Wie es ist, wenn man tot ist
Kategorie: Allgemein, Titel 2 | Kommentare deaktiviert für Wie es ist, wenn man tot istRossitza Jacobs ist Juristin und Vermögensverwalterin in Amsterdam. Eigentlich sollte sie tot sein. Aber sie hat sich geweigert, an den dramatischen Folgen eines Autounfalls zu sterben. Stattdessen hat sie sich mit ihrer Seele verbunden.
Wie fühlt es sich an, wenn man tot ist?
Leicht und frei. Man ist außerhalb des Körpers.
Dieses Außerhalb-Sein ist wahrnehmbar?
Aber ja, und es gibt keinen Schmerz, weil es keinen Körper gibt.
Aber es gibt offenbar Bewusstsein.
Ich nenne es mal: die Seele.
Und wie lange gibt es dieses seelische Bewusstsein? Ist es von Dauer, oder nur ein kurzer Zustand?
Wenn man außerhalb des Körpers ist, gibt es Raum und Zeit nicht. Man bewegt sich in einem sanften Flug.
Wenn es so etwas wie Empfinden nicht gibt, dann gibt es wohl auch kein Denken.
Nein, bloß ein Sein.
Wie war das, als du deinen Körper gesehen hast?
Ich wollte ursprünglich nicht zurück, denn das hieß ja Schmerz. Ich habe meine Mutter und meinen Bruder und meinen Mann gesehen, wie sie geweint haben und sich Sorgen gemacht haben. Irgendwann dachte ich mir: ich kann Ihnen das jetzt nicht antun.
Wie bist du denn gestorben?
Am 25. März 2008 hatte ich einen wichtigen Termin. Ich habe mich sehr beeilt und bin aus einer Kurve geflogen und mit dem Auto in einem Kanal gelandet. Dabei habe ich mir das Genick gebrochen. Ich war unterkühlt auf 30 Grad. Vom Unfall weiß ich nichts mehr.
Dritter Halswirbel?
Nein, der zweite; er war dreifach gebrochen. Man hat mich in das Spital von Utrecht gebracht. Dort hieß es: Lebenserwartung von ca. 6 Stunden. Laut Bericht der Ärzte hatte ich ja auch acht Gehirnblutungen, eine davon im präfrontalen Cortex.
Du warst also mehrfach tot. Wie kommt es, dass du mir jetzt gegenüber sitzt und darüber reden kannst?
Ich habe keinen einzigen Tag an die Prognosen der Ärzte gelaubt.
Die erste Prognose war also: 6 Stunden Lebenserwartung. Daran hast du dich nicht gehalten.
Nein, habe ich nicht. Ich bin nach zwei Tagen aus dem Koma erwacht. Dann kam die nächste ärztliche Prophezeiung. Beim Bruch des zweiten Halswirbels gibt es keine Gehirnimpulse mehr, die zum Körper kommen. Lebenserwartung drei Monate. Die Lungen hören nach ca. drei Monaten zum Atmen auf. Ich war über drei Wochen auf der Intensivstation. Das ist sehr ungewöhnlich, denn entweder stirbt der Patient innerhalb von 48 Stunden oder er kann auf „midcare“ verlegt werden. Drei Wochen Intensivstation ist aus ärztlicher Sicht eine Ewigkeit. Ich bin drei Wochen lang weder gestorben, noch genesen.
Was war denn deine eigene Prognose?
In der Früh gab’s immer Visite. Die haben sich Daten angeschaut und gefragt, ob ich Wünsche hätte. Ja, sagte ich, ich will nach Hause, da mir nichts fehlt. Weil rund um mich liegen nur Menschen im Sterben. Das inspiriert mich nicht. Ich will nach Hause. Später haben mir die Ärzte gesagt, wie lustig das war. Weil von allen Leuten auf der Intensivstation war ich am schlimmsten dran.
Was hast du gespürt? Andere Leute resignieren. Es gibt ja so viele Möglichkeiten, damit umzugehen.
Man wird sich bewusst, dass die Teilung zwischen Ego, dem Ich und der Seele nur durch die Erziehung entsteht. Das Ego braucht die besten Ärzte und Privatspitäler. Die Seele ist eher ein Gefühl. Man hat mich oft gefragt: Hast du Stimmen gehört? Nein, habe ich nicht. Es ist wie eine innere Klarheit. Jede einzelne Zelle meines Körpers hat etwas gespürt. Die Seele ist einfach. Es war keine Stimme, es war Gewissheit. Die Gewissheit, dass ich komplett gesund werde, entgegen allen ärztlichen Prognosen.
Woher kam die Gewissheit?
Die Gewissheit hat keinen Ort. Jede Zelle weiß.
Wie sind denn die Ärzte mit dir umgegangen?
