Exzess

Text: Harald Koisser

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Der Exzess ist Verschwendung in Bestform. Während das spätlateinische excessus noch harmlos „das Herausgehen, Abweichen“ meint, verstehen wir darunter heute das Sprengen jeglichen Maßes, die Missachtung aller gebotenen Grenzen. Wer schon einnmal die Grenzen seines alkoholischen Fassungsvermögens überschritten hat, weiß, dass Exzesse meist geahndet werden. Dies nur zur Erinnerung, nicht aber als Maßregelung. Im Gegenteil möchte ich hier eine Lanze zugunsten des Exzesses brechen.

Schon der Philosoph Michel de Montaigne (16. Jhd) empfahl den jungen Menschen die wichtige Erfahrung der Ausschweifung, damit sie später nicht von jeder Kleinigkeit aus der Bahn geworfen werden. Der Exzess als Impfung gegen Sehnsucht! Ich möchte dem eine wichtige Funktion zur Seite stellen. Nur über die Maßlosigkeit lässt sich das persönliche Maß finden. Nur wenn das Glas überläuft, sieht man auf den Tropfen genau, wie viel es wirklich fasst. Man muss sich mitunter auf die Fülle einlassen, um sie auszuloten. Die Kenntnis vom eigenen Maß ist immer mit Grenzüberschreitung verbunden und somit latent unmoralisch. Man öffnet mit zitternden Händen eine Tür, auf der „Eintritt verboten“ steht, um herauszufinden, warum eigentlich. Der Unterschied zur Gedankenlosigkeit liegt darin, sich der Verantwortung seines Handelns bewusst zu sein (und stets auch den rettenden Ausgang im Auge zu haben).

So also hängen Maß und Exzess zusammen. Indem man seiner Lust folgt, lernt man ihre Grenzen kennen und respektieren. Das macht es für dogmatische Asketen und angstbesetzte Menschen so schwer, ihr persönliches Maß zu finden. Sie kennen es nicht, weil sie es nicht wagen, über sich hinauszugehen. So lange, bis die straffe Verschnürung mitunter platzt, das Innere über alle Ufer tritt und Unschuldige mitreißt. Vereinigungen wie etwa die Kirche, die bloß eine hohe Moral haben – etwa in Sachen Sexualität -, aber hier kein individuelles Maß ihrer Akteure zulassen, sind in ihren schrecklichsten Momenten ein Hort völlig ungezügelten Ausbruchs von Maßlosigkeit.

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