Innovation ist unberechenbar

Harald Koisser im Gespräch mit Christoph Mandl, Spezialist für radical change, über Innovation, die Trägheit großer Firmen und die Notwendigkeit, das Kerngeschäft auch einmal grundsätzlich in Frage zu stellen.

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Leben wir in einer Zeit des Wandels?

Ob das so ist, weiß man immer erst rückblickend. Ich bin in den 68ern groß geworden und habe das im Alltag nicht als so besonders erlebt. Man kann über einen Zeitabschnitt, in dem man gerade drin steckt, kein endgültiges Urteil fällen. Was man aber feststellen kann, ist, dass es Zeiten gab, wo die Gesellschaft sich sehr rasch verändert hat. In der Industriellen Revolution ist innerhalb kürzester Zeit sehr viel passiert. Und dann gab es Phasen, wie etwa das Biedermeier, wo jahrzehntelang gar nichts geschehen ist.

Gesellschaftspolitisch passiert heute wahrscheinlich nicht soviel wie in den 68ern. Damals sind innerhalb kurzer Zeit Werte verändert worden. Die Generationen sind damals in Hinblick auf ihre Sicht der Welt, stark auseinandergedriftet. Das haben wir heute nicht so sehr. Wir haben den Wandel heute im wirtschaftlichen Bereich. Da verändert sich gerade sehr viel.

Bis zum Jahr 2000 hatten wir Kontinuität, eine lange Boomphase seit dem Krieg. Da ist einfach alles immer besser und mehr geworden.

Dann war 2001, New Economy Crash.

Genau, und seit 2001 leben wir in einer Phase wirtschaftlicher Orientierungslosigkeit. Bis dahin galt: Mehr desselben und alles ist in Ordnung. Die USA haben mit dem Immobilienmarkt diese Boomphase künstlich und mit bekannten Folgen verlängert. Heute gibt es die einen, die glauben, es wird alles wieder so, wie es einmal war, und die anderen, die das definitiv nicht glauben. Ohne das klar ist, was stattdessen kommt. Wenn wir tatsächlich deutlich weniger Autos brauchen, was passiert dann mit der Automobilindustrie Deutschlands, die ja das Rückgrat der deutschen Ökonomie darstellt?

Das hat dann aber auch Auswirkungen auf das Soziale. Man hat feststellen müssen, dass nicht alles machbar ist und nicht alles ewig wächst.

Das sollten wir eigentlich schon seit dem Jahr 1972 wissen, als der Bestseller „Die Grenzen des Wachstums“ von Meadows und Forresters erschienen ist. Von dem Buch wurden über 30 Millionen Exemplare verkauft. Da steht alles drin, was dann auch passiert ist. Es passiert jetzt Ungewohntes, aber nicht wirklich Überraschendes.

Woran liegt es, dass wir unseren Propheten nicht glauben?

Ob jemand ein Prophet ist, weiß man leider auch immer erst im nach hinein. Als das geschrieben wurde, gab es keine Wachstumsgrenzen, keine Umweltverschmutzung, keinen Erdölpreis, der weh tat. Wenn in solch einer schönen Situation jemand kommt und sich auf komplexe Computermodelle beruft, die dem Paradies widersprechen, wird das einfach nicht geglaubt. Die sind ja auch nicht wie Moses mit den Gesetzestafeln vom Berg herunter gekommen. Man muss auch sagen, dass herkömmliche ökonomische Modelle immer von unbegrenzten Ressourcen ausgegangen sind. Das lässt sich modellhaft leichter analysieren. Wenn man da kommt und sagt, die wesentlichste Prämisse stimmt nicht, sind die Ökonomen eben nicht ganz so begeistert. Das vom Club of Rome in Auftrag gegebene Werk „Die Grenzen des Wachstums“ wurde ja damals auch vor allem von Ökonomen kritisiert.

Dann kommt ja auch etwas zutiefst Menschliches hinzu. Die Prognosen damals betrafen das 21. Jahrhundert und das lag für die Menschen in weiter Ferne.

