Männer

Harald Koisser über das Patriarchat, das leider keines ist, die Nöte der Männer und den gescheiterten Versuch ein Seminar mit dem Titel „Der gute Liebhaber“ zu lancieren.

Das Patriarchat fährt in eine Sackgasse. Die typisch männlichen Ideen vom Machbaren, ewigen Wachstum, Leistungsprinzip, heroischen Fortschritt mit anschließendem Ritt in den Sonnenuntergang (falls man völlig ausgebrannt überhaupt noch reiten kann) haben ihren Chic verloren. Weil sie sich als schlicht lebensuntaugliche Prinzipien erwiesen haben.

Wer das Leben als unendlichen Vergleichscontest und Krieg von jeder gegen jedem inszeniert, muss ein wahnsinniger Regisseur sein. Und dieser Regisseur ist nicht Gott. Der ist ja auch erst männlich geworden durch die Männer. Wer das Sagen hat, hat eben auch die Deutungshoheit. Aber mal ehrlich: zwei Männer und eine Taube! Ich habe das schon als Junge eigenartig gefunden.

Dieser Regisseur (und das habe ich bewusst nicht gegendert) inszeniert seit kurzer Zeit (kurz im Vergleich zum Bestehen des Menschengeschlechts) dieses Leben und die Schauspieler*innen haben es echt satt, darin mitzuspielen.

Wider das männliche Flagellantentum

Das macht uns Männern  Not, weil es eben das Patriarchat ist, dessen Ausläufer wir jetzt noch mitbekommen, das dieses Desaster herbeigeführt hat. Wir übernehmen geschlechtsbedingt Verantwortung. Oder sie wird uns zugeworfen. Jedenfalls spüren wir: Männer haben das gemacht. Ich bin ein Mann. Unangenehm. Wie gehe ich damit um?

Bei einer kürzlich abgehaltenen Diskussion hat sich ein Mann erhoben und in den Saal geschmettert: „Ich kann Euch nur sagen: Hört nicht auf uns Männer!“ Diesem Aufruf sind alle gerne gefolgt und haben ignoriert, was er gesagt hat. Aber es hat mir zu denken gegeben. Das kann ja wohl auch nicht die Lösung sein: ein Leben als Flagellant. Der Mann in permanenter Selbstgeißelung.

Hätten wir nur ein Patriarchat

Patriarchat? Dass ich nicht lache. Der Patriarch ist der pater familias, so wie Abraham oder Isaac. Es ist ein ehrenvoller Titel für einen weisen Mann, der eine Sippe führt. Robert Moore und Douglas Gilette verneinen in ihrem Buch „König, Krieger, Magier, Liebhaber“, dass wir überhaupt ein Patriarchat haben. Eher ein Puerarchat (von puer, lat.; Knabe), eine Herrschaft unmündiger junger Männer. Knaben, die nie initiiert worden sind und nie das wahre Mannsein erfahren haben. Männer, die Hofschanzen sind und sich als Könige gebärden. Das hieße dann wohl eine Herrschaft des Infantilismus. Hätten wir ein wirkliches Patriarchat, also eine Kultur weiser Männlichkeit, wäre uns deutlich wohler.

Ich habe mich auf die Suche nach dem Mannsein gemacht und finde, dass das keine große, magische Angelegenheit ist. Es braucht dazu nicht gleich Ritterspiele und nächtelangen Meditationen in einsamen Wäldern. Bei aller Freude an Schwitzhütten und Vision Quests, aber können wir bitte einfach einmal miteinander – reden!

Die Tafelrunde

Ich habe begonnen, etwas denkbar Simples zu tun. Ich habe begonnen, Männer zu „Tafelrunden“ einzuladen. Eine Tafelrunde für Männer. Keine große Sache. Eine kleine, überschaubare Runde an Männern kommt zusammen, um zu essen und zu trinken und zu reden. Mehr ist es nicht. Ich koche, ich tische Wein auf. Wir reden. „Das habe ich noch nie erzählt“, meinte strahlend ein Mann nach so einer Tafelrunde, „weder meiner Frau, noch meinen Freunden, noch dem Therapeuten.“ Die Öffnung des Männerherzens erfolgt jenseits von Stammtisch und Therapie. Es braucht gelassene Geborgenheit.

