Lebens-Mittel

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Elsa Spitaler ist Bio-Bäurin seit 1984, Gerhard Zoubek seit 1997, Ulrike Retter leitet das bekannte Biohotel Retter und ist auch Obstbäurin. Sie produzieren Lebensmittel, keine Nahrungsmittel. Harald Koisser über drei der immer größer werdenden Schar an Bauern und Bäurinnen, die nicht nur wertvolle Produkte selbst vermarkten sondern auch Botschaften in den Köpfen der KundInnen einpflanzen.

„Wir sind Bauern“, stellt Elisabeth Spitaler fest, „und keine Landwirte.“ Frau Spitaler und ihr Mann bauen nämlich an. Körndln!, sagt sie – also Weizen, Dinkel, Roggen, aber auch Klee und Gemüse. Alles rein biologisch, oben im Waldviertel. „Für die Landwirte ist das Land bloß Wirtschaftsgut. Da geht’s nur um eins.“ Und sie reibt Daumen an Mittel- und Zeigefinger. Guter Ertrag in der Geldbörse also.

Die „Landwirte“ bepflanzen die Felder eng, was zwar den Ertrag erhöht, aber den Pflanzen Stress verursacht. Wenn es regnet, bilden sich in der dichten Bepflanzung Pilze. Dann muss man spritzen. So kommt ein ungesunder Kreislauf zustande. Ein „Bauer“ hingegen spritzt nicht. Wozu auch? Die Natur richtet sich alles von alleine. Natürlich gibt es Schädlinge, aber jeder in der Natur hat auch seinen Gegenspieler. Es geht darum, diese Vielfalt zu fördern, und nicht sie auszurotten und niederzuspritzen. Frau Spitaler zeigt ein Bild, das sie im Frühling fotografiert hat. Zwei nebeneinander liegende Felder. Das eine ist mit Schnee bedeckt, das andere nicht. Na, welches ist unser biologisches Feld? Fangfrage für unbedarfte Städter. Hm? Na, das ohne Schnee! Weil der unterirdische Mikrokosmos in Ordnung ist. „Da tut sich unglaublich viel unter der Erde. Da wird gearbeitet und dadurch entsteht Wärme! Darum ist da kein Schnee mehr. Der Acker daneben ist tot, da kriechen die Tiere nicht hin.“ Sie spricht auch niemals von „Unkraut“, sondern von „Beikraut“. Unkraut gibt’s nämlich in ihrer Welt nicht.

Als die Spitalers 1984 beschlossen haben, biologisch zu produzieren, haben sie die Umstellung heimlich durchgeführt. „Wir ham gwusst, wir san glei die Spinnerten“, erinnert sich Frau Spitaler. Dann kam auch einige Unbill. Der Nachbar beauftragte jemanden, seinen Acker zu spritzen. Der Arbeiter kam – und spritze das Biofeld der Spitalers. Nach einem ersten Schock reichten die Bauern Anzeige bei Gericht ein. „Wir mussten reagieren, denn als Biobauer wird man ja kontrolliert. Und dann der Ernsteausfall!“ Vor Gericht verantwortete sich der leichtfertige Arbeiter damit, dass er unsicher gewesen war, welches Feld es denn sei, und dann habe er eben das Schönere gespritzt, denn „ich hab mir nicht denkt, dass der schönere Acker dem Biobauern ghört.“

Seit Kurzem produzieren die Spitalers auch in Demeter-Qualität. Abermals waren sie vorsichtig und haben erst probiert und dann geredet. Die Demeter-Ideologie erfordert ganzheitliches Denken. Der Bauernhof müsse sich als Betriebsorganismus verstehen, wobei „irdische und kosmische Lebenszusammenhänge und Rhythmen“ (Demeter-Philosophie) berücksichtigt werden müssen. Die Spitalers haben es berücksichtigt: „Nachdem wir super Erfolge mit Erdäpfeln hatten, haben wir gesagt: wir machen das, denn wir wollen Lebensmittel“, betont die Bäurin, „also ein Mittel zum Leben, etwas Lebendiges, was Leben spendet.“ Diesen Begriff habe man ja ganz vergessen und es habe schon seine Richtigkeit, dass man meist von Nahrungsmittelindustrie rede. „Nahrungsmittel!“ – Die Bäurin schüttelt sich vor Grauen. Da geht es nur um hohen Ertrag, schnelle Verfügbarkeit und Sattmachen. In der Nahungsmittelindustrie, so erklärt sie, wird von einem Korn alles entfernt, was gut ist. Die äußerste Schale mit den Ballaststoffen, die Hülle mit den Vitaminen und schließlich auch der Keim, wo das Leben sitzt (denn der Keim treibt aus und verringert die Haltbarkeit des Korns). So bleibt nur der weiße Mehlkörper mit seinem Eiweiß über. „Und daraus wird Brot gemacht und dann müssts ihr klane Kugerln mit Vitaminen schlucken. Alle reden vom Stoffwechsel“, lacht sie, „aber was für Stoffe sollen denn da wechseln? Is ja nix da.“

