Berg der Verwandlung

Der Artikel ist auch als druckfreundliches PDF erhältlich

Harald Koisser im Gespräch mit Heinz Nußbaumer, der nach einem Leben als Außenpolitikchef des Kurier und Pressesprecher zweier Bundespräsidenten immer noch „wahnsinnig viele G’schaftl“ hat, das körperlich gebüßt aber auch eine heilsame Oase am Berg Athos gefunden hat.

Nußbaumer: Sie haben ein Stille-Buch geschrieben. Da weiß ich wenigstens, bei wem ich das nächste Mal abschreibe.

Oh, danke, sehr ehrenwert. Aber Sie haben dafür einen Mönch in sich.

Der ist aber noch sehr klein.

Ein Nachwuchsmönch, immerhin. Erhart Kästner lässt in seinem Buch über den Athos (siehe „Für Sie gelesen“) einen Mönch zu Wort kommen und der sagt: „Hier ist der Frieden der Seele, das kannst du mir glauben, denn ich kenne die Welt, die du kennst, und ich kenne, was hier ist und was du nicht kennst.“ Sie kennen ja auch beide Welten.

Meine Annäherung an den Athos hat eine Geschichte. Ich war mehr als 20 Jahre lang Außenpolitikchef des Kurier und Sprecher zweier Bundespräsidenten und somit in einer andauernden seelischen und nervlichen Ausnahmesituation. All die Kriege, all die Katastrophen, die Friedenskonferenzen, die Wahlkämpfe – ich bin hin und her gedüst und hatte eine wachsende Sehnsucht, zumindest eine Woche im Jahr aus dem Wahnsinn auszusteigen.

Ein eher bescheidenes Ziel.

Aber das einzig realistische – genährt aus gesundheitlichen Katastrophen, ich habe mehrmals Krebs gehabt mit Chemotherapien, alle Verdauungsorgane verloren, bin oftmals mit Ärztenotdienst vom Ende der Welt mit einem blutenden Zwölffingerdarm-Geschwür nach Hause geflogen. Der Chirurg hat mir dann gesagt: du musst in ein anderes Charakterfach kommen! Aber wie sollte das gehen? Der Beruf des Journalisten und die Außenpolitik haben mich zu sehr interessiert. Ich musste also radikal Oasen der Stille in das Leben hineinstellen. Ein Freund erzählte mir, da gibt es mitten in Europa einen Ort, der weltvergessen ist, den Athos.

Und da sind Sie stante pede hin?

Ja, am Rücken einer Lüge. Ich habe dem Bundespräsidenten gesagt, am Athos gibt es kein Telefon, ich bin absolut unerreichbar, das funktioniert dort nicht. Das stimmt so nicht. Wenn man will, kann man schon telefonieren. Als ich das kürzlich dem evangelischen Bischof Bünker erzählt habe, hat er strahlend gesagt: eine kräftige und gute Lüge!

Was wussten Sie vom Athos?

Eigentlich nichts. Ich war zunächst fasziniert von der landschaftlichen Schönheit, dem „Garten der Mutter Gottes“. Schon vor 200 Jahren hat ein Botaniker festgestellt, dass man dort noch Pflanzen fand, die es nirgendwo sonst gab. Dann bin ich in die grandiose Architektur der 20 großen Klöster hineingefallen, die ja vor mehr als 1000 Jahren unter unvorstellbaren Vorzeichen auf irgendeine Felsnadel hinaufgestellt worden sind. Dann faszinierten mich die Ikonen und im letzten Prozess der Annäherung kam die immer stärker werdende Freundschaft mit Mönchen. Am Athos herrscht ja ein unglaublicher Intelligenzgrad.

Wurden nicht die Söhne auf den Athos hingeschickt, wenn man nicht recht wusste, ob er es beruflich weit bringen wird?

Ja früher. Aber heute ist der Akademikeranteil am Athos weit höher als in den umliegenden Gebieten der Halbinsel Chalkidiki. Es gibt keinen Abt mehr ohne abgeschlossenem Studium, Theologie gehört übrigens nicht dazu.

Ist Bildung zu einer Art Voraussetzung geworden, wie etwa bei den Chorherren?