Der gute Liebhaber

Ich habe Mut gefasst und auch gleich Männerseminare ausgeschrieben. Da war ich aber etwas über-mutig. „Der gute Liebhaber“ schien mir ein wunderbarer Titel und wichtiger Inhalt. Der Liebhaber ist einer der vier Archetypen, jener, der eine gesunde Körperlichkeit lebt, der zutiefst sinnlich ist und die Welt in einem Sandkorn sehen und fühlen kann. Frauen wollen gute Liebhaber, Männer wollen gute Liebhaber sein. Also wollte ich mich um das kümmern, was alle wollen.

In der griechischen Antike gab es 400 v.u.Z. die „Schule der Lust“ von Epikur und 600 v.u.Z. die „Liebesschule“ der Sappho auf Lesbos. Bei indigenen Völkern Amerikas war es völlig normal, dass Männer wie Frauen ihre sexuellen Initiationen unter Beisein des ganzen Dorfes erfahren haben.

Noch in der Renaissance war es üblich, dass sich heranwachsende Männer (der Oberschicht) für rund drei Jahre der Einübung in die Liebeskunst widmeten. Sie lernten ein Instrument zu spielen, sich in Versen auszudrücken, gesellschaftliche Tänze und – das Fechten. Sie entwickelten die weibliche Seite in sich und lernten zu kämpfen.

Auch der mächtige Herkules durfte sich endlich, müde des Mordens und Kämpfens, in Liebesangelegenheiten weiterbilden. Er trat in die Dienste von Königin Omphela. Zuerst wurde er ihr Sklave, kleidete sich in Frauenkleider, und lernte von da aus langsam, ein ganzer Mann und guter Liebhaber zu sein.

Der Mystiker Osho plädiert auch heute für Liebessschulen, denn „Geografie wird sicher nicht der Höhepunkt des Lebens sein, und Mathematik sicher auch nicht.“

Ich wollte diese Tradition der Liebesschule und der männlichen Initiation vorsichtig und im Rahmen meiner Möglichkeiten wiederbeleben, doch die Reaktionen auf mein Liebhaber-Seminar waren zweigeteilt. Der eine Teil applaudierte. Das waren einige Frauen, denen mein Angebot in die Hände gefallen war. Der andere Teil, das waren die Männer, schwieg. Ich habe noch nie so lautes Schweigen auf eine Ausschreibung erhalten.

Ein Mann meldete sich schließlich doch an mit den Worten: „Ich denke, das Seminar wird nur von Männern gebucht werden, die schon gute Liebhaber sind. Ich bin daher dabei!“

Welcher Teil meines Körpers fühlt sich wie eine Rose an?

Als Vorbereitung auf das Seminar hatte ich mich mit heute zugänglichen Liebesschulen (Tantra), Philosophie, Männerliteratur und Texten aus anderen Kulturen angereichert. Aus der Tradition der Maya, Tolmec und Olmec hat mich meine Frau Veronika zum Beispiel auf Quadoushka hingewiesen, ein Prinzip, das die Kreation eines Energiefeldes durch zwei andere Energien beschreibt, wobei das neue Feld größer ist als die beiden einzelnen zusammen. Diese Energie wird als sexuell verstanden und als Geschenk, das den Mensch mitgegeben ist. Wir alle können so ein neues Energiefeld erzeugen in der Vereinigung mit einem anderen Menschen.

