Wenn der Job zum Loslassen ist

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Ein Abschiedsritual für einen klaren Abschluss und Neubeginn
Von Veronika Victoria Lamprecht

Es war der längste Job meines Lebens. Vom Mutter-Sein mal abgesehen. Acht Jahre lang hatten wir eine ziemlich normale Arbeits-Beziehung, das öffentlich-rechtliche Dienstleistungsunternehmen und ich: zwischen anfänglicher Überforderung, viel Freude, länger werdender Langeweile, hin und wieder kurzen Entfaltungsmöglichkeiten, Dienst nach Vorschrift und hübschen und bösen Überraschungen.

Ich baute meinen Arbeitsbereich selber auf und aus, verwaltete und rechtfertigte ihn. Neben vielen Erfolgen gab es für den Freigeist wie mich auch Frust über die strukturelle Fremdbestimmung und die wachsende Unterforderung. Zu den Kolleg/innen ist in den Jahren ein erfreuendes Beziehungsgewebe gewachsen. Mit dem Chef wurden die Konflikte immer weniger und der gegenseitigen Respekt und die Wertschätzung mehr.

Und eines Tages war es soweit: nach vielen Überlegungen entschied ich mich, meiner Berufung mehr Raum, meinem Wirken mehr Sinn zu geben und mich ganz auf meine Selbstständigkeit zu konzentrieren. Ich ging mit einem lachenden und einem weinenden Auge: die äußere Sicherheit, die ich hier hatte, würde ich wohl so schnell nicht wieder erleben.

Mein Chef war entsetzt, versuchte mich zu überreden, ich versprach drüber zu schlafen, um dann bei meinem Entschluss zu bleiben. Die Abschlussformalitäten legten wir gemeinsam fest, zu fairen Bedingungen. Die wichtigste Frage war für mich: Wie gestalte ich den emotionale Abschied von den Kolleg/innen, die zum Teil Freundinnen geworden sind? Es war klar, dass es ein Fest mit einfachen Ritualelementen werden sollte. Ich schrieb für jede Person ein kleines Kärtchen, mit „Was ich an DIR besonders schätze, ist…“, steckte es in ein Papiertäschchen samt neuer Visitenkarte von mir und Trostschokolade. Die letzten Stunden am Schreibtisch nutzte ich um die nährende Energie zu spüren, die ich da aufgebaut und gelebt hatte. Mein Bauch und Herz waren wie ein Magnet, der sich vollsaugte mit dem, was da Schönes, Liebevolles von mit und den anderen geschaffen wurde. Das Unangenehme, Ungelöste klärte ich in letzten Gesprächen so gut als möglich.
Das Abschiedsfest wurde, nach Absprache mit den Kolleg/innen, ein Picknick. Der Regen hielt sich nicht dran und wir verlegten es ins Büro. Zufällig stand seit einigen Wochen genau der Büroraum frei, der zu Beginn mein Arbeitsplatz war! Eine Tischdecke wurde am Boden ausgebreitet, die kalten und warmen Platten samt Kerzen und Dekorelemente fein dazu drapiert. Die Kolleg/innen hatten Sitzkissen mit in die Arbeit gebracht. Eine illustre Runde von 12 Personen samt Chef fädelte sich um die festliche Ess-Mitte am Büroboden auf.

Nach dem Zuprosten und Speisen bat ich die Kolleg/innen mir ehrlich zu erzählen, was sie damals, als sie mich das erste mal sahen, für Gedanken und Gefühle hatten. Gesprochen wurde im Kreis, und nicht wie gewohnt, wer am Schnellsten und Lautesten ist. Symphatisch und lustig und mit ganz vielen „Ahas“ wurde diese Runde abgeschlossen und eine neue Frage nachgelegt: „Was war das berührendste Erlebnis, das du mit mir hattest?“ Geschichten kreisen durch den Raum, die alle bewegen. Dazwischen kam hin und wieder noch ein weiteres Erlebnis zur Sprache, das endlich auch mal gesagt werden wollte …

Ob diese Gruppe schon mal so vertraut mitsammen gesprochen hatte? Den Abschluss bildeten die gegenseitigen Abschiedsgeschenke mit ihren vielen herzlichen Dankesworten und Bekräftigungen. Eine Welle der Wärme und Ermutigung sammelte sich von diesen Menschen in meinem Rücken, die mich noch sehr lange stärkte. Am nächsten Tag bedankten sich viele nochmals für das feine Abschiedsfest, es wäre so liebevoll und nährend auch für sie selber gewesen.

Seitdem hab ich viele Höhen und Tiefen in meiner Selbstständigkeit erlebt und keinen Tag meine Entscheidung bereut. An „meine“ ehemalige Firma denke ich gerne zurück: die gebündelte wertschätzende Abschiedsenergie hat alles zu einem wirklich guten Ende gebracht, Altlasten bereinigt, das Loslassen erleichtert und mir für den Neustart wertvollem frischen Rückenwind gegeben. Ein Abschiedsritual, das Inspiration ist für viele weitere individuelle Rituale!

Ein Kommentar zu “Wenn der Job zum Loslassen ist”

  1. Georg Pleger sagt:

    Hallo Frau Lamprecht!

    Wow – Ihr Bericht hat mich berührt.
    Danke für´s Teilen!

    Bei mir ist´s in zwei Monaten so weit: Abschied nehmen nach vier Jahren.
    Unfreiwillig.
    Das bisher gemeinnützige Unternehmen wird nach dem Eigentümerwechsel neu aufgestellt. Marktkonformer.

    Ich werd mir bei Ihrer Form des Abschieds Anleihen nehmen und auch ein berührendes Fest draus machen.

    Mit herzlichen Grüßen aus Tirol
    Georg Pleger