Nein, Intellektualität ist keine Voraussetzung, das ergibt sich einfach aus einer Sehnsucht der Postmoderne, aus der Verdunstung des Religiösen, der Entkirchlichung, der Entchristlichung. Es bleiben nur mehr zwei Einflugschneisen für das Spirituelle: Kloster auf Zeit und Wahlfahrten. Was sich da heute auf den Pilgerwegen abspielt, ist gegen alle Trends. Mehr als 35% sind unter 30 Jahre alt, was sich in den Kirchen absolut nicht abbildet. Wenn man meint, das wäre nur fröhliches Pfadfindertum, täuscht man sich wahrscheinlich. Mein alter Pfarrer hat immer gesagt: Es geschieht nie nichts.

Die Leute haben Sehnsucht nach sich selbst, aber nicht nach Theologie.

Der Athos betreibt keine Theologie, der Athos betet. Und der Kopf muss sich zum Herzen neigen. Nicht die Intellektualität macht für die Athos-Mönche die Welt besser, sondern die Gaben des Herzens. Es waren immer Menschen des Herzens, die die Welt voran gebracht haben. Es ist auch verständlich, dass Ende des 18. Jahrhunderts die orthodoxe Kirche dachte, sie müsse als Gegenstück zu den Gregorianern in Rom ein großes Bildungsinstitut auf dem Athos bauen, um die Ostkirche auf das selbe Niveau wie die lateinische Kirche zu stellen. Die empörten Mönche haben diese Akademie nach ihrer Einweihung niedergebrannt.

Also keine Theologie und auch keine Philosophie.

Da würde der Athos seine Seele verlieren. Und so ist es auch heute noch. Ich bin heute von Mönchen umgeben, die bis zu drei Studien absolviert haben, Internisten in New York waren und alles hinlegen, um Ikonen zu gravieren und Gästeklos zu putzen.

Das kennzeichnet wohl einen grundsätzlich menschlichen Weg. Auch Buddha hat als Kaufmann gearbeitet, hat Reichtümer angesammelt, ist bei Frauen gelegen, um dann erst in der zweiten Lebnshälfte alles abzuwerfen und das Andere zu leben.

Der nachhaltige Reiz aller Heiligenlegenden besteht darin, dass sie eben nicht von Geburt an erleuchtet waren. Das große Saulus-Paulus-Erlebnis macht die Geschichten dramatisch und menschlich. Das Spannende ist die metanoia, der Wandel. Der Athos heißt ja auch Berg der Verwandlung, wo der Mensch aufsteigt und Gott niedersteigt, um in der Begegnung Wandel zu finden. Der Mensch bleibt immer Mensch, keiner hat einen sicheren Vorsprung, keiner kommt aber auch zu spät. Am Anschaulichsten sind nun einmal die Geschichten, wo sich eine Umkehr abspielt.

Wie war den Ihre erste Woche am Athos? War es eine Erleichterung oder ein Kulturschock?

Es gibt ein Phänomen, das ich mir bis heute nicht erklären kann. Wenn Menschen auf den Athos oder einen anderen Ort der Stille kommen, dann brauchen sie gut eine Woche, um ihren Stress auszuschwitzen, um wirklich anzukommen. Ich selbst bin ja ein Wahnsinniger, was Arbeit betrifft, ich habe unfassbar viele G’schaftln.

Immer noch?

Aber ja, meine Frau hat mir kürzlich einen Zettel geschrieben mit 41 Beschäftigungen, denen ich gerade nachgehe. Davon sind 40 für Gotteslohn. Sie ist es auch, die mir heute sagt: meinst du nicht, dass es wieder Zeit ist, dass du auf den Athos fährst? Sie weiß, wie ich bin und wie ich heimkomme.

Und welches ist nun Ihr persönliches Phänomen?

Ich gehe in „mein“ Kloster, stelle meine Tasche ab und bin da. Andere brauchen dafür eine Woche. Jetzt, wo ich darüber rede, spüre ich an körperlichen Symptomen dieses Ankommen. Wenn ich wieder einmal eine schlaflose Nacht habe und es wird dreiviertel Vier, dann überlege ich mir, was jetzt gerade in „meinem“ Kloster passiert. Das schafft Frieden und ich kann einschlafen.