Der Mensch muss also das Tagesgeschäft meistern und kann sich um die Zukunft nicht so recht kümmern?

Heute wird spürbar, dass man weiter denken muss. In den 70er Jahren haben die Araber den Ölhahn aus politischen Gründen zugedreht. Vor kurzem aber war der Erdölpreis auf 150 Dollar ohne politische Absicht. Da ging es um die Knappheit der Ressource. Die Ukraine hat den Gashahn zugedreht, weil sie sich mit Russland nicht einigen konnten. Man fühlt, dass etwas anders ist. Die Dinge sind nicht mehr so sicher wie sie einmal waren.

Tendieren die Menschen dazu, alles so belassen zu wollen, wie es ist?

Das glaube ich gar nicht. Es gibt bei jeder Neuerung eine kleine Gruppe an Innovatoren, die das Neue einfach suchen und ausprobieren. Das sind diejenigen, die sich ganz früh anstellen, um das erste iPhone 4 zu bekommen. Das sind ungefähr 3 Prozent der Bevölkerung. Dann gibt es diejenigen, die etwas früh akzeptieren und annehmen, das sind noch mal 10 Prozent, und dann kommt so etwas wie die early majority. Die sagen sich: na gut, wenn das alle machen, dann sollte ich mir das einmal anschauen. Und dann kommen die Nachzügler. Die müssen dann einfach. Es gibt einfach keine Schreibmaschinen mehr und da müssen sie sich eben mit einem Computer anfreunden. Die Gruppe der Nachzügler ist aber nicht größer als ca. 15 Prozent der Bevölkerung. Insofern haben wir alle schon eine große Fähigkeit, uns anzupassen. Schwierig wird es nur bei konsensualen Entscheidungen. Solange man für sich selbst entscheidet – ich will dies oder das – ist es einfach. Jeder weiß, dass es anders werden muss, aber jeder hat ein anderes Bild davon, wie es anders werden muss. Und der gemeinsame Nenner ist dann, dass man alles belässt wie es ist.

Trotz aller Individualität ändern sich doch gemeinschaftliche Einstellungen. Viele Menschen meinen offenbar zu einem bestimmten Zeitpunkt das Gleiche.

Ja, Pelzmäntel tragen ist irgendwann zu einem ethischen Problem geworden und ist es nach wie vor. Das Fahren von SUVs ist jetzt gerade an der Reihe unschick zu werden. Das ist eine Summe individueller Entscheidungen. Aber im Konsensualen ist es unendlich schwierig geworden. Welch unglaubliche Mühe Obama mit seiner Gesundheitsreform in Amerika hatte!

Man sollte das Subsidiaritätsprinzip wieder mehr anerkennen. Das Konsensuale ist vielleicht eine Illusion.

Aber die Rahmenbedingungen werden gemeinschaftlich festgelegt. Und da wäre viel mehr möglich. Denken wir an die Einführung des Katalysators. Das war technisch längst möglich, aber alle haben geschrieen, das geht nicht oder noch nicht. Irgendwann kam das Gesetz und es war kein Problem.

Deto beim Verbot von FCKW in Spraydosen.

Ja, es braucht eben auch den Mut zu entscheiden, wenn gerade kein Konsens vorliegt.

Das heißt, man könnte von politischer Seite Innovation erzwingen – durch Gesetze oder Preissignale.

Preissignale weniger, das würde bedeuten, dass man staatliche Preiskontrolle macht.

Besteuerung.

Ja, das schon. Und über Normen. Jetzt kommt etwa eine EU-Norm für energieeffiziente Gebäude, die per 2020 gilt und ab dann werden wir Häuser nicht mehr so bauen wie heute. Das wird einen ziemlichen Innovationsschub bedeuten. Und man wird sich fragen: warum musste das so lange dauern?

Wünschen sich Unternehmer politische Normen?