Jemand fragt, ob sie auch Fünfkorn-Brot mache. Sie lacht: „Herrjeh, aus fünf Körnern kann ich doch kein Brot machen. Ich brauche ein paar Tausend dazu.“ Fünfkorn, Siebenkorn, sie wischt es mit einer Handbewegung weg. „Vollkorn“ lautet das Credo der Demeter-Bäurin aus dem Waldviertler Pernegg, die nicht nur Körndl anbaut, sondern auch gesunde Samen in den Köpfen ihrer KundInnen setzt. Sie arbeitet für eine Welt der Lebendigkeit. „Mir gehört der Grund nicht, auf dem wir anbauen“, sagt sie, „der gehört der Erde. Wir haben bloß für eine zeitlang die Verantwortung dafür übernommen.“ Diese Form von Demut einigt alle Biobauern. Ohne diese Haltung ist ein liebevoller Umgang mit dem Boden, der uns nährt, schier undenkbar.

„Boden“ heißt auf hebräisch „adamah“ und unter diesem Namen findet man südlich von Wien in Glinzendorf einen Biobauernhof, der durch sein Biokistl bekannt geworden ist. Das kann man, bestückt mit Obst und Gemüse, abonnieren und sich vor die Haustür zustellen lassen. Woche für Woche. Wenn der Mensch nicht zum Bauern kommt, so muss der Bauer eben zu den Menschen kommen.

„Sie können ruhig Herr Adamah zu mir sagen, ich bin’s gewohnt“, meint Gerhard Zoubek und lacht, „gelernter Bauer bin ich keiner.“ Vielleicht gar nicht so schlecht, denn dann wäre er womöglich auch einer der namenlosen Rohstofflieferanten für Supermärkte. „Schrecklich, wie die Bauern sich von der Industrie versklaven lassen“, moniert er. Sie hätten ganz vergessen, wozu sie da sind – den Boden zu bestellen, das Beste daraus zu machen und direkt zu den Menschen zu bringen. „Die Supermärkte vermarkten Gemüse über Uniformität. Eine Karotte muss ausschauen wir die andere. Das nennt man dann Qualität. Und sie machen es über den Preis. Minus 25% auf alle Bio-Produkte. Das ist doch ein vollkommen falsches Signal. Und dann muss auch noch alles in Hochglanz verpackt sein, alles gewaschen und antiseptisch. Das ist ja ein Widerspruch in sich.“

Den Bauern würde es laut Herrn Adamah soviel besser gehen, wenn sie Verantwortung für die Vermarktung übernehmen würden. „Sie sollten sich die Frage stellen: wer braucht denn das, was ich mache? Und sich nicht von den Interessen der Konzerne einfangen lassen. Weil es ja den Marketingwahnsinn mit den dauernden Rabatten gibt. Wenn es eine Rabattaktion gibt, muss man ja wissen, das das nicht der Konzern zahlt, sondern die Lieferanten.“

Das romantische Bild vom Bauern wischt Zoubek vom Tisch. „Die unterscheiden genauso wie ein Büromensch zwischen Arbeitszeit und Freizeit. Man steht um 6 Uhr auf, dann geht’s auf’s Feld und es heißt arbeiten und Scheiß drauf und dann um 17 Uhr ziehen sie sich um und dann ist Freizeit und man geht ins Wirtshaus. Schade, denn alles ist Lebenszeit. Ich wollte immer mein Tun auf Lebenszeit ausrichten. Du interviewst mich jetzt, zahlst aber nichts dafür und ich dir auch nicht. Ist das jetzt Arbeit, Freizeit, oder einfach Leben?“

Gerhard Zoubek hat 1997 den Hof von den Schwiegereltern übernommen und sofort gewusst, dass er hier Lebenszeit investiert und etwas Sinnvolles machen muss. Sein Kistl ist heute eine Institution in Wien und Umgebung, aber „lieber wäre es mir noch, wir hätten eigene Bioläden in Wien“, meint Zoubek.

