Vom Fluss der Ideen

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Eine Nachlese zur Ideenkonferenz Sustainovation 2011, die von 3. bis 5. Juni zum zweiten Mal Nachhaltigkeit und Innovation zusammenbrachte. Von Georg Bauernfeind

Der Ausblick entschädigt die Anreise. Denn es braucht seine Zeit, bis sich der Bus der Linie 38A durch die Weinberge den Kahlenberg hinaufarbeitet, bis er über die gepflasterte Höhenstraße den Weg zur Modul Universität findet. Aber dieser Blick von oben, der hat es in sich. Die Donau wirkt wie ein lieblicher Bach, Wien wie ein großer Schrebergarten. Wird Wien grün? Ein Ort, von dem Veränderung und Innovation ausgehen? Wien, diese Weltmetropole des Raunzertums?

Hannes Offenbacher und Nicole Arnitz vom Mehrblick Ideenstudio initiieren zum zweiten Mal die Sustainovation und beweisen ein Gespür für Orte und Räume. Denn sicher ist die Kahlenberger Höhenluft eine ideale Voraussetzung für das, was sich in den nächsten beiden Tagen hier ereignen wird – die Begegnung von Unternehmertum mit Nachhaltigkeit und Innovation. Man nehme: Eine tolle Lokation, drei Räume, über 30 Vortragende und etwa 130 Kreative, Querdenkende und Anderstickende. Menschen, die sich nicht damit begnügen, aus sicherem Abstand den Zustand der Welt zu bedauern, sondern miteinander an Ideen spinnen. „Es sollen gar nicht alle kommen“, sagt Hannes Offenbacher. „Ich will, dass diejenigen kommen, die anpacken.“

Wie gehen wir mit der Komplexität in dieser Welt um?

Ein Hörsaal. Über der Tür die klassische Schul-Uhr. Beamer, Flipchart und los geht’s. „Denken und Handeln in Komplexität“ heißt das Thema der Unternehmensberaterin Christine Priesner. Der Andrang ist enorm, der Raum brechend voll. Wenn es ein Motto gibt, dass über den beiden Tagen steht, dann ist es dieses. Wie gehen wir mit der Komplexität in dieser Welt um? So, wie es bisher läuft, stößt die Gesellschaft permanent an Grenzen. Die einen fühlen sich überfordert, die anderen ignorieren die Herausforderungen: ob Verkehr, Wohnen oder überhaupt unsere Art des Wirtschaftens. Beispiele gefällig?

Jedes vierte Einfamilienhaus in einem Grazer Stadtteil wird von einer einzelnen Person bewohnt. Von vorwiegend alten Menschen. Das bringt ganz viele ökologische und soziale Fragen mit sich. Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt „Ökotopia“ an der FH JOANNEUM Graz beschäftigt sich mit nachhaltiger Stadtentwicklung und mit der Zukunft der Verkehrsmittelwahl. Nach der Präsentation ergibt sich eine intensive Diskussion – ganz im Sinne der Veranstaltung. Denn es soll in diesen Sessions nicht frontal zugehen, sondern interaktiv. Bleibt nur das Dilemma: Es finden immer drei Sessions gleichzeitig statt. Man muss sich entscheiden!

Beschreiten wir also zuerst den Raum des Wissens. Da ist heuer sehr viel Platz für Kreativität. Eduard Kaan, Kreativitätstrainer aus Salzburg: „Seit dreißig Jahren versuche ich einen Konzern zu überreden, einen Kreativitätsraum einzurichten. Nie ist es mir gelungen.“ Aber hier ist er, der Kreativ-Raum und er wird auch gleich in ein Rascheln gehüllt, weil alle TeilnehmerInnen ein Säckchen mit Legosteinen erhalten. Wir bauen eine Ente! Alle erhalten sieben Legosteine – interessant, wie anders die „Enten“ aussehen.

Reinhard Ematinger und Sandra Schulze zeigen mit ihrem Tool LEGO SERIOUS PLAY, wie mit Legosteinen Zukunftsszenarien gebaut werden. Angeblich machen auch hochdotierte Aufsichtsräte beim Legospielen sehr gerne mit – selbst wenn sie aus dem arabischen Raum kommen. Es geht im ersten Schritt immer um die Darstellung der Komplexität, erst im zweiten um das Weiterentwickeln. Auch komplizierte Organisationsstrukturen können mit Legosteinen sichtbar gemacht werden, die gebastelten Zukunftslandschaften beeindrucken.

