Schattenarbeit ist heilsam

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Harald Koisser im Gespräch mit Mag. Atma Pöschl, „Coach für Körpersensibilisierung“. Sie bietet in Wien Seminare zum Thema „BDSM / Heilige Sexualität“ an. BDSM steht für „Bondage, Discipline, Sadismus, Masochismus“. Ein Gespräch an der Grenze, jenem Ort, wo laut Mag. Pöschl Begegnung stattfindet.

Was ist Dein Angebot als Trainerin und Coach für Körpersensibilisierung?

Ich begleite Menschen am Weg zu sich selbst, zu tiefer Berührbarkeit und authentischem Selbstausdruck, und meine Arbeit besteht zu 80% aus Berührung. Werkzeuge der Integrativen Körperpsychotherapie ermöglichen zudem eine klare Wahrnehmung persönlicher Grenzen – ohne Berührung. Und das ist für viele Menschen neu: Es braucht Grenzen, damit wir uns öffnen können. Ohne Grenzen ist da nichts, was sich öffnen ließe, dann sind wir mit unserer Wahrnehmung ständig beim anderen, oder als Endlosschleife eingeschlossen in uns selbst. Tiefe Nähe und Intimität brauchen zuallererst klar gespürte und kommunizierte Grenzen.

KlientInnen kommen auch mit sexuellen Fragestellungen zu Dir.

In unserer Leistungsgesellschaft ist der Wunsch nach Hingabe, Genießen und Empfangen Können sehr stark. Wenn wir ausschließlich unser Feuer, Schaffenskraft und Zielstrebigkeit kultivieren, verdampft unser Wasser, die Hingabe an den Fluss des Lebens. Wir werden sexuell lustlos, depressiv und landen im Burnout. Nichts Tun und ein entspannter Kontakt mit uns selbst nährt hingegen die Wasserenergie in uns. Hier setzt meine Arbeit an: Ich unterstütze Menschen dabei, in Kontakt mit sich selbst zu sein. Sexualität ist nichts anderes als eine sehr intime Form von Kontakt.

Wie berührst Du?

Ich berühre sehr individuell und biete körperliche Nähe an, eine Umarmung, ein Anlehnen oder sanftes Streicheln im Gesicht. Ich berühre achtsam und absichtslos, über Kleidung, oft am nackten Körper und auf Wunsch auch im Intimbereich. Meine Berührung bietet Raum für folgende Fragen: Wo ist die Quelle meiner Lust? Spüre ich überhaupt etwas? Bin ich fähig, Gefühle wahrzunehmen und dran zu bleiben, oder schweifen meine Gedanken dauernd ab? Wo bin ich, wenn ich berührt werde? Wenn nun Langeweile oder das altbekannte Gefühl „ich spüre nichts“ auftauchen, dann bist das Du, dann geht es genau darum. Und Du bist willkommen mit allem, was da ist, Traurigkeit, Angst, Unsicherheit, Schmerz – und der ganzen bunten Gefühlspalette.

Körperliche Nähe, das wissen wir alle, kann auch unangenehme Gefühle hervorrufen. Manchmal speichert der Körper sogenannte negative Erinnerungen und wird dadurch hart, taub und gefühllos. Bei Berührung können solche Erinnerungen wieder an die Oberfläche steigen – und so setze ich als Trainerin und Coach für Körpersensibilisierung meinen Körper nicht ein, um Dich von seelischem Schmerz abzulenken und „in Fahrt“ zu bringen. Mit Spannungsabbau aus Gewohnheit hat meine Arbeit auch nichts zu tun, auch nichts mit kurzer Triebabfuhr. Denn das Ziel ist Gefühlsöffnung und volle Körperlebendigkeit. Ein Orgasmus ist kein Ziel, er darf Wegbegleiter sein. Für mich bedeutet sexuelle Energie Leben, Lebenskraft und Lebendigkeit: Natürlich ist sie willkommen, wie alle anderen Gefühle auch.

An wen richtet sich Dein Angebot?

