogar in der HAK Eferding eine Aufnahmeprüfung machen. Wir hatten Wettbewerb in der eigenen Generation. Bei der Arbeitssuche war es dann genau so. Heute schauen wir hingegen, dass wir die Klassen überhaupt vollbekommen. Wir suggerieren den jungen Menschen heute, dass der Generationenvertrag nicht funktioniert. Die haben kein Gefühl von Sicherheit.
Ja, können wir den Generationenvertrag denn einhalten?
Wir müssen. Wenn wir uns 1,8 Mrd für die Hypo Alpe Adria leisten können, wird’s ja wohl kein Problem sein.
Kann man den jungen Leuten überhaupt eine Aussage über den Arbeitsmarkt geben?
Wer hätte sich vor 20 Jahren gedacht, dass es sowas wie ein Nagelstudio geben wird. Es entsteht ja laufend Neues. Zum Beispiel ein neuer Bereich namens Wissensarbeit. Wir haben noch nie viele Coaches und Berater und Trainer und Consultants gehabt.
Wie schwer ist es für junge Menschen, einen Job zu finden?
Es ist leicht. Die Wirtschaft sucht Junge. Wir Babyboomer, Sie und ich, wir gehen irgendwann schlagartig vom Arbeitsmarkt und hinterlassen Super-Jobs, die dann hoffentlich nicht so weitergeführt werden wie bisher, weil die neuen Führungskräfte eine andere Führungskultur haben und sich an die Werte ihrer Generation anpassen.