Der Athos ist eine reine Männergesellschaft. Erleben Sie es als Mangel, dass die weibliche Energie dort nicht präsent ist?

Diese Frage verfolgt mich seit über zwanzig Jahren. Ich habe mir ein ganzes Repertoire an Antworten zurecht gelegt, ich habe Adressen von Frauenklöstern, die ich für wunderbar halte.

Ich habe nach dem subjektiven Empfinden gefragt. Fehlt Ihnen persönlich das Weibliche?

In den begrenzten Zeiten, in denen ich dort lebe, geht es mir nicht ab. Ich selbst könnte kein Mönchsleben leben, ich weiß, dass ich heimkehre. Ich erlebe in den Mönchen einen hohen nteil an Sensibilität und weiblichen Talenten, die ich in unserer wirtschaftlichen Umgebung so nicht finde. Der Mann ist gezwungen, seine Weiblichkeit zu entdecken. Der Athos ist der Garten der Muttergottes. Das Weibliche ist sehr stark da, es wird verehrt, nicht angebetet. In vier der zwanzig Klöster hat die Muttergottes auch eine ganz außergwöhnliche Funktion. In einem ist sie die Äbtissin, ihre Ikone steht am Abtstuhl, es sind immer nur wechselnde Mönche, die statt ihr die Führung des Klosters übernehmen. In einem ist sie die Pförtnerin, ihre Ikone hängt über dem Eingang und die Mönche sagen, noch nie hätte ein schlechter Mensch die Pforte passiert. In einem anderen Kloster ist sie die Ökonomin. Dort, wo sie Äbtissin ist, hat es übrigens 2004 einen verheerenden Großbrand gegeben. Aber alle Kirchen und Ikonen sind heil geblieben. Die Mönche sagen, die Muttergottes hätte ihnen wieder einmal gezeigt, worauf es im Leben ankommt. Die Zahl der Mönche hat sich übrigens seit dem Brand mehr als verdoppelt.

Sie haben vorhin von „Ihrem“ Kloster gesprochen.

Ja, ich habe zwei Entwicklungen hinter mir. Auf meine erste Reise haben mich sechs Freunde begleitet. Aber ich habe schnell gelernt, wenn du dein eigenes Biotop immer mit dir herumträgst, gibt es immer nur dieselben Wahrnehmungen und immer nur dieselben Scherze. Man ist so nicht offen für das Unerwartete.

Sie haben erwähnt, dass es offenbar nur noch zwei Möglichkeiten des Innewerdens gibt. Beide sind mit christlichem Glauben verbunden. Ich bedaure das, denn die Stille gehört nicht einem bestimmten Glauben, sie ist wertneutral.

Mir hat erst kürzlich eine Frau geschrieben, dass sie das Getue um den Athos nicht versteht. Sie geht fast täglich zwei Stunden in den Wienerwald und fühlt sich jedesmal geläutert und still. Hallelujah, Ziel erreicht! Athos ist überall und wie man das nennt, bleibt jedem überlassen. Schweigen und Stille gehören zu den Grunderfahrungen aller Religionen und aller Philosophien.

Ich sehe in meinem Bekanntenkreis, dass, wenn von Stille die Rede ist, immer der Klosterurlaub gedacht wird. Diese Einschränkung passiert automatisch, darum wehre ich mich so. Die Leute sehen dadurch die Möglichkeiten der Stille im Alltag nicht.

Sie sind exakt auf dem Punkt. Ich selbst suche nicht nur ein Kloster auf, sondern eine 50 km lange und 12 km breite Landschaft, wo ich auch aus dem Kloster heraustreten kann und immer noch in der Stille bin. Wenn wir die Oasen der Stille im Alltag nicht mehr haben, außerhalb eines Klosters, dann ist alles verloren. Die Stille muss wachsen aus tausend Zurufen im Alltag.

Wie wahr, doch uns sind ja Pausen beim Sprechen schon oft peinlich.

Das kenne ich auch, ich erzähle oft irgendeine Geschichte, um die Peinlichkeit der Stille zu überbrücken. Und wie sehr ich es genieße, mit einem Mönch auf einer Bank zu sitzen und gemeinsam still zu sein. Das ist erfüllte Zeit.