Die Chancen stehen ja gut. Adamah hat heute 8.500 aktive Kunden und beliefert wöchentlich rund 6.000 Haushalte. Dass das längst keine KundInnen mehr sind, sondern eine echte Community, zeigt sich daran, dass die Adamah-Kistl-BezieherInnen 70.000 Euro für eine Photovoltaik-Anlage bereitgestellt haben. Das wird natürlich verzinst – in Naturalien! Das ist für Zoubek auch das einzig Wahre.

„Gold, sagt man, ist das einzig Sichere“, lacht Zoubek, „aber von dem Edelmetall kann ich ja nicht abbeißen. Das einzige, was wirklich zählt, sind Lebensmittel. Was wir brauchen ist eine Währung, die durch Lebensmittel gedeckt ist. Alles andere ist Fiktion.“ Der Adamah-Biobauernhof veredelt seit einiger Zeit auch seine Produkte und bietet Marmelade, Tees, Öle oder Trockenobst an.

Im Veredeln ist Uli Retter vom Retter-Biohotel im steirischen Pöllauberg Meisterin. Dazu hat sie nämlich eine Hotelküche, in der es zu 90% regionale und biologische Kost in anerkannter Haubenqualität gibt. Und der Schwager hat seine berühmte Schnapsbrennerei. Wenn man in das bekannte und mittlerweile ziemlich große Hotel kommt – alleine über 20 Seminarräume, alle nach Feng Shui eingerichtet – glaubt man nicht, dass da mit 12 ha Fläche eine veritable Bio-Obstplantage dranhängt. Nein, „bio“, das Wort mag Frau Retter gar nicht so gerne, denn bei bio darf man ja immer noch spritzen, Zink und Kupfer gegen Fäulnis, aber die Retters spritzen nicht. Sie bekommen auch viel Obst von MitarbeiterInnen. „Die bringen das Obst aus ihren Gärten und ich weiß, die spritzen nicht. Das ist tolle Ware.“

Und wie geht das dann mit der Zertifizierung?

„Ich weiß, was ich tue“, sagt Uli Retter, „und da brauche ich keine Zertifizierung.“

Seit zwei Dekaden denken und handeln die Retters nachhaltig, ohne das Modewort je gebraucht zu haben. Alle Speisen regional und bio, nur hochwertige Materialien in der Bausubstanz, hohe Energieeffizienz, die Anlage ist geomantisch vermessen (Anm.: Geomantie ist die europäische Ausprägung von Feng Shui), alle Arbeiten werden ausschließlich von regionalen Handwerkern durchgeführt – sogar die MitarbeiterInnen werden ausschließlich aus dem regionalen Bereich rekrutiert. „Und denen geht’s gut“, lacht Frau Retter, „die bauen sich rundherum super Häuser.“

Dann kam jemand vom AMA-Gütesiegel. Ob sie nicht alle Lieferanten nennen wolle. Machen wir seit 15 Jahren, auch in der A-la-carte-Speisekarte! Alle AMA-Kriterien werden übererfüllt. „Dann kam eine Rechnung über 450,– Euro für Beratung und Zertifizierung“, lacht Uli Retter. Was sie mit der Rechnung gemacht hat, läßt sie offen. Ihr Lachen dabei ist frisch wie eine eben geerntete Hirschbirne.

Ah, die Hirschbirn’! Die Bauern haben Anfang der 90er Jahre gesagt, die gibt’s gar nicht. Heute ist sie auf Initiative der Brennerei Retter als eigene Sorte registriert und EU-weit geschützt und anerkannt. Die Obstbauern bekommen für ihr (gespritztes) Obst um die 18 Cent pro Kilo, für die völlig unbehandelte und in Ruhe reifende Hirschbirne gibt es 50 Cent/kg. Danke, Frau Spitaler, Frau Retter, Herr Zoubek.

Biohof Spitaler, 3753 Pernegg 18

Tel.: 02913/4154, www.spitaler.at

Biohof Adamah, 2282 Glinzendorf 7

Tel.: 02248/2224-0, www.adamah.at

Hotel Retter, 8225 Pöllauberg/Stmk

Tel.: 03335/2690, http://hotel.retter.at

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