Die Gemeinwohlökonomie

Christian Felber hat eine Matrix erstellt, die eine neue und zeitgemäßere Bewertung von Unternehmenserfolg versucht. Nicht der Gewinn soll als Götze verehrt werden, sondern der Beitrag zum Gemeinwohl wird gewürdigt. Das Bilanzergebnis soll sich durchaus materiell ausdrücken, etwa in Form von Steuererleichterungen. Ein Bericht von Veronika Victoria Lamprecht

Seit einigen Wochen gibt es eine Matrix (oder Bilanz, wie sie ab 2011 genannt wird), wie wirtschaften im Sinne des Gemeinwohls gelingen kann. Faires Wirtschaften soll belohnt werden – bis zu Steuererleichterungen. An die 40 UnternehmerInnen arbeiten derzeit an einer Verfeinerung. „Diese Gruppe wird heuer die Gemeinwohl-Matrix soweit weiterentwickeln, dass sie 2011 erstmals ernsthaft angewendet werden kann. Heuer wird die Bilanz getestet, nächstes Jahr testet die Bilanz uns“, meint Christian Felber, Initiator und einer der Leiter der Initiative und gleichzeitig Autor das 2010 erschienen Buches „Gemeinwohlökonomie – Das Wirtschaftsmodell der Zukunft.“ Die Gemeinwohl-Matrix ist aus der „Gemeinwohl-Ökonomie“ entstanden. Diese versteht sich als System-alternative zu kapitalistischer Markt- und zentraler Planwirtschaft, als vollständiger Dritter Weg und zum Teil auch als Synthese aus den beiden großen historischen Entwürfen.

Die „Gemeinwohl-Ökonomie“ ist tendenziell eine Form der Marktwirtschaft, in der jedoch die Motiv- und Zielkoordinaten des (privaten) unternehmerischen Strebens „umgepolt“ werden – von Gewinnstreben und Konkurrenz auf Gemeinwohlstreben und Kooperation. Zeitgenössische Forschungsergebnisse zeigen, dass diese Alternative entgegen tief sitzender Vorurteile gut mit der „Menschennatur“ vereinbar ist. Mehr noch: Die Gemeinwohl-Ökonomie baut auf genau den Werten auf, die unserer zwischenmenschlichen Beziehungen gelingen lassen: Vertrauensbildung, Verantwortung, Mitgefühl, gegenseitige Hilfe und Kooperation. Diese humanen und nachhaltigen Verhaltensweisen werden anhand der „Gemeinwohl-Bilanz“ gemessen und mit einer Fülle von Anreizen und „systemischen Aufschaukelungen“ belohnt: das Marktstreben wird „ethisch umgepolt“. www.gemeinwohl-oekonomie.org

Wie ist die Matrix entstanden?
Heinz Feldmann war von Anfang an dabei. Er ist Mitbegründer von VBC Verkaufsberater/innenColleg Österreich, 47 Jahre alt und Unternehmer aus Passion. Seit gut 10 Jahren spürt er wachsendes Unbehagen gegenüber dem finanzorientierten  Wirtschaftsverhalten. Aus diesem Sehnen nach Neuem engagiert er sich seit 3 Jahren für Leben in Gemeinschaft, Männerarbeit und der Gemeinwohlökonomie. Seit kurzem ist er auch im Attac-Vorstand.
Attac ist ein Verein und steht für „Association pour une taxation des transactions financières pour laide aux citoyens“, zu Deutsch „Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransakti-onen zugunsten der BügerInnen“.
Diese internationale Bewegung setzt sich für eine demokratische und sozial gerechte Gestaltung der globalen Wirtschaft ein. Das die „Freiheit“ der Investoren zu Lasten von Gesundheit, Umwelt und kultureller Eigenständigkeit geht, wäre kein Naturgesetz. (siehe auch www.attac.at)
Auf der Attac-Sommerakademie 2008 in Krems kam es durch ein Gespräch mit Christian Felber zur Initialzündung: Wenn wir eine neue Welt gestalten wollen, dann braucht es auch die Unternehmen im Boot. Also wurde die Attac-UnternehmerInnengruppe gegründet.

