Zeichen des Verfalls in den USA

Der Artikel ist auch als druckfreundliches PDF erhältlich

Amerika weist mehr und mehr Symptome eines Dritte-Welt-Landes auf, das politische System ist paralysiert und die Finanzoligarchie umklammert das Land. Was hält uns eigentlich ab, das zu ändern? Text von C. Otto Scharmer

Als ich nach zwei Monaten wieder in die USA zurückgekehrt bin, spürte ich plötzlich deutlich Zeichen von Verfall. Verglichen mit der vibrierenden Energie von Orten wie Brasilien, China, Südafrika und Indonesien fühlte sich Amerika wie ein Land im Niedergang an. Selbst das sogenannte „Alte Europa“, wo man ja auch von Eurosklerose spricht, scheint heute viel innovativer zu sein. Deutschlands Beschäftigungsrate ist unter den Zahlen vor der Krise (verglichen mit einer Rekordöhe von 9% in den USA, die ja eigentlich mehr als 17% sind, wenn man jene hinzurechnet, die es einfach aufgegeben haben, nach einem Job zu suchen oder sich mit Niedrigeinkommen durchschlagen) und die Wachstumsrate im zweiten Quartal von 9% sieht im Vergleich zu 1,9% in Amerika auch besser aus. Schlimmer noch ist der soziale Impact: rund 50 Millionen Amerikaner haben nicht genug zu essen und einer von acht Amerikanern – und gar eines von vier Kindern (!) – leben von Essensmarken. Schulen schließen. Straßen werden nicht instand gehalten. Brücken zerbröseln. Innenstädte befinden sich in Abwärtsspiralen. Auch wenn Aktivierungsprogramme positive Effekte gezeigt haben, ist die physische und soziale Infrastruktur doch in einem deutlichen Niedergang. Immer noch gibt Amerika seine mächtigen Ressourcen an den falschen Stellen aus: da werden zwei Kriege gefochten, die man nicht gewinnen kann, über 760 Militärstützpunkte in rund 150 Ländern außerhalb der Staaten gehalten (nur so zum Vergleich: auf der Höhe des Römischen Empire hatten die Römer 37 Haupt-Militärbasen und die Briten am Höhepunkt ihres Empire 36 – auf dem ganzen Planeten!). Die Hälfte der weltweiten Militärausgaben fallen auf ein einziges Land: die USA.

Die letzten 30 Jahre hat sich das Durchschnittseinkommen in den USA nicht verändert, obwohl sich in derselben Periode das Bruttonationaleinkommen um 110% erhöht hat. Was ist damit passiert? Im Jahr 1950 lag die Relation zwischen dem Einkommen eines CEO und einem Regalarbeiter bei rund 30:1, heute bei 300:1. Das oberste Prozent der Bevölkerung besitzt 37% aller Assets, während 80% sich nicht mehr als 12% teilen dürfen. Diese Kluft geht noch weiter auf.

1980 hat der Friedensforscher Johann Galtung den Fall des Sowjetreiches innerhalb einer Dekade vorausgesagt, Anfang 1989 meinte er, die Berliner Mauer wird noch dieses Jahr fallen (und so war es auch am 9. November). Im Jahr 2000 schätzte Galtung den Zerfall der USA auf 2025, aber als Bush die Wahl gewonnen hatte, zog er nocheinmal fünf Jahre ab (basierend auf der Erkenntnis, dass Bush alles tat, den Verfall zu beschleunigen). Der Zerfall des US Empire könnte laut Galtung durchaus den Bürgern zugute kommen und zu einer Blüte der Republik führen. Ein anderes Szenario besagt, dass es zu faschistischen Reaktionen kommen kann (siehe Galtungs aktuelles Buch: The Fall of the US Empire – And Then What?).

Wenn man sich so ansieht, wie die USA mehr und mehr Symptome eines Dritte-Welt-Landes aufweist, wie das politische System paralysiert ist und die Finanzoligarchie unser schönes Land immer fester umklammert, fragt man sich, was uns eigentlich abhält das zu ändern? Warum verschieben wir Trillionen von Dollar zu Bankern, Billionären und kranken Kriegen? Warum nicht dorthin damit, wo man einen tiefen sozialen Vorteil erzielen kann: Geldtransfer zu armen Menschen und Kommunen (was Brasilien großen Erfolg gebracht hat), massive Investitionen in Bildung (was wiederum China mit großem Erfolg macht) und social and business Entrepreneurship, womit städtische und ländliche Gebiete von einem Zustand der Verzweiflung zu Wohlstand gebracht werden können. Was hält uns ab?

Der in Amerika lebende Otto Scharmer ist durch seine „Theorie U“ berühmt geworden, einer neuen Sichtweise und Technik, das größte zukünftige Potential eines Menschen oder einer Gruppe zu vergegenwärtigen. Scharmer berät viele staatliche Stellen, so auch die Österreichische Unterrichtsministerin Claudia Schmied.

Der Text stammt aus Scharmers Blog http://www.blog.ottoscharmer.com/ von Anfang September 2010

Hinterlassen Sie einen Kommentar