Bildung heißt: wahrhaftig Mensch werden

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Unser westliches Bildungssystem ist nicht zukunftstauglich. Auf der 30. Jahrestagung des Alternativen Nobelpreises in Bonn, die im September 2010 stattgefunden hat, wurden Alternativen diskutiert.

„Unser Planet leidet an zu viel Linearität“ meint Ibrahim Abouleish (Nobelpreisträger 2003). Es bräuchte im Lehrbetrieb mehr Kunst und Philosophie, um das Potential zur Veränderung zu befördern. „Unser Bildungssystem ist bloß auf Wissen und Denken fixiert“, assistiert der Thailänder Sulak Sivaraksa, der im Jahr 1995 den Alternativen Nobelpreis erhalten hat. Descartes Sinnspruch „Cogito ergo sum – ich denke also bin ich“ symbolisiert für den Buddhisten eine gefährliche, da Ich- und Intellektbezogene Einstellung. Nicanor Perlas von den Philippinen, der sich für eine gerechte Globalisierung einsetzt und 2003 von der Right Livelihood Foundation ausgezeichnet wurde, sieht außerdem die Gefahr, „dass Bildung heute nicht den Menschen, sondern der Wirtschaft, der Technologie und dem Markt dient“. In vielen Bildungsinstitutionen würden lediglich Fertigkeiten vermittelt, die Heranwachsende benötigen, um im globalisierten Wirtschaftssystem bestehen zu können und sich „angepasst in einer materialistischen und technisierten Welt zu verhalten“. Man müsse geistigen und spirituellen Elementen in der Bildung einen höheren Stellenwert zuweisen. Denn nur so können laut Perlas „wirkliche Werte gebildet werden“, eine der wichtigsten Voraussetzungen für gesellschaftliches und ökologisches Engagement. Das Ziel jeder nachhaltigen Bildung muss sein „wahrhaftig Mensch zu werden“, betont Perlas. „Zu verstehen, wer wir sind und was unsere Aufgabe in der Welt ist.“

Wie das konkret gehen kann, zeigt vielleicht die Studentin Tania Zuur, die eigens aus Schweden angereist war, um an der Veranstaltung teilzunehmen und die Nobelpreisträger zu erleben. Sie gehört zu einer internationalen Gruppe von jungen Menschen, die ihr Studium fern von universitärer Institutionalisierung selbst organisieren. „Jeder muss für sich seine Frage, sein Thema finden, dann sucht er sich den Ort und den Lehrer, von dem er etwas lernen kann“. Wichtig ist ihr dabei vor allem, sich selbst zu entwickeln; ein Hochschuldiplom findet sie hierfür überflüssig.

Da stellt sich die Frage, welche Rolle Universitäten heute noch im Bildungsprozess spielen. Sind sie nur noch „Fabriken, in denen kulturelle Klone produziert werden“, wie Rául Montenegro, Umweltaktivist aus Argentinien meinte? Swami Agnivesh, Aktivist aus Indien und Preisträger 2004, spitzt den Gedanken in seinem Statement zu. Unis sollten Menschen zum Fragestellen anregen und „Rebellen produzieren“.

In der Zwischenzeit fiebert man in heimischen Instituten dem nächsten PISA-Ranking und der als poltischen Erfolg deutbaren AkademikerInnen-Produktionsquote entgegen.

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Der Right Livelihood Award, im Deutschen bekannter als Alternativer Nobelpreis, wird seit 1980 an Personen, Organisationen und soziale Bewegungen vergeben. Eine international besetze Jury zeichnet jährlich vier Menschen oder Initiativen aus, die Lösungen für aktuelle Probleme finden und erfolgreich umsetzen. Die Einsatzbereiche der Preisträger sind vielfältig: Umwelt, Frieden, Abrüstung, Menschenrechte, Entwicklung, Kultur und Spiritualität, Verbraucherschutz, Bildung, Gesundheit oder Energie. Der Award wurde vor genau 30 Jahren vom Schweden Jakob von Uexküll ins Leben gerufen. „Ich habe der Nobelpreisstiftung vorgeschlagen, einen Ökologiepreis oder einen Preis für menschliche Entwicklung einzuführen, aber die wollten das nicht. Also habe ich das aus Eigeninitiative gegründet“, so Uexküll.

Und welche Absichten verfolgte der im September 2010 abgehaltene Kongress in Bonn? „Da treffen sich die Alternativen NobelpreisträgerInnen. Die sehen sich sonst nie. Das sind Pioniere auf sehr vielen Gebieten, oft entstehen gemeinsame Projekte. Es geht natürlich auch darum, die geballten Erfahrungen der Nobelpreisträger zu vermitteln“, erklärt Uexküll in einem Gespräch mit wirks. Wir wollten schließlich noch wissen, warum die Kongresse vorzugsweise im deutschen Sprachraum stattfinden.

Uexküll: „Weil hier diese Diskussionen am weitesten fortgeschritten sind. Es wäre schwer vorstellbar, so einen Kongress in den USA zu organisieren.“

Website des Alternativen Nobelpreises: http://www.rightlivelihood.org

Website der 30. Jahrestagung in Bonn: http://www.kurswechseln.de

Text: Harald Koisser, unter Verwendung eines Berichtes der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter, wo der Workshop über zukunftsfähige Bildung stattgefunden hat

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