Heinz Feldmann erzählt, dass sich schnell herausgestellt hat, dass alle Standards nichts ändern, solange das einzige Erfolgskriterium der Finanzgewinn ist. Deshalb wurde ein Modell entwickelt, das den Beitrag des Unternehmens am Allgemeinwohl belohnt. Was das Allgemeinwohl genau ist, wird noch diskutiert. Das Modell wird von „unten nach oben“ entwickelt. Von ökologischer Nachhaltigkeit, Menschenwürde bis Solidarität, soziale Gerechtigkeit und demokratische Mitbestimmung reichen die ausgearbeiteten Themen. Die erste Version der Matrix kann man unter http://community.attac.at/uploads/media/Gemeinwohl-Matrix.pdf einsehen.

Am 14. Dezember gab es mehr als 150 Unternehmen, die dieses Modell unterstützten und teilweise ab 2011 umzusetzen beginnen. Eine Liste ist nachzulesen unter: http://www.gemeinwohl-oekonomie.org/unterstutzende/unternehmen/

„Warum sich die Matrix durchsetzen wird? Weil es zur Überlebensfrage der Menschheit wird, ob wir aus der Sackgasse des destruktiven Wirtschaftssystems noch herausfinden. Und das kann schneller gehen, als viele sich das vorstellen können. Dieses Modell ist sehr pragmatisch und visionär! Deshalb kann es sofort umgesetzt werden. Gleichzeitig ist es noch gestaltbar, es ist eine Anleitung, die mitwachsen kann.“ Heinz Feldmann ist stolz auf das gemeinsame Projekt.

Christian Felber erklärt, was die Vorschläge konkret umgesetzt werden können. Für Unternehmen, die diese Matrix anwenden wollen, gibt es individuelle Hilfe und Betreuung, in Stunden/Halbtagen/Ganztagen. Es hat sich bereits ein Kreis von UnternehmensberaterInnen gebildet, die sich bereit erklärt haben, Unternehmen beim Anwenden der Bilanz zu begleiten und behilflich zu sein. Bis Ende 2010 wird dies eher im Sinne der Instrumentenschärfung (Klärung der Kriterien, gemeinsame Formulierung des Feedbacks), nächstes Jahr dann im Sinne einer Umsetzungsberatung geschehen. Noch offen ist die Finanzierung dieser bilateralen Begleitung. Um kleinen Unternehmen keine unverhältnismäßigen Kosten aufzubürden, schwebt uns derzeit eine Fundraising-Lösung vor. Damit können grundsätzlich alle die Beratung kostenlos in Anspruch nehmen, allerdings abhängig vom Fundraising-Erfolg für dieses Projekt.
http://www.gemeinwohl-oekonomie.org/

Engagement wird belohnt
Im Jahr 2011 wird daran gearbeitet, den Pool an Gemeinwohl-Bilanz-BeraterInnen zu verstärken und zu professionalisieren. Ein Bilanzstichtag im Herbst wird festgelegt, dann wird der Erfolg gemessen. Christian Felber hat eine klare Vision: „Mit den ersten Ergebnissen im Herbst 2011 gehen wir gemeinsam an die Öffentlichkeit: Vielleicht werden es bis dahin 100 Unternehmen aus D, Ö, CH, I, … sein. Diese könnten – gemeinsam mit den dann hoffentlich vielen hundert Unterstützenden, dem Energiefeld, den Attac-UnternehmerInnen und weiteren Verbündeten – beginnen, eine politische Bewegung zu formieren, welche rechtliche Vorteile für die nunmehr gemessenen Mehrleistungen für das Gemeinwohl einzufordern beginnt: beim öffentlichen Auftrag, bei der Mehrwertsteuer, … damit die Mühe auch belohnt wird!“

Keine Kommentare möglich.