Heilen mit Spaß und Liebe

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Sie haben sich ein Herz gefasst und „Einherz“ gegründet, eine Initiative zur Realisierung eines menschenwürdigen Gesundheitswesens. Junge MedizinerInnen wollen die „professionelle Distanz“ zwischen Arzt und Patient nicht mehr hinnehmen und bringen die Liebe ins Spiel.

„Während meines ganzen Medizinstudiums ist das Wort „Liebe“ nicht vorgekommen! Stell dir das vor!“ Alexander Radinger schüttelt den Kopf. „Und über das Sterben haben wir auch nichts gelernt, dabei ist man als Arzt dauernd damit konfrontiert.“

Radinger ist Arzt, universitär attestiert seit ein paar Monaten. Bewegt hat der junge Mann aber schon einiges. Gemeinsam mit einem Dutzend Gleichgesinnter hat er „Einherz“ ins Leben gerufen, eine Jungmedizinerinitiative zur Realisierung eines menschenwürdigen Gesundheitswesens. Ja, das Wort „Liebe“ soll dabei vorkommen, Anteilnahme, Mitgefühl und – Spaß. Und weil solch ein Verständnis von Heilung Basis einer gesamtgesellschaftlichen Änderung sein kann, hat der vor zwei Jahren gegründete Verein auch schon über 150 Mitglieder aus unterschiedlichsten Interessensgebieten. PsychologInnen, Musikwissenschaftler und UnternehmerInnen machen mit, wenn es darum geht, Symposien zu organisieren oder die Klinik der Zukunft zu konzipieren. Eine Einherz-Gruppe beschäftigt sich mit Sterbebegleitung und es gibt auch eine Clowngruppe. „Clowning is a trick to get love close“, sagt Patch Adams, Vater aller Clowndoctors und großes Vorbild für das Einherz-Team. Der Clown als sympathischer, naiver Archetyp kommt tasächlich den Menschen nahe, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Er ist das unschuldige Kind, dem sich die Herzen öffnen und dessen eigenes Herz sich öffnet. Der Kontakt mit Patch Adams hat „Einherz“ beflügelt. Der schrille amerikanische Arzt im Clownskostüm war im Oktober in Wien und hat gemeinsam mit hunderten Menschen das AKH in einer langen Menschenkette umarmt.

Umarmungen stehen übrigens auf der Tagesordnung von „Einherz“. Eine eigene Umarmungsaktions-Gruppe bietet vorzugsweise in Spitälern „gratis Umarmungen“ an, wie auch auf großen Schildern, die sie mit sich führen, versprochen wird. Es ist berührend, wie PassantInnen, Alt und Jung, Gesund und weniger Gesund einander in den Armen liegen und sich umarmen. Momente der Verwunderung, Momente der Liebe.

Man studiert Medizin, weil man die Menschen liebt – und genau das darf man dann nicht

„Die meisten studieren ja Medizin, weil sie die Menschen lieben“, sagt Radinger, „und genau das dürfen sie dann nicht. Das wird ihnen ausgetrieben.“ Er erzählt von Seminaren in ärztlicher Gesprächsführung, wo in Rollenspielen ein Anamnesegespräch mit einem Patienten simuliert wurde. Die Tutorin bekritelte im Anschluss, er wäre zu empathisch gewesen. Zu empathisch! So als ginge es nicht um Nähe und Anteilnahme. „Vielleicht will man uns vor zu starker emotionaller Verstrickung schützen“, vermutet der junge Mediziner. „Professionelle Distanz“ lautete das Lernziel an der Medizin-Uni – Distanz zwischen den ÄrztInnen und zwischen Arzt und Patient. Bloß keine Nähe! „Nach jedem Praktikum war ich unglaublich müde und erschöpft. Ich hatte das Gefühl, ich muss mich verstellen, ich darf keinen Fehler machen und darf keine Menschlichkeit zeigen. Der Umgang mit Fehlern war seltsam. Ich habe immer Angst gehabt Fehler zu machen – das ist keine gute Athmosphäre, um etwas zu lernen. Zuviel Angst erzeugt erst die Fehler.“

Angst scheint der Schlüssel für das Abgewöhnen von Mitgefühl und Anteilnahme zu sein. Angst vor mangelnder Souveränität, Angst vor Kontrollverlust. Ängste, die nicht nur MedizinerInnen, sondern auch ManagerInnen geläufig sein dürften. Alexander Radinger hat das System und die Angst überlistet, indem er immer kleine Fingerpüppchen mit sich geführt und die Patienten damit unterhalten hat. Von ganz hinten, wo man als Student bei den Visiten in den Spitalszimmern zu stehen hat. Ganz vorne der Primararzt, der sich das Lachen der Patienten nicht erklären konnte. Hat er sich umgedreht, um die Ursache der Heiterkeit im Raum zu erkunden, waren die Fingerpüppchen auch schon unter den verschränkten Armen verschwunden und Radinger blickte ernst und interessiert.

„Bin ich da richtig?“, hat sich Alexander Radinger oft gefragt. Aber ja! Und wie. Für alle, die noch einen Platz suchen, wo sie richtig sein können, hier die Internetadresse des beherzten Vereins: www.einherz.at

Dort findet man übrigens auch ein sehenswertes Video von den Umarmungsaktionen:
http://www.einherz.at/02_UEBER_UNS/020303_umarmung.php

Ein Kommentar zu “Heilen mit Spaß und Liebe”

  1. Amanda Cymbal sagt:

    Allergrößten Dank für diese wunderbare Einstellung. Meine Tochter weigert sich mittlerweile eisern, sich MedizinerInnen, die mit DIESER professionellen DISTANZ vorgehen, anzuvertrauen. Auch dann, wenn der Kaliumwert 2,4 oder der Gamma GT Wert bei 199 steht. Ich danke Ihnen sehr, denn wir haben uns auch sehr oft gedacht, das man/frau ja Menschen mögen muß, um dieses schwere Studium zu wählen. Danke, wir dachten schon, wir sind ver-rückt.
    Liebe IST der Schlüssel. Meine geliebte Schwester hat uns dieses Vermächtnis am Freitag, den 20. Mai, hinterlassen.
    2 herzlichste Grüsse von Amanda und Clarissa