Ein WIRKSsames Leben

Hans-Peter Dürr ist am 18. Mai 2014 in München verstorben. Ich war mit Dürr nicht verwandt und doch war er „Vater“ von WIRKS. Er hat mir den Begriff WIRKS geschenkt und ein tieferes Verständnis des Seins.

Dürr war Quantenphysiker, was er launig so erklärte: „Man schlägt einen Tisch auseinander. Dann hat man zwei Hälften. Dann macht man das mit diesen Hälften noch einmal. Und wenn man das sehr oft macht, ist man Quantenphysiker.“ Dürr hat mit Humor und einer Riesenportion Menschlichkeit seine Erkenntnisse aus der Quantenphysik lebenspraktisch dargelegt. Er war Wissenschaftler und dem Beweisverfahren verpflichtet. Wenn so ein Mensch sagt „Die Zukunft ist offen und nicht festgelegt“, „Alles hängt mit allem zusammen“ oder „Unsicherheit ist unsere Lebensgrundlage“ dürfen sich alle, die das schon immer gefühlt haben, aufatmend bestätigt fühlen, ohne gleich in Esoterikverdacht zu kommen.

„Die Zukunft ist offen, die Schöpfung ist überhaupt nicht abgeschlossen. In jedem Augenblick wird diese Welt neu geschaffen. Es gibt auch nicht so etwas wie einen Gegenstand, ein Teilchen, das mit sich selbst in der Zeit identisch ist, das ist nur eine Fiktion. Die moderne Physik zeigt uns das.“ Also: kein Grund zur Annahme, dass alles vorherbestimmt ist.

Dürr erforschte das kleinste Teil der Materie. Er wollte wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Und er fand – WIRKS. Im ganz Kleinen gibt es keine Materie mehr, sondern nur das, was üblicherweise zwischen Materieteilchen passiert – Schwingungen, Wellen, Magnetismus. Das kann man messen. Die dazugehörende Materie aber fehlt. Dürrs Conclusio: Die Welt wird nicht von Materie zusammengehalten, sondern von dem, was dazwischen ist – von Beziehungen. Die kleinste Einheit des Kosmos war für ihn daher nicht ein Atom oder ein Quark, sonder ein WIRKS – eine Wirkungseinheit.

Lesen Sie hier ein Gespräch, das mein Freund, der Weitenwanderer Reinhold Richtsfeld, ein Jahr vor dem Tod von Hans-Peter Dürr führen durfte. Danke Reinhold! Danke, Hans-Peter Dürr!

 

Unsicherheit ist der Ursprung des Lebendigen

 

Reinhold Richtsfeld: Ich selbst bin Umweltaktivist. Mir geht’s bei meinen Vorträgen darum, auf diese Probleme hinzuweisen. Da bin ich auch sehr inspiriert von Ihrem Schaffen. Jetzt wissen wir seit 30 Jahren von den Grenzen des Wachstums. Warum ist so wenig passiert?

Hans-Peter Dürr: Wir denken nur daran, wie wir als Menschen über die Runden kommen, aber nicht, wie wir Menschen mit der Natur gemeinsam über die Runden kommen. Wir sind leider die ersten, die rausgeschmissen werden, wenn etwas nicht klappt. Die Natur ist sehr robust, denn in dreieinhalb Milliarden Jahren hat sie herausgefunden, wie man in einer unvorhersehbaren Zukunft überleben kann. Die Antwort war immer: du musst kooperieren. Die fossilen Brennstoffe wurden in Millionen von Jahren aufgebaut und wir verbrauchen sie in einem einzigen Jahrhundert. Das ist nicht sehr kooperativ. Da kann die Natur nicht nachkommen, die Balance wieder hinzubekommen. Wir Menschen sind jetzt leider nicht in einem Zustand, wo wir sicher sind, wenn wir einfach nichts tun. Da stürzen wir ab. Wir brauchen einander. Wir müssen etwas tun. Aber was? Wenn ich jemanden kenne, der etwas lösen kann, was ich selbst nicht lösen kann, dann ist es ganz wichtig, dass der andere da ist. Und der ist froh, dass er gefragt wird. Für ihn ist das eine Freude, wenn er der Gemeinschaft etwas geben kann. Und für mich ist es eine Überlebenschance.

Reden wir da von etwas, was in Politik und Ökonomie noch weit von einer Umsetzung entfernt scheint? Ich beobachte eine starke Beharrungstendenz.

Wir denken, das Wichtigste wäre heute Sicherheit. Genau darin besteht die falsche Interpretation. ich nämlich vollkommen sicher bin, dann bleibt alles beim Alten. Viele sagen, wir wollen die Nachhaltigkeit haben. Im Englischen ist das sustainability, the ability to sustain. Das heißt, wir müssen eine Fähigkeit entwickeln, dass alles beim Alten bleibt. Das ist genau nicht der Fall. Weil ich möchte ja lebendig bleiben. Oder auch „Nachhaltigkeit“: da schlafen mir ja die Füße ein. Wenn ich das haben möchte, ist das die Auffassung, ich lege mich sofort ins Grab und dann habe ich das erfüllt. Der Punkt ist, dass wir die Veränderung brauchen. Die Unsicherheit ist der Ursprung des Lebendigen. Wir müssen direkt froh sein, wenn wir in die Unsicherheit kommen. Warum haben wir denn Angst? Es gibt andauernd Unsicherheit. Etwa, wenn ich meinem Enkelkind das Fahrradfahren beibringe. Dann sage ich: Setze dich mal aufs Rad und ich halte dich hinten fest. Dann laufe ich mit dem Kind und nach einiger Zeit lasse ich los. Und das Kind fährt weiter, zehn Meter oder mehr und dann fällt es hin und heult. Und ich komme dann hin und das Kind sagt: „Opa nochmals“. Es hat etwas gelernt.