Mir wurde gesagt, ich muss das langsam angehen. Ich muss mir bewusst werden, dass bestimmte Dinge nicht mehr gehen werden. Ich muss lernen, mit meinen Behinderungen zu leben. Das wurde mir jeden Tag mitgeteilt. Ich hatte irgendwann keine Lust mehr, mir diesen Quatsch anzuhören. Also habe ich begonnen, alles, was in Griffweite war, auf die Ärzte zu schmeißen. Glasflaschen und so. Ich wollte einfach, dass die Ärzte aus dem Zimmer gehen und mich mit dem Blödsinn verschonen. Ich habe gesagt: Woher wollt Ihr Euer Wissen nehmen? Die einzige, die weiß, wie weit sie wieder hergestellt wird, bin ich. Und ich weiß es. Ihr könnt gerne Diagnosen stellen. Das ist okay. Das ist Euer Fachgebiet. Aber Prognosen erstellen braucht ihr nicht. Ich habe bereits eine Entscheidung getroffen. Ich werde wieder gesund. Mehr noch als das: ich werde besser als vorher.
Das Erstaunliche ist: Du konntest Flaschen auf Ärzte werfen. Alleine das war ja schon entgegen aller Prognosen.
Stimmt. Ich sollte eigentlich tot sein. Oder zumindest vom Hals abwärts gelähmt. Die haben dann nur mehr Plastikgeschirr auf mein Nachtkästchen gestellt. Das tut nicht so weh. Ich bin zu einer ziemlich aggressiven Patientin geworden.
Wächst ein gebrochener Wirbel eigentlich zusammen?
Muss wohl so sein. Ich habe einen Haloframe getragen. Das ist eine teure Metallkonstruktion, um den Kopf zu stabilisieren. Das gibt’s nur in der westlichen Welt . Wer sich östlich von Wien den Hals bricht, stirbt. Da gibt’s das nicht.
Würdest du sagen, dass es eine Gewissheit gibt, die mächtiger ist als Materie?
Das Ego macht uns zu guten Konsumenten und zu guten Patienten. Wir kaufen Breitling und Rolls Royce und sterben, wenn man es uns sagt. Sehr anständig. Wir werden erzogen dazu, auf das Ego aufzupassen, anstatt auf unser Ich. In dieser Situation zwischen Leben und Tod – da habe ich wieder Kontakt zu meiner Seele bekommen. Ich habe ausschließlich meiner Seele das Kommando übergbeben. Ich habe mich geweigert, Medikamente zu nehmen. Die Krankenversicherung hat mir geschrieben, dass ich nicht aktiv an meiner Genesung mitwirke und dass sie deshalb die Versicherungsleistung einstellen werden. Wenn man nicht brav sterben will, dann bekommt man kein Geld mehr. Na gut, habe ich also die Pulver im WC herunter gespült. Tut mir leid für die Fische.
Du bist Beteiligungsverwalterin und Juristin in den Niederlanden. Das ist ein schneller, tougher Beruf. Hast du vor dem Unfall auf deine Seele gehört?
Nein.
Seither schon?
Ja. Ich höre jetzt auf mein Inneres und achte auf Zeichen. Das ist sehr wohltuend. Ich bin mehr mit mir verbunden. Ich war ja sehr extrem nicht mehr bei mir und ich habe die Lektion verstanden. Eigentlich war ich ja tot, so wie ich gelebt habe. Der Unfall war eine Schlüsselerfahrung. Heute bin ich dankbar. Ich war immer beim übernächsten Projekt. Meine Sekräterin ist neben mir gestanden und musste Sachen vier, fünf Mal wiederholen, weil ich sie nicht gehört habe. Ich war immer woanders.
Der Tod begleitet dich also.
Weißt du, ich hatte eine Dioagnose, dass mein Hirn zu sehr beschädigt ist und ich geistig behindert bin. Ich musste echt aufpassen, nicht entmündgt zu werden. Ich bin nicht real gestorben, aber der soziale Tod war greifbar. Meine Feinmotorik war im Eimer. Genauso mein Kurzzeitgedächtnis. Ich habe halt selbst Übungen entworfen, um mich weiter zu bringen.
Das hat gewirkt?
Und wie. Es sprechen mich jetzt Leute an, die ähnliche Probleme haben. Ein Bekannter ist vom Pferd gefallen und hat kein Kurzzeitgedächtnis mehr. Kannst du helfen? Ja, kann ich. Ich weiß meine Übungen immer noch.
Möchtest du sie aufschreiben und weitergeben?
Ja, das mache ich. Ich möchte ein Buch schreiben. Aber dazu müsste ich in den Keller und die Karteikarten aus dem Krankenhaus hervor holen. Ich muss mich dem noch einmal stellen.
Was ist deine Botschaft?
Der einzige, der weiß was gut für dich ist, bist du selbst. Ich will den Menschen Kraft geben, sich zu behaupten. Wenn wir mit unserer Seele verbunden sind, können wir Wunder bewirken. Ich sitze hier, entgegen aller Prognosen. Halswirbel gebrochen, Hirnblutungen, Lunge kaputt. Auf meinen Karteikarten stehen ein Dutzend Todesursachen. Die einzige Prognose, die gehalten hat, war meine eigene: ich bin nämlich tatsächlich „besser“ geworden.
Ich nehme an, du fürchtest den Tod nicht mehr.
Der Tod, so wie ich ihn erlebt habe, ist nichts anderes als der Übergang in eine andere Dimension. Das Leben hier auf Erden ist ein kleines Intermezzo. Aber wir sollten es gut nutzen, weil wir hier viel bewegen können.