Die Abwesenheit von allem Beschreibbaren – das war das Ereignis des Tages, schreibt Kästner. Wir leben in einer Zeit, wo die Abwesenheit des Beschreibbaren unerträglich ist. Es muss immer etwas los sein.

Wir dröhnen uns zu, es ist eine heillose Tragödie, aber ich will jetzt nicht in Kulturkritik verfallen.

Sie selbst haben sehr schnelle Berufe gehabt und die Frage ist, ob diese Berufe überhaupt so schnell sein müssen.

Medien und Politik heizen sich gegenseitig auf. Aber der Politiker, dem ich gedient habe, der Bundespräsident, der wäre der einzige, der es sich leisten könnte, es anders zu machen. Der könnte aus der Nachdenklichkeit und der Stille heraus agieren. Sonst ist es schwierig. Welcher Politiker kann es sich leisten, zu sagen er geht drei Wochen auf Urlaub? Die müssen jeden Tag Meldungen über ihre Sprecher absetzen und ich frage mich, wie die jemals aus ihren Abhängigkeiten und Vernetzungen herauskommen sollen. Die Printmedien werden in Konkurrenz zur Elektronik noch schneller und oberfächlicher und banaler. Diesen Trend können wir nicht verändern. Aber das gibt eine Chance für die langatmigen Produkte wie wirks.

Wie besteht der Mensch in der Beschleunigung? Sie selbst haben extrem schnell gelebt, es körperlich gebüßt. Es ist der heutige Weg des erzwungenen Innehaltens, den man Burn-out nennt. Man gerät an einen Abgrund und sieht, das man diesen einen nächsten Schritt nicht gehen kann, weil man sonst abstürzt. Muss der Mensch an diesen extremen Punkt gehen, um umzukehren?

Ich hoffe nicht. Die Menschen brauchen nur ein bisschen mehr Vernunft als ich hatte. Alles, was ich sagen kann, ist, dass ich nach meiner Auszeit um so viel kreativer bin, dass ich alles spielend einhole.

Gerade, weil die Stille so viel Kraft freisetzt, ist es erstaunlich, dass sie so wenig stattfindet. Eigentlich müsste die Wirtschaft, welche ja permanent das Neue braucht, Räume und Möglichkeiten der Stille schaffen wollen.

Ja, aber die birgt eben auch die Gefahr, dass die Menschen in Stille inne werden und frei werden und nicht mehr manipulierbar sind. Diese „Gefahr“ wird immer noch höher eingeschätzt als die schöpferische, kreative Kraft.

Ich sehe viele positive Beispiele und es ist unsere Aufgabe von wirks, darüber zu berichten, die positiven Kräfte zu stärken und andere anzuregen, es anders zu machen. Die Menschen sind so froh, wenn sie als Manager endlich dieselben ethischen Maßstäbe anlegen dürfen wie in der Freizeit. In der Firma mussten sie Leute knechten und pressen und kurzfristige Gewinne herausquetschen. Das ist das Gegenteil jeder natürlichen Anlage zu Mitgefühl und Umsicht. Private und berufliche Ethik waren ganz anders. Die ManagerInnen lebten schizophren. Sie tun es teils heute noch. Es hat sich ja noch nicht alles geändert.

Kein Mensch kommt auf die Welt und beschließt, ein Lump zu werden. Es sind ungünstige Umstände, scheinbare Notwendigkeiten, die den Lumpen formen. Wir leben zu sehr in der Unverbindlichkeit des Gesprächs und der Unfähigkeit zur Stille. Auch ich merke eine große Sehnsucht nach dem Echten. Wenn ich auf einem Empfang bin und das übliche seichte Gerede am Tisch geht los, dann durchbreche ich das und zettle ein Gespräch über etwas Essentielles an. Die Leute sind so unendlich dankbar dafür. Wir glauben immer nur, dass es höflich ist, sich gegenseitig mit Nichtigkeiten einzulullen und zu ermüden. Wirklich erfrischend ist nur das Echte.

Ich sehe einen großen Berg, der auf Verwandlung wartet.

Keine Kommentare möglich.