Nur 45% der Bevölkerung haben Pläne, die sie verwirklichen wollen

Nach so viel Theorie braucht das Hirn eine Pause. Aber leider: Ununterbrochen trifft man interessante GesprächspartnerInnen, die – und das ist vermutlich so gewollt – einen dazu verleiten, die Perspektive zu ändern. Ob Unternehmensberaterin, Designer oder Politiker: Die einzige Regel der Sustainovation 2011 – über den Zustand der Politik und der Verhältnisse nicht zu jammern – wird fast überall eingehalten. Aber wenn man schon die Gelegenheit hat, mit dem immer sprudelnden Christoph Chorherr einen Kaffee zu trinken, da kann die Frage nicht ausbleiben: „Warum ist alles so, wie es ist – in Österreich? Warum gibt es so wenig Bereitschaft zur Veränderung?“ Da klappt der Grünpolitiker seinen Laptop auf, um das Ergebnis einer vor Kurzem erschienenen Studie zu zeigen. Der Aussage „Ich habe viele Pläne, die ich verwirklichen will“, stimmen nur 45 Prozent der Bevölkerung zu. Das sitzt. Was machen die anderen? Jetzt? Und in Zukunft? Sie sind sicher nicht im Hörsaal 10, um den Sessions über Cradle to Cradle, über die Gemeinwohlökonomie und über Bambus als neue Chance für die Wirtschaft beizuwohnen. Sie versäumen Reinhard Herok, der über Green Marketing referiert und den Pionier Karl Pirsch von der Eine Welt Handels AG, der nach all den Jahren immer noch einen Idealismus versprüht, als hätte er gestern gegründet; und ENORM, das neue Magazin für ökosoziale Wirtschaft, werden sie wahrscheinlich auch nicht lesen. Es hat schon seine Berechtigung, dass es dann auch die Session von Jürgen Fleis und Jürgen Kainz gibt mit dem Titel: „Warum handeln wir (nicht) nachhaltig?“

Im Raum der Erfolge wird es sehr praktisch. Petra Busswald informiert über das Projekt CO2-Monitor. Mit dieser digitalen Methode können Unternehmen ihre MitarbeiterInnen motivieren, die eigene CO2-Bilanz zu verbessern. Man setzt sich Ziele und erhält konkrete Vorschläge, diese zu erreichen. Erfreulich, dass sich schon große Konzerne wie A1 und die Credit Suisse dieses Instruments bedienen, um Bewusstseinsbildung zu leisten.

Wobei die Grenzen der Sustainovation-Räume fließend sind. Denn auch der Raum der Ideen ist mit Praktikern besetzt. Die Firma E-Go zeigt nachrüstbare Elektroantriebe für Downhill- und Freeride-Bikes, Monika Leutgeb stellt ihr in Gründung befindliches Unternehmen Variogo vor – eine Plattform für nachhaltige Mobilität. Das sind zwei ganz unterschiedliche Ansätze – wobei letzterer auch die Chancen der digitalen Welt für die Nachhaltigkeit aufzeigt: Mittels Webservice sollen in Zukunft Fahrgemeinschaften und Sammeltaxis in Echtzeit vermittelt werden. Der schon erwähnte Christoph Chorherr präsentiert die Initiative Ithuba, bei der Studierende aus Europa zwei Schulen in Südafrika bauen, Johann Zimmermann sein Produkt NAKU – natürlicher Kunststoff.

Man beschreitet Räume, von denen man nicht wusste, dass sie existieren

Es ist eine Fülle, die auf die Teilnehmenden hereinfließt. Aber wunderbar zu erleben, wie die Dinge zusammenhängen, wie auch im eigenen Kopf plötzlich Aha-Erlebnisse stattfinden. Ganz unvermutet. Weil sich Menschen aus unterschiedlichen Disziplinen begegnen und weil man Räume beschreitet, von denen man gar nicht wusste, dass sie existieren. Und das alles in entspannter Atmosphäre, in der sogar ein klassischer Wiener Heurigenabend Platz hat. Wien – also doch ein idealer Platz für grüne Innovationen? Der Heurige als Kreativlabor? Der Abendblick vom Kahlenberg auf die Stadt und die fließende Donau stimmt zuversichtlich.

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