Klar! Jene, die voraus sind und etwas Neues anbieten. Ich habe vor kurzem ein Gespräch mit einem Hersteller von Holzpalletts geführt. Wir hatten das Thema „Krisenbewältigung“ und er meinte: welche Krise? Wenn der Ölpreis hoch ist, macht er das beste Geschäft. Solche Alternativanbieter sind aber natürlich meist nicht die großen Firmen.

Im Moment des Wandels gibt es laut Schumpeter immer den Aspekt von Schöpfung und Zerstörung. Und diejenigen, die zerstört werden, sind die Großen. Die werden öffentlich gehört, weil sie Arbeitsplätze freisetzen. Die vielen alternativen Kleinen, die Arbeitsplätze schaffen, hört man nicht so gut. Keine Zeitung berichtet, dieser und jener Hersteller von Alternativenergie hat 20 Leute aufgenommen.

Ist Größe der Innovation hinderlich?

Es gab einmal eine Zeit, da gab es Automobilhersteller mit ca. 30 Mitarbeitern. Das war eine kleine, innovative Branche. Dann kommt ein Konzentrationsprozess. Größe entsteht immer, wenn man etwas leistet, was aktuell massiv nachgefragt wird. Diese Nachfrage kann natürlich enden. Beim Auto ist das derzeit offenbar so.

Alle Firmen sagen gerne von sich, dass sie innovativ sind. Was sind denn die idealen Voraussetzungen für Innovationskraft in einem Unternehmen?

Eine ziemlich komplexe Frage! Es braucht auf alle Fälle so etwas wie langfristiges Denken. Innovation geht nur, wenn man über das nächste Quartalsergebnis hinaussieht.

Aktiengesellschaften scheiden also aus.

Zumindest jene, die wenig reinvestieren dürfen, weil sie hohe Renditen ausweisen müssen. Wenn ein Vorstand sagt, wir haben einen Gewinneinbruch von 30%, weil wir ein großes Investitionsprojekt haben, das in fünf Jahren hohe Gewinne abwerfen kann, dann wird er gesteinigt. Es ist kein Zufall, dass hochinnovative Konzerne Leitfiguren haben. Bill Gates und Steve Jobs etwa. Die sind glaubwürdig, weil sie selbst substantielle Anteile am Unternehmen halten. Die machen nur etwas, wenn sie glauben, dass es etwas bringt. Die Inhabergeführten Unternehmen sind einfach innovativer, weil sie etwas vererben wollen.

Wer ist es denn, der innovativ ist?

Die großen Ideen kommen nie vom Vorstand, immer von unten. Junge, frische Leute, die unendlich weit weg sind von der Pragmatik, bringen meist die besten Inputs. Darum gibt’s so viele Spin-offs. In kleinen Unternehmen ist die Distanz zwischen den jungen Wilden und der Chefetage gering.

Der Tod jeder Idee ist die Rückmeldung: machen Sie uns dazu einmal eine Investitionsrechnung! Was ist der ROI? Hätte man die Gebrüder Wright angehalten, vor dem Bau des ersten Flugzeugs eine Investitionsrechnung zu machen, gäbe es kein Flugzeug.

Der Witz von Innovation ist ja gerade, dass es neu und unberechenbar ist. Gute Ideen finden schon ihre Märkte.

Ich habe einmal mit jemandem von Siemens gesprochen. Die waren bei Mobiltelefonen immer Nachzügler und ich weiß jetzt warum. Die haben immer wieder tolle Ideen nach oben gemeldet und sind dann mit mühseligen Controllingprozessen konfrontiert worden. Das war eine innovationsfeindliche Kultur. Steve Jobs sagt bei einer Idee sicher nicht: da machen wir einmal eine Investitionsrechnung.

Dieses enorme Sicherheitsbewusstsein ist vielleicht etwas, was die Großen mehr haben als die Kleinen. Das hemmt schon die Innovationskraft.

Gibt es Techniken, mit denen man zu Innovation kommen kann?

