Mit Stille zum Erfolg

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Kann Innehalten das Wirtschaften bereichern? Heini Staudinger, Inhaber des Waldviertler Unternehmens GEA, über die Stille als Werkzeug der Integration des Nichtgelebten. Das Gespräch führte Veronika Victoria Lamprecht

Warum Innehalten?

Ich war erst gestern wieder eingeladen in einen Managementkreis. Alle haben sie Strategien, setzen diese mehr oder weniger erfolgreich um. Um am Ende zu sehen, dass etwas rauskommt was wir alle nicht wollen und brauchen.
Ich glaube nicht, dass wir um der Wirtschaft willen oder wegen dem Geld auf die Welt gekommen sind. Es gibt einen göttlichen Funken, der bei der Geburt mit jedem Menschen mit auf die Welt kommt. Unsere Lebensaufgabe erfüllt sich, wenn der göttliche Funke seine Bühne findet. Unser Alltag, in dem wir eingefangen sind, lässt diesen Gedanken oft als Zeitverschwendung erscheinen. So wie Rilke es ausdrückt:

Ich bin nur einer deiner Ganzgeringen
Zufälle sind die Menschen
Alltage, Ängste, viele kleine Glücke,
verkleidet schon als Kinder,
eingemummt,
als Masken mündig, als Gesicht –
verstummt.
… Die zweite Strophe hab ich
vergessen
Und wenn ich abends immer
weiterginge
aus meinem Garten, drin ich
müde bin, –
ich weiß: dann führen alle Wege hinzum Arsenal der ungelebten Dinge.
[Das ganze Gedicht finden Sie am Ende des Artikels]

Sehnsucht und nicht Gelebtes klopfen immer an. Wenn das Arsenal zu voll ist, dann entsteht Aggression gegen die Natur, die Mitmenschen, sich selber. Oft passiert es in der Phase vorm Einschlafen, dass diese Fragen auftauchen, wenn die Kontrolle über die Gedanken nachlässt, wir zu müde sind um unsere Konzepte weiter aufrecht zu erhalten. Regelmäßige Stille ist ein hilfreiches Werkzeug, um all dieses nicht Gelebte auftauchen zu lassen, zu erkennen und in der Folge ins eigene Leben zu integrieren. Ich glaube, dass eine gewisse Portion Disziplin und Rhythmus eine Erleichterung der Übung bedeuten kann.

Ich hab vor zweieinhalb Jahren mit Christopf Singer eine Zen-Woche mit Schweigen im Gebirge mitgemacht. Seit damals sind gut 800 Tagen vergangen und 600 Tage davon bin ich täglich 10  Minuten in Stille gesessen. Dabei geht einfach gar nix weiter, außer dass ich in Stille das innere Geschwätz verfolge, eine disziplinierte Unterbrechung vom Telefonieren, E-mails beantworten, MitarbeiterInnengespräche führen und Schuhe erzeugen.

Wie hast du „Stille“und „Innehalten“ praktisch in deine Unternehmenskultur integriert?

Ich hab mich ziemlich gefreut, dass wir in der Schuhfabrik das zweite Zen-Wochenende mit Christof verbracht haben. Die Fabrik ist ein großer Vierkanter, mit 1000 m2 Freifläche in der Mitte,  35 m von der Produktionshalle sind die Gästezimmer und der Prunksaal [grinst schelmisch]. Wir haben im Seminarraum Loftatmosphäre und nebenan sind die Hackler. Alle MitarbeiterInnen konnten gratis mitmachen, von 150 haben dies zwei genutzt.

Da kann man ja nicht wirklich von großer Akzeptanz für dein Angebot sprechen.

Dazu muss man die Kultur vor Ort verstehen. Im Waldviertel sind die Leute schweigsam, in sich verschlossen und in Gmünd sind sie besonders schweigsam und still. Als ich 1994 anfing, hat niemand mich gegrüßt. Erst nach 2 Jahren. Jetzt stehen die Leute auch öfter beisammen und tratschen. Die Schuh- und Textilindustrie bietet für einfache Leute Arbeit, handwerkliches Geschick ist allerdings erforderlich. Selbstbestimmtes Leben wird durch unsere Arbeit für die Menschen hier möglich. Ich erzähl dir jetzt noch was, aber schreib das bloß nicht 😉 – Wichtig war und ist mir, dass diese spirituellen Seminare am gleichen Platz stattfinden, wo während der meisten Zeit Menschen einfach hackeln.

Hast du auch etwas umgesetzt, wovon mehr MitarbeiterInnen betroffen sind?

Vor einem Jahr hab ich das Radioverbot in der Matratzenerzeugung durchgesetzt. Es gab wieder mal eine größere Reklamation, ich ging zu den ArbeiterInnen – und niemand wusste, wovon ich sprach. Ich hab mich so darüber geärgert, dass sie wohl alle wissen, wann in Vorarlberg ein Stau ist aber keine Ahnung haben, wie dieser Fehler in ihre Arbeit kommen konnte und hab ab sofort das Radio verboten. Eine Mitarbeiterin hat daraufhin gekündigt und bei den anderen war anfangs Zorn und Ärger. Inzwischen haben sie sich daran gewöhnt, manche schätzen es heute.
Ermutigt zu diesem Schritt hat mich das Projekt „STILLE“ in der Kulturhauptstadt Linz. Es gab ein Manifest der Stille von Peter Androsch, das 100 Jahre nach dem Futuristischen Manifest von 1909 veröffentlich wurde.
Ich wehre mich gegen die Dauerbeschallung, noch dazu wo die Arbeit der Schuh- und Matratzenherstellung an sich schon laut ist!