Ich bringe einen kurzen Auszug aus einem Interview mit einem Mann, dem eine ältere, erfahrene Frau als Lehrerin in Liebesangelegenheiten beigestellt worden ist. Das Exzerpt stammt aus dem Buch The Sexual Practice of Quadoushka von Amara Charles; die Übertragung in die deutsche Sprache stammt von mir.

„Als ich 18 war, wurde ich sechs älteren Frauen vorgestellt und konnte mir eine als Lehrerin aussuchen. Aber eigentlich begann meine Erziehung früher, als ich im Alter von sieben Jahren begann, von Männern etwas über die Natur zu lernen. (…) Sie lehrten mich, dass ich nichts wahrnehmen könne, was außerhalb von mir sei. Nur wenn es Teil von mir ist, kann ich empfinden. (…) Meine Erziehung beinhaltete keine Theorie. Es ging um Wahrnehmung, lernen von allem. Mir wurde beigebracht, Fragen zu stellen, zu beobachten, zuzuhören. (…) Meine Lehrerin war 20 Jahre älter als ich. Sie zeigte mir, dass das, was ich von der Natur gelernt hatte, auch für den weiblichen Körper gilt. Sie fragte mich: „Welcher Teil meine Körpers fühlt sich wie eine Rose an? Welcher wie eine Tulpe?“ Es dauerte gut ein Jahr, bis wir überhaupt etwas annähernd Sexuelles taten. Als wir im Garten waren, sagte sie: „Berühre meine Brustwarze. Was fühlst du, mal abgesehen von deiner Erektion?“ Ich lernte dadurch, meine Aufmerksamkeit auch auf andere Dinge als nur auf die Funktion meinen Penis zu lenken. (…) Das Wichtigste war die Spontanietät. Das ist der beste Zugang zur Sexualität. Wir Menschen planen so viel, eigentlich alles. Aber was macht das? Es stoppt den natürlichen Fluss der Dinge.“

So einen Unterricht hätte ich mir gewunschen, als ich 18 war.

Die männliche Seite entdecken

Da klingt sehr viel Zärtlichkeit durch und man könnte meinen, dass es für Männer darum ginge, die weibliche Seite in sich zu entdecken. Abgesehen davon, dass Zärtlichkeit keine weibliche, sondern eine zutiefst menschliche Eigenschaft ist, sehe ich die Notwendigkeit im genauen Gegenteil. Die Männer sind aufgerufen, endlich die männliche Seite in sich zu entdecken. Die Krise des Mannes kommt daher, dass wir einerseits sehr viel pubertäres Macho-Gehabe und als Gegenpart sehr viel weichgespülte Männlichkeit sehen, und nicht wissen, wo nun die Männlichkeit zuhause ist. Weder da noch dort.

Nicht die Frauen sind es heute, die das sinkende Pseudo-Patriarchat überwinden müssen, sondern wir Männer. Wir sind eingeladen, wieder einen gesunden Zugang zur fokusierten männlichen Kraft, zur Aggression und zu einer männlichen Sexualität – letztlich heißt das: einen Zugang zur Natur – wieder zu finden.

„Ihr mögt Euch fragen, warum die Kenntnis der Elemente so wichtig ist für die Sexualität. Nun ja, wenn wir als Liebende zusammenkommen, befeuert der Wind des Atems das Feuer der Leidenschaft. Die Wasser des Körpers umspülen die Muskel. Wenn wir einen Orgasmus haben, sind wir mit Schöpfungsenergie verbunden.“ (Quadoushka)

Ich probiere es daher weiterhin und biete ein Seminar an, wo es um den Krieger in uns geht – um den wachen Umgang mit Kraft, Klarheit, Aggression. Um die Wieder-Entdeckung der männlichen Seite im Mann.

Tafelrunde in Wien: Mi. 20. April 2016, 18 h – ca. 21 h
Der (kosmische) Krieger, 22. – 26. Juni 2016
Männer-Camp am Schloss, Mi. 20. – So. 24. Juli 2016
>> liebeskultur.com/maenner-2/

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