Spirituell kreativ

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Über die Parallelen zwischen Spiritualität und Kreativität. Eine Annäherung an den Begriff Loslassen. Von Georg Bauernfeind

Spiritualität boomt derzeit ja unglaublich. Die Lebenshilfeabteilungen in den Buchhandlungen quellen über. Überall ist vom Loslassen die Rede. Ds gibt einzelne Stars dieser Szene – Anselm Grün, Richard Rohr, Eckart Tolle – und man wird den Eindruck nicht los, dass es denen auch nicht anders geht, als uns Kabarettisten: Alle zwei Jahre sollte man als Kabarettist ein neues Programm herausbringen. Spirituelle Autoren haben mit den Verlagen vermutlich ähnliche Abkommen. Kein leichtes Schicksal: Das Loslassen predigen und selber permanent produzieren müssen! Kann das zusammengehen? Ich sage ja, aber nur wenn…

Autoren, Kabarettisten und Kreative generell haben immer denselben Druck: Sie müssen kreativ sein, sie sollen Neues hervorbringen. Für Kabarettisten gilt: es soll auch noch witzig sein. „Komm, sag was Lustiges! Jetzt auf der Stelle.“ Der Druck kommt von allen Seiten, aber natürlich auch aus der gefährlichsten Ecke: aus sich selbst.

Ich kenne nicht alle spirituellen Bücher und Richtungen, aber wenn ich etwas verstanden habe, dann scheint sich doch dieser eine Gedanke durch die meisten spirituellen Strömungen zu ziehen: Die Unterscheidung zwischen einem falschen Ego und einem wahren Selbst. Sind Sie noch dran?

Belegen wir diese Behauptung am besten mit einem Zitat, gefunden bei Richard Rohr in seinem Buch „Wer loslässt, wird gehalten“: „Echte Kontemplation, echte religiöse Erfahrung, löst die Festung des „Ich“ auf und beseitigt seine Bollwerke.“ Es geht, so Rohr, um die Verbindung mit unserem innersten Kern. Kein leichtes Unterfangen in einer Welt, die – das dürften die spirituellen Denker Richard Rohr, Anselm Grün oder Eckart Tolle in ihrer Weltsicht einen – materialistisch und oberflächlich ist. Da muss man gar nicht das Klagelied über den Konsumrausch vor Weihnachten anstimmen, es genügt ein Blick in Unternehmen und Organisationen: Die Selbstdarsteller und die Blender setzen sich nach wie vor sehr oft in den Hierarchien durch (Ausnahmen bestätigen die Regel). Wer es nach oben schaffen will, braucht ein starkes Ego, braucht einen starken Schutzwall. Was jemand, der sich auf dem Weg des sogenannten Erfolges befindet, am wenigsten brauchen kann: Einen Zugang zum wirklichen inneren selbst.

Es steckt also in diesem Begriff „loslassen“ eine Haltung, die dem, was wir in der sogenannten „normalen“ Welt finden, diametral entgegengesetzt ist. Aber stimmt das so? Oder habe ich dabei etwas übersehen?

Ja. Die Kreativität. Denn das Absurde im Bereich der kreativen Entfaltung, scheint zu sein: Hier braucht man eine Portion Abstand vom Ego. Sonst wird das nichts. Natürlich gibt es auch in der Kreativbranche unglaublich viele Selbstdarsteller und Egomanen. Aber, so deute ich jetzt einmal den kanadischen Autor John Vorhaus und seine Aussagen in dem unbedingt empfehlenswerten Buch „The Comic Tool Box“: Wer weiterkommen will, muss auch loslassen. Mit dem Schreiben ist es wie mit dem Besteigen eines Berges (Ok, das ist jetzt noch nicht das Originellste an diesem Text, trotzdem dran bleiben, es kommt noch): Man setzt sich hin, schreibt drauf los und ist dann – wenn man den inneren Zensor überwunden hat – sehr froh, über das Ergebnis. Ist doch nicht schlecht, sagt man zu sich selbst. Das Problem: Mit dieser Haltung überlebt man als Kabarettist nicht. Der erste Versuch ist enorm wichtig. Aber der erste Versuch ist selten der Beste. Denn, wieder im Bild gesprochen, kaum ist man am Gipfel angekommen, entdeckt man, dass man keinen Berg sondern einen Hügel erklommen hat. Erst jetzt sieht man, dass es daneben einen richtigen Berg gibt!!! Es nützt nichts: Der Autor, der sich weiterentwickeln will – und jetzt kommt die Parallele zur Spiritualität – muss hinabsteigen. Unten ist es nebelig. Man kennt den Weg zum neuen Berg nicht. Man ist geneigt zu sagen: Ach, hier ist es ganz gemütlich. Es geht dann darum, vom bisher erreichten loszulassen. Auf den bloßen Verdacht hin, dass es noch besser geht und – das ist die zweite Parallele: Beim Überarbeiten, also beim zweiten Weg, ist alles auszusondern, was nicht dem Werk dient, sondern dem Ego!

Uh, das tut weh! Da erwischt uns John Vorhaus in unserer Selbstverliebtheit! Es nützt nichts: Der Künstler hat dem Werk zu dienen und nicht das Werk dem eigenen Ego! Komme ich also zu meiner Schlussfolgerung: Ich habe keine Ahnung, ob man in der sogenannten normalen Welt, also im Geschäftsleben, in der Wirtschaft, ob man dort durch Loslassen weiterkommt oder zum totalen Looser wird, der nicht ernstgenommen wird. Denn natürlich gibt es Dissertanten der Philosophie die als Portiere arbeiten, die sich dem „normalen“ Druck entziehen. Ich spreche hier bloß vom Bereich der Kreativität, von der Weiterentwicklung als Künstler: Wer weiter kommen will, muss immer wieder von vorne beginnen, muss Dinge verwerfen, die er für vollendet erachtet. Im Vertrauen darauf, dass die kreative Quelle nicht versiegt. Weil diese Quelle letztlich auch nur dann erfolgreich fließt, wenn sie hin und wieder an dem andocken kann, was von innen kommt.

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