Wenn ich mit Frauen und Männern arbeite, die Intimität und körperliche Nähe noch nie geteilt haben, lasse ich mich im Rahmen meiner Arbeit mittlerweile auch berühren. Auf meine Website setze ich das nicht, es ergibt sich natürlich aus den individuellen Bedürfnissen meiner KlientInnen. Grundsätzlich lässt sich sagen: Man kann mich für Geld nicht kaufen und berühren. Ich selbst entscheide, ob dieser Schritt angebracht ist. Werde ich berührt, gebe ich Feedback wie: „Das fühlt sich gut an. Deine Berührung ist mir unangenehm, denn sie fühlt sich gierig an. Du bist nicht da. Ich kann Dich nicht spüren etc.“ KlientInnen bezahlen mich für dieses Feedback und nutzen meine Arbeit als Experimentierfeld und Entwicklungsmöglichkeit. Häufig begleite ich Menschen, die emotionale, körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt haben. Aber nicht zuletzt arbeite ich sehr gerne und häufig mit Frauen und Männern, die einfach nur genießen und relaxen wollen! Die Bandbreite meiner Arbeit ist groß.

Berührung ist ein Grundbedürfnis von uns Menschen. Warum kommen Menschen zu Dir und bezahlen dafür?

Babies, die nicht berührt werden, sterben. Und doch sind manche Menschen der Meinung: Was, dafür soll ich bezahlen? Und noch dazu so viel!? In unserer Gesellschaft herrscht enormer Leistungsdruck, was die Sexualität betrifft; Herz und Seele bleiben dabei oft einsam. Und so gibt es in unserer oversexed world viele Menschen, die Berührung – egal ob sie stattfindet oder nicht – nicht zulassen können. Das kann viele Gründe haben, häufig wurden körperliche und emotionale Grenzen in der Kindheit ignoriert und verletzt. Und doch sehnen wir uns alle nach erfüllender Sexualität mit einem Partner, einer Partnerin. Unsere sexuelle Erfahrung entspricht dabei immer dem Ausmaß an Kontakt, Nähe und Intimität, das wir mit uns selbst zulassen können. Sex ist der letzte Schritt am Weg, mangelnde sexuelle Erfahrung ein Symptom. Und Berührung beginnt lange bevor wir Körperkontakt machen und uns ausziehen. Berührung und Sex sind nicht zuletzt zwei Paar Schuhe: Sex ist immer Berührung, aber Berührung ist nicht immer Sex.

Was verstehst Du dann unter Berührung?

Berührung und Kontakt passiert im Raum zwischen Dir und mir. Fehlen klare Grenzen, macht dieser Zwischenraum Angst. Denn ohne Grenze sind wir in ständiger Abwehr und laufen Gefahr, überflutet zu werden. Auch deshalb landen viele Menschen viel zu schnell im Bett, ohne sich selbst und den anderen wahrhaftig zu spüren. Es könnte darum gehen, den Zwischenraum spürend zu durchqueren: Von hier, wo ich bin, nach dort, wohin ich möchte, zu Dir. Klienten, die sehr bedürftig sind, lasse ich manchmal einen Platz im Raum suchen, an dem sie sich wohl fühlen. Auch ich suche mir dann einen Platz und lade sie ein: „Komm her, berühre mich … !“ Das produziert fast immer enormen Stress, und damit arbeiten wir dann: Mit der Sehnsucht nach Nähe, der Angst davor und unterdrückter Wut. Auf Wunsch integriere ich übrigens auch BDSM Elemente in meine Arbeit: Die Auffassung, die ich von Berührung habe, ist sehr weit.

Welche Art von Kontakt ist BDSM?

Das Wort an sich ist leer, so wie das Wort „Tantra“. Wir müssen BDSM mit unserer eigenen Herzenskraft und Lebendigkeit füllen, um spüren zu können, ob hier ein Geschenk für uns liegt. Unterm Strich ist BDSM eine von vielen Möglichkeiten tiefer Begegnung und Berührung. Und ich beschreibe meine Seminare als Experimentierfeld für Menschen, die BDSM als eine von vielen Möglichkeiten erforschen wollen, mit sich selbst und anderen in Kontakt zu kommen. Meine Haltung als Körpertherapeutin: Eine Berührung ist so gut wie die andere. Jede kann Extase bringen, jede kann zutiefst irritieren, Streicheln genauso wie Schlagen. Denn der Körper speichert sog. „negative“ Erinnerungen, wird dadurch hart, taub und gefühllos. Und diese Erinnerungen drängen ins Leben, ans Licht. Passiert das in einem bewussten, klaren Rahmen und in liebevoller Verbindung mit Dir selbst und Deinem Partner, kann es Heilung bedeuten. Das trifft gerade auf sehr tiefe Körperempfindungen zu, die häufig alte Erinnerungen und Gefühle triggern.