Wenn ich mich auf dieses unsichere Terrain hinauswage, muss ich mich oft auf das Gefühl verlassen. Sie sagen, wir brauchen wieder mehr Orientierungswissen und auch mehr Spiritualität. Was könnte uns in diesem Moment weiterhelfen? Ich denke mir oft, in den Lehrplänen müssten Fächer stehen wie: Respekt vor anderen Kulturen, Freundschaft, Liebe, rechte Rede.

Ich treffe einen jungen Mann und ich frage, wie es ihm geht. Und er sagt: Es geht mir eigentlich gut, ich war immer gut in der Schule, aber ich bin nicht zufrieden. Ich kann auf 40.000 Fragen die richtige Antwort geben. Jetzt komme ich da raus und keiner stellt mir eine dieser Fragen, auf die ich eine Antwort habe. Was soll ich machen? Ja, weil da Draußen kommen diese Fragen nie vor. Die gibt es nur in der Schule. Wir haben es so gemacht, dass es eine feste Antwort gibt. Wir haben eine ganz falsche Entwicklung. Lebendig sein bedeutet, kreativ zu sein und zu wissen, dass wir nicht etwas wiederholen müssen, was schon da ist.

Sie sagen, Zivilgesellschaft sollten sich stärker als dritte Kraft neben Staat und Wirtschaft etablieren. Aber sie investieren Jahrzehnte ehrenamtlich viele Stunden und irgendwann brechen sie zusammen.

Man muss in der Realität bleiben. Man muss Geld verdienen, denn ohne geht es nicht, damit man überleben kann.
Wenn wir Schwierigkeiten mit unserer Umwelt haben, dann kommt die Forderung – und das habe ich von einem Biologen gehört – ,dass wir Krieg mit der Natur anfangen müssen. Er sagt, das wäre die Pflicht zur Widernatürlichkeit. Er meinte, wir wissen, wie wir das Lebendige in den Griff bekommen. Wir brauchen die Natur dazu nicht. Wir müssen uns bloß davor sichern, dass die Natur uns nicht kaputt macht. Was passiert da in diesen Köpfen? Die denken gerade einmal für 30 Jahre und sagen dann: gut, da muss jetzt die nächste Generation eine Lösung finden. Da läuft etwas schief. Der Grund, warum es bei mir selbst nicht schief läuft ist: ich kenne nicht nur unsere Wirtschaft, sondern ich komme in der Welt herum.

Viele verstehen nicht, dass ich mich in China so hineinknie, um etwas zu ändern (Anm.: Dürr beriet die chinesische Regierung). Du kannst doch nicht annehmen, dass du mit deiner Verhaltensweise die Machthaber überzeugen kannst. Ja, was bleibt mir den anderes übrig? Ich sitze in diesem Boot. Die Chinesen schauen uns alles ab. Aber sie wollen unsere Technik, nicht unsere Wirtschaftsrichtung. Die wissen schon, dass wir alle nur überleben, wenn wir kooperieren. Die haben eine andere Philosophie, den Taoismus. Das bedeutet: dort, wo du gehst, ist dein Pfad. Jeder Mensch ist anderes und das bedeutet, dass er auch einen anderen Pfad hat.

Als Physiker sage ich: es gibt im Grunde gar nichts, was nicht lebt. Und das gibt mir den Optimismus. Wir waren vor 3,5 Mrd. Jahren nur eine chemische Brühe. Absolut ungeordnet. Und jetzt sind wir lebendig. Das verstehen wir irgendwie nicht.

Dass über die Vergangenheit so negativ geredet wird, liegt daran, dass ein Baum, der fällt, mehr Krach macht als der Baum, der wächst. Das ist ein tibetisches Sprichwort. Unsere Geschichtsschreibung besteht aus fallenden Bäumen. Es wird nur gesagt, was kaputt gemacht wurde. Die Veränderung ist langsam und das gibt einem die Möglichkeit, von der Kooperation Gebrauch zu machen.

Um diese Kooperation aufzubauen braucht es Vertrauen. Sie schlagen vor, Dialog zu führen und echte Kommunikation sowie Betroffenheit zu erzeugen.

Ich bin konfrontiert mit einer Situation, in der ich zuvor noch nicht war. Am Anfang weiß ich nicht, was es ist. Aber dann fallen mir gewisse Hilfestellungen ein, die ich von anderen gelernt habe. Ich kann sie vielleicht kombinieren. Ich war selbst oft in einer Situation, wo ich nicht weiter wusste. Mach einfach weiter und versuche, dich zu erinnern, was du in der Vergangenheit gemacht hast. Keine Angst. Wir kriegen Hilfe von Außen. Die Sonne scheint auch jeden Tag. In einem Gespräch übertragen wir relativ wenig Information. Aber die Hauptsache ist, dass wir den anderen an etwas erinnern, was er schon weiß und vergessen hat. Ich muss auf den anderen hören und in eine Situation kommen, wo ich nicht sofort sage, was ich glaube, sondern wo ich mich hingebe. Ich öffne mich ganz. Darum geht es.

 

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