Naja, es gibt Kreativitätstechniken, aber ich denke, in jeder Firma gibt es mehr als genug Ideen. Man muss sich einfach um Leute, die Ideen haben könnten, kümmern. Man muss Räume schaffen, wo unreife Ideen gehört werden, wo man wertschätzend damit umgeht.

Es ist also viel Wissen vorhanden, aber das Wissen muss kapitalisiert werden?

Genau das ist Innovation. Eine Firma ist kein Universitätsbetrieb. Aber das Wissen wird eben nicht immer gehoben. Ich habe vor langer Zeit mit der PR-Leiterin eines großen Automobilherstellers gesprochen. Die planten damals, mit einer LKW-Produktion nach China zu gehen und haben enorme Produktionszahlen geplant. Die PR-Dame hat gemeint, sie kommuniziert das gerne, aber wie soll sie den enormen, daraus resultierenden CO2-Ausstoß erklären? Ist das wirklich Ziel des Unternehmens? Der Dame wurde gesagt, solche Fragen sind nicht ihre Aufgabe. Schade, denn diese Frage wäre ein Impuls für Innovationsfähigkeit gewesen. Heute wissen wir, wie relevant diese Frage ist.

Da gehört natürlich dazu, sich selbst und sein Kerngeschäft auch einmal grundsätzlich in Frage zu stellen.

IBM hat es immerhin geschafft, von einem Schreibmaschinenhersteller zu einem Computerproduzenten zu werden. Die haben das gut hinbekommen. Apple hat sich ja auch neu erfunden. Das täte den Mineralölkonzernen heute auch gut.

Das könnte also ein Ratschlag an Unternehmen sein: sich selbst ab und zu die Sinnfrage zu stellen.

Das ist immer eine tolle Idee. Man sollte sich als Individuum ab und zu fragen: Was will ich mit dem Rest meiner Zeit hier machen? Das darf sich auch eine Organisation fragen. Dadurch entsteht Gemeinsamkeit, die durch Sinn zusammengehalten wird. Die wirklich erfolgreichen Unternehmen sind meist Gemeinschaften, wo der einzelne sich identifizieren kann. Diejenigen, die heute bei Google arbeiten, sagen das sicher voll Stolz.

Diese Sinnfrage ist ein sehr junges Phänomen und selbst schon Zeichen eines Wandels. Vor zwanzig Jahren wäre die Antwort meist noch gewesen: wir sind dazu da, Gewinn zu machen. Und Punkt.

Das alleine interessiert heute niemanden. Da steckt kein Sinn darin, weder für die MitarbeiterInnen, noch für die Kunden. Jeder, der eine Firma gründet, stellt sich sicher die Sinnfrage. Man gründet ein Unternehmen nicht einfach, um Geld zu machen. Gute Unternehmer sind moderne Propheten. Die haben den Antrieb, mit irgendetwas die Welt zu beglücken.

Du bist an der Universität tätig und beratest Firmen. Spürst du bei den Menschen, mit denen du zu tun hast, eher Freude am Wandel oder Angst?

Diese totale kollektive Aufbruchsstimmung, wie sie etwa in den 50er Jahren war, gibt es nicht. Oder dieses globale Gemeinschaftsgefühl der ersten Mondlandung. Wer heute mit dem Studium fertig wird, muss um einen Job kämpfen. Als ich selbst damals fertig geworden bin, habe ich mir die Frage gestellt, ob ich gleich einen der zehn möglichen Jobs annehme oder lieber noch ein Jahr nach Indien fahre. Aber das heißt nicht, dass die Stimmung heute total negativ ist. Das klafft auseinander. Ich erlebe beides sehr deutlich. Leute mit enormem Schiss und solche mit Aufbruchsstimmung. Die Gesellschaft fragmentiert.

>> Hier können Sie mit Christoph Mandl Kontakt aufnehmen: christoph.mandl@univie.ac.at, http://www.mlp.co.at/


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