Sich „einfach“ berühren lassen kann so befreiend sein – egal welchen Namen die Berührung trägt, ob wir von Massieren, Drauflegen, Schlagen oder Umarmen sprechen. Ob meine Berührung BDSM heißt oder nicht – es ist mir egal. Vor einiger Zeit habe ich mit einer Klientin gearbeitet, die noch nie Sex hatte. Ich habe sie sehr individuell berührt, mich mit meinem ganzen Gewicht auf sie gelegt und ihren Körper „als Turngerät benutzt“. So hat sie meine Berührung lachend beschrieben.

Du nennst deine Seminare „BDSM / Heilige Sexualität“.

Die Kombination von BDSM und „Heilige Sexualität“ ist für manche irritierend. SeminarteilnehmerInnen, die „nur draufhaun (lassen)“ wollen, suche ich nicht, ebensowenig jene, die keine Verantwortung für ihre Gefühle übernehmen und deshalb sagen „mach Du mal!“. Im konventionellen BDSM-Kontext bewerbe ich mein Angebot nicht. Wir erforschen BDSM als Selbsterfahrungstool, und das verlangt von SeminarteilnehmerInnen Offenheit und die Bereitschaft, sich auf den Prozess ihrer Gefühle einzulassen. Es geht weder darum, sich den mickrigen Selbstwert durch Dominieren aufzupolieren, noch sich mit immer größeren Schmerzen darüber zu belügen, dass man im Grunde gar nichts spürt.

Ich poste meine BDSM-Seminare z.B. auf XING, einer Business Plattform im Internet. Häufig antworten Manager, die im Job eisern dominieren und zum Entspannen selbst eine Domina suchen. Diesen Männern fällt es schwer, den Selbsterfahrungsaspekt meines Angebots zu erfassen. Auf die Frage „Wie ist Dein Bezug zu BDSM“ kommt selten eine klare, offene Antwort.

Du sprichst oft von Schattenarbeit. Was meinst Du damit?

Ich meine einen professionellen und bewussten Umgang mit sogenannten „unangenehmen Gefühlen“, Scham, Schuld, Wut oder seelischem Schmerz. Schattenarbeit kann heilsam sein. Sie braucht Mut und meint einen sehr reifen Umgang mit alten Traumata. Wir alle haben sie.

Wie reagieren die Menschen auf Dein Angebot?

Manchmal ist es frustrierend: Ich bin auf facebook in der Gruppe „Kulturwandel“, einer großen Gruppe mit über 700 Mitgliedern. Als ich mein Seminar dort beworben habe, wurde ich vom Administrator gelöscht. Ich würde ihn gerne fragen, was er denkt, was Kulturwandel ohne Sexualität ist. Es ärgert mich auch, dass ich gelöscht wurde, weil es mich mundtot macht. Und doch ist es wichtig, nüchtern und klar zu bleiben: Das ist meine Stärke.

Wie gehst du mit dem Vorwurf der Gewalt um? BDSM wird oft mit Gewalt gleichgesetzt.

Die größte Aggression schlägt mir aus Tantrakreisen entgegen. Es ist scheinbar leichter, fremde Bilder zu verfolgen als sich ein eigenes Bild zu machen. Und BDSM produziert in den Köpfen vieler Menschen ein Bild der Gewalt. Das ist Gewalt: wenn ich eigene ungeliebte und –gelebte Gefühle anderen Menschen unter psychischen und physischen Schmerzen aufzwinge. Es ist der Alltag vieler Familien und Glaubensgemeinschaften. Mit BDSM hat das nichts zu tun – genauso wenig wie das Konzept der Familie per se mit Gewalt zu tun hat. Meine Seminare bieten Platz für achtsames Spüren, ehrlichen Kontakt und Respekt – Dir selbst und anderen gegenüber.

