„Sie können mit schmelzenden Gletschern nicht verhandeln“

Die nachfolgenden Zitate stammen aus einer Rede von Jakob von Uexküll im Rahmen der 13. GlobeArt Academy, die im August 2010 im Kloster Pernegg stattgefunden hat.

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Uexküll …

… im Stephansdom

Ich wollte gestern meinen Kindern den Stephansdom zeigen und war schockiert. Da gibt es im Dom einen Merchandising-Shop und einen Bereich, den man nur gegen Bezahlung betreten kann. Ich habe den Geistlichen im Shop gefragt, ob er weiß, was Jesus zu den Händlern im Tempel gesagt hat. Er hat mir geantwortet: „Ach, kommen Sie mir nicht so!“

Man muss sehen, dass es derzeit einen Kulturkrieg um die Grundwerte der Zivilisation gibt. Wenn nicht einmal die Kirche einen kommerzfreien Raum hat, wie sollen wir dann unsere Kinder davon überzeugen, dass ihr Leben und ihre Talente für andere Zwecke geschaffen wurden, als die Jagd nach Schnäppchen und Sonderangeboten? Der jetzt drängende Paradigmenwechsel braucht Dialoge wie hier bei GlobArt. Aber er braucht auch klare Markierungen was tragbar ist und was nicht!

… über Lösungen

Ich wurde eingeladen, über globale Herausforderungen zu reden, aber die kennen Sie sicher schon. Die Daten und Fakten sind hinlänglich bekannt und ich plane nicht, die vielen drohenden Katastrophenszenarien hier zu präsentieren. Auch die Antworten kennen die meisten schon zu Genüge. Richtig interessant wird es erst, wenn es um die Umsetzung der Antworten geht.

Allzu leicht verfällt man ja in eine Schockstarre – die Größe der globalen Probleme, vor allem die beispiellose Herausforderung des Klimawandels, sind alleine nicht zu lösen oder andersherum: was hilft es, wenn ich mein Leben umstelle?

Setzten Sie sich doch einmal zu Hause im Familienrat zusammen und überprüfen Sie Ihre Gewohnheiten. Und wenn Sie noch Kinder im Grundschulalter haben, hören Sie auf sie – häufig sind sie besser ökologisch ausgebildet als ihre Eltern. Der Fernurlaub wird dann z.B. schnell hinterfragt. Da wir in einem reichen Industrieland leben, können unsere persönlichen Entscheidungen im Weltma?stab überdurchschnittlich viel bewirken.

An Unternehmer kann ich nur die Empfehlung richten, sich schnell die Chancen, die sich aus der Entwicklung neuer Märkte und der Änderung des regulatorischen Umfelds ergeben, zu Nutze zu machen. – und sich aktiv für bessere gesetzliche Rahmenbedingungen einsetzen! Allzu oft wird „die Wirtschaft“ noch von ängstlichen Zukunftsverhindern und Besitzstandwahrern vertreten, statt von Unternehmern die diesen Namen verdienen.

… über CO2

Wir müssen den Energiehunger dieser Welt mit neuen Mitteln decken und schnellstmöglich eine Versorgung mit 100% erneuerbaren Energien erreichen – Sonne, Wasser, Wind, Biomasse. Es wird notwendig werden, CO2 aktiv aus der Atmosphäre zu entnehmen. Dieser Gedanke ist noch sehr neu und etabliert sich gerade. Aber eine reine Emissionsreduktion, wird aller Voraussicht nicht mehr ausreichen, der Klimaerwärmung bei der magischen 2°C Ober-Grenze Einhalt zu gebieten. (Auch diese Grenze wird regionale Katastrophen nicht verhindern – dazu ist es zu spät – aber sie soll verhindern, dass grosse Teile der Erde unbewohnbar werden.) Für zukünftige Generationen wird es wichtig sein, hier nicht einfach CO2 aus der Luft zu waschen und unter der Erde zu lagern, sondern Lösungen zu finden, die eine langfristige Sequestrierung [Abscheidung und Speicherung in tziefen Sedimentschichten unter der Erde] unter Zuhilfenahme natürlicher Prozesse erlauben

… über Naturgesetze

Naturgesetze können nicht politisch abgeschafft werden. Sie können mit schmelzenden Gletschern nicht verhandeln.

… über Verantwortung

Wir müssen Verantwortung übernehmen. Dazu gehört auch, Schadenersatz zu zahlen an jene, die uns gerne folgen würden aber nicht dürfen. Weil wir vorausgegangen sind und alles verbrannt haben. Man muss endlich Verbrechen gegen zukünftige Generationen als Straftat anerkennen. Welcher Politiker wird sich noch trauen, Gesetze auf den Weg zu bringen, die zukunfts-bedrohend sind, wenn er dafür juristisch belangt werden kann? Dafür gibt es Vorbilder. In Indien gab es die Räte der Seher in die Zukunft, die Ureinwohner Amerikas beherzigten das Prinzip der siebten Generation. Bei allem, was sie taten, überlegten sie, ob es der siebten Generation nach ihnen zu Vorteil oder Schaden sein könnte. Als Positiv-Beispiel haben wir heute den ungarischen Parlamentarischen Ombudsman für zukunftsfähige Generationen und arbeiten jetzt daran, einen solchen EU-weit zu etablieren.

… über wirtschaftliche Globalisierung

Die Folgen unserer Entscheidungen und Nicht-Entscheidungen sind zeitlich weitreichender als je zuvor – sogar geologische Zeiträume sind dadurch für uns moralisch relevant geworden.

Diese Folgen sind auch zum ersten Mal in der Geschichte global. Der US-Ökonom and Alternative Nobelpreisträger Prof. Herman Daly beschreibt die wirtschaftliche Globalisierung der vergangenen Jahrzehnte als den letzten Versuch, den natürlichen Grenzen des BNP-„Wachstums“ zu entkommen, in dem wir in den ökonomischen und ökologischen Raum anderer Länder hineingewachsen sind. Die Folge davon ist natürlich, dass die endgültige Grenze global und übergreifend sein wird – das sog. „Global Peak Everything“.

… über Wachstum und Wohlstand

Das viel bewunderte Chinesische Wachstum verschwindet, sobald die Kosten für Um- und Nachwelt mit einbezogen werden! Zukunftsfähiger dürfte Japan sein, gerade weil Wirtschaft und Konsum dort nicht wachsen. Mark Clifford, Executive Director des Asia Business Council, schreibt dazu im TIME Magazin von 2. August: „der schwache Konsum könnte aus Japan einen „global leader“ in ökologischer Nachhaltigkeit machen. Die Lebenserwartung ist eine der höchsten weltweit, die Kriminalität äußerst gering. Das kulturelle Leben ist exquisit und weltberühmt. Der soziale Zusammenhalt bleibt stark. Einkommensunterschiede sind gering. Die meisten Japaner genießen ihr Leben.“

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