In hab in der Mittelschule Griechisch lernen müssen. Das hat mich überhaupt nicht interessiert, es ging nur ums Durchkommen. Mein Bua sagte später dazu: „Ein Vierer ist das Sehr gut für den ökonomischen Schüler.“

10 Jahre später interessierte ich mich für Griechisch und hab u.a. das Neue Testament in griechischer Version ins Deutsche übersetzt.  Da gibt’s den Satz: „… und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Nach meiner Übersetzung bedeutet das: „…diese Welt sind die Bretter, auf denen die SchauspielerInnen spielen, eine Idee wird Wirklichkeit und hält sich in uns in einem Zelt auf.“ Und sie braucht die Stille als Pflegemittel.

Und in der Geschäftsführung, habt ihr da eine Kultur des Innehaltens?

Wir sind vier Leute in der Geschäftsführung, zwei Frauen, Hans und ich. Unter zweien gab es Streit wegen einer Kleinigkeit. Es war offensichtlich, die Nerven lagen blank. Ich hab davon erfahren und angeordnet: am kommenden Mittwoch fahren wir nach Kroatien. Ich verordnete vier Tage Urlaub, das ersetzte uns das Konfliktmanagement und wir wurden wieder zu normalen Menschen. Das war Mitte Oktober, in einer Phase der erhöhten Schnelligkeit, die Produktionshalle war in einer schwierigen Bauphase – du kannst dir das so vorstellen, als würde ein Bademeister im Freibad Mitte Juli abhauen. Schluss sagte ich – wir lassen lieber die Hütte zusammenbrechen, als dass wir dabei kaputt gehen.

Wir kamen zurück, einige Sachen waren zu unserer Enttäuschung entschieden worden. Wir hatten in dieser Zeit in Kroatien kein einziges Mal zuhause angerufen! Wir als Führungsebene waren gestärkt, die Rückkehr zum Menschsein war und ist uns gelungen. Wir lösen jetzt die Herausforderungen wieder aus einer entspannten Grundhaltung.

Meister Eckehard sagte mal, und das gefällt mir sehr gut: „Du musst eines wissen: dass sich noch nie ein Mensch in diesem Leben so weit gehen lassen hat, dass er nicht gefunden hätte, er müsse sich noch mehr lassen.“

Aus dieser deiner Haltung und Unternehmensführung – welche stillen Erfolge ergeben sich daraus? Über die niemand spricht und die nur gesehen werden können, wenn man ganz genau hinspürt?

Es gab eine Zeit, da ist einiges in meinem Leben daneben gegangen. Da hörte ich von einem Freund, der mit seinem kranken Bub den Jakobsweg gegangen war. Spontan entschloss ich mich, das auch zu tun. Als Vorbereitung lernte ich folgenden Text auswendig, damit ich ihn inwendig hab. Am ganzen Weg sprach ich ihn mir vor:

„Aber gäbe ich mich dem Erwägen
und Überlegen zulange hin,
so würde mein Körper ermüden.
Bei müdem Körpern mein Herz
matt werden
Und das matte Herz
Ist fern der Selbstvertiefung.

Da fasste ich, denn, ihr Mönche,
Mein Herz innig zusammen
Beruhigte es
Einigte es
Festigte es

Und warum das?
Damit mein Herz nicht matt werde.“

Das ist von Buddha

Ich bin nur einer deiner Ganzgeringen
von Rainer Maria Rilke

Ich bin nur einer deiner Ganzgeringen,
der in das Leben aus der Zelle sieht
und der, den Menschen ferner als den Dingen,
nicht wagt zu wägen, was geschieht.
Doch willst du mich vor deinem Angesicht,
aus dem sich dunkel deine Augen heben,
dann halte es für meine Hoffahrt nicht,
wenn ich dir sage: Keiner lebt sein Leben.
Zufälle sind die Menschen, Stimmen, Stücke,
Alltage, Ängste, viele kleine Glücke,
verkleidet schon als Kinder, eingemummt,
als Masken mündig, als Gesicht – verstummt.

Ich denke oft: Schatzhäuser müssen sein,
wo alle diese vielen Leben liegen
wie Panzer oder Sänften oder Wiegen,
in welche nie ein Wirklicher gestiegen,
und wie Gewänder, welche ganz allein
nicht stehen können und sich sinkend schmiegen
an starke Wände aus gewölbtem Stein.

Und wenn ich abends immer weiterginge
aus meinem Garten, drin ich müde bin, –
ich weiß: dann führen alle Wege hin
zum Arsenal der ungelebten Dinge.
Dort ist kein Baum, als legte sich das Land,
und wie um ein Gefängnis hängt die Wand
ganz fensterlos in siebenfachem Ringe.
Und ihre Tore mit den Eisenspangen,
die denen wehren, welche hinverlangen,
und ihre Gitter sind von Menschenhand.

Heini Staudinger ist seit 1993 Unternehmer; er betreibt eine Produktionswerkstätte im Waldviertel für Schuhe, Möbel, Matratzen, Taschen, etc. und führt 22 GEA Filialen in Österreich, Deutschland, Schweiz mit 155 Mitarbeiter/innen
http://www.gea.at/

Link zu dem von Herrn Staudinger erwähnten „Akustischen Manifest“:
http://www.einschaltverweigerung.de/das-akustische-manifest/

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