Und doch braucht es Vertrauen, sich auf Deine Seminare einzulassen. Die Begriffe „Sadismus“ und „Masochismus“ sind konotiert, und ich lasse mich lieber vom Wort „Heilige Sexualität“ anziehen. Das macht ein „Ja“ in meinem Kopf. Ja, Sexualität hat etwas Heiliges. Nicht immer und automatisch, aber ganz gewiss: Ja! Sex ist die Verbindung zu Erde und Himmel. In den besten Momenten ist Sexualität ein Tor zur Transzendenz.

Und Erleuchtung erlangen wir nicht, indem wir das Licht imaginieren, sondern im Erforschen des Schattens. „Heilig“ kommt übrigens von „heil“ und meint „ganz“! Aber unsere Gesellschaft vergöttert den Schmerzens-Mann, gefoltert und nackt ans Kreuz genagelt; sein Abbild und Bilder von MärtyrerInnen zeugen auch von Extase. Sexualität und die Aggression als Lebenskraft sind hingegen des Teufels.

Gewalt beginnt in der Erziehung, wenn Kindern abgewöhnt wird, bestimmte Gefühle zu haben. Ich hatte auf einem meiner Fastenkurse eine wunderbare Pädagogin, die mit den Kindern im Kindergarten Wut-Übungen macht. Da dürfen sie Schreien und etwas kaputt machen. Sonst ist Aggression ja ein Riesen-Tabu.

Sexualität und Aggression sind die wichtigste Lebenskraft. Denn Aggression bedeutet nicht, dass ich aus dem Kontakt und auf Distanz gehe: Ich grenze mich ab und bleibe in Kontakt.

Auch ich schicke SeminarteilnehmerInnen in Grenzsituationen. Und auch bei mir gibt es keinen Mitmach-Zwang, so wie bei Dir. Manche machen trotzdem mit, dann geht es ihnen schlecht, und ich frage: „Warum hast du nicht aufgehört?“ Einmal kam die Antwort: „Weil ich brav bin!“

In meiner Familie wurde „Nein“ leider nur als Ausdruck von Aggression verstanden. „Nein“ war verboten. Und so bedeutete aggressiv Sein nicht, konstruktiv mit Differenzen um-, sondern einander aus dem Weg zu gehen. Meine Mutter verließ regelmäßig den Raum, wenn es Konflikte gab. Mein „Nein“ war ihr suspekt: Ich gehörte dann nicht mehr dazu, war vom „Wir“ ausgeschlossen. Das war für mich als Kind sehr bedrohlich. Also sagte ich „Ja“. Auch ich war brav.

Ich habe Leute kennengelernt, für die BDSM eine Erweiterung ist, und andere, die gar nicht mehr anders können. Dann bist du gefangen.

Vor langer Zeit kam ein Mann mit Windelfetisch in meine Praxis, weil er das selbst als zwischenmenschliche Sackgasse empfunden hat. Ich meine, alles was zwei Menschen Spaß macht, soll sein, idealerweise mit Herzenskontakt und ohne die andere als Stand-In für eine bestimmte sexuelle Vorliebe zu benutzen. Wahre Freiheit bedeutet für mich, mit meinem Herz verbunden zu sein.

Fesseln und fest Zupacken kann auch Freiheit bedeuten.

Natürlich, man darf auch raufen und sich dabei lebendig fühlen. Es muss nicht immer beim Sex das Licht ausgemacht und eine Kerze angezündet werden. Denn falsch verstandene Achtsamkeit kann sich tot anfühlen. Erlaubt ist, was beiden Spaß macht. Das ist lebendig.

www.institut-atma.at

Offene Gruppe 2012 „BDSM / Heilige Sexualität“

21.7., 25.8., 22.9., 27.10., 24.11. und

15.12. 2012

Mag. Atma Pöschl (Jg. 1970) ist Trainerin und Coach für Körpersensibilisierung. Sie arbeitet in Wien mit der Motivation, Hingabe, das Sich-tief-Berührenlassen und Empfangen in der Welt zu stärken und dieses innere Haltung an andere weiterzugeben. Ihre Seminare, Einzelarbeit und Berührungen sind letztendlich Lehrstunden, in denen der Körper als Tür zur Lust, zur Selbsterkenntnis und zur Stille erfahren werden kann.

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