Die Ameisen retten die Welt

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Das Kunstprojekt HumAnt gebiert mit spielerischer Leichtigkeit utopische Kooperationen zwischen Mensch und Ameise. Von Georg Bauernfeind
Die Kreativen also! Wenn alle Stricke reißen, dann sollen die Kreativen den Karren aus dem Dreck ziehen. So hieß es damals, kurz nach der inzwischen fast schon vergessenen Finanzkrise 2009. Was aber, wenn die Kreativen sagen: „Nein, wir nicht! Wir überlassen das den Ameisen.“ Dann sind wir mitten in einem Kunstprojekt des Designerkollektivs vom Atelier Am Stein.

Kirchberg am Wechsel beherbergt nicht nur das jährliche Wittgenstein Symposium, durch das es sich als Austragungsort spektakulärer Denkveranstaltungen bewährt hat, sondern auch einen Fußballplatz.  Auf der kleinen Anhöhe, bevor man diesen erreicht, stand früher das alte Wirtshaus Am Stein. 2010 wurde das Gebäude generalsaniert – nur die alte Wirtsstube blieb im Originalzustand erhalten, der dazugehörige Kuhstall wurde zum Atelier, mitten in einer Lichtung am Waldrand. HumAnt heißt das Kunstprojekt von Wolfgang Hartl und seinem Team, das sich im Rahmen des diesjährigen Viertelfestivals Niederösterreich präsentierte. Es lädt auf ein Gedankenexperiment der besonderen Art ein: Was wäre, wenn die Spezies Mensch viel intensiver mit der Spezies Ameise kooperieren würde? Könnten wir Menschen von den Ameisen nicht sehr viel lernen? Gut, auch die Kooperation zwischen Mensch und Katze oder Mensch und Hund wurde nicht an einem Nachmittag in die Wege geleitet – aber angenommen, die Ameisen wissen von uns: Warten sie dann nicht schon die längste Zeit auf ein Angebot? Wie könnte dieses aussehen? Und könnten sich dadurch nicht ganz neue Wirtschaftsräume, ja, Industrien auftun, die uns einen Weg aus der Krise zeigen?

Industrie-Utopien lautet das Motto des Viertelfestivals 2011. Dann bleiben wir doch kurz bei den Utopien: Ameisen können Lasten bis zum 50- 60-Fachen des eigenen Körpergewichts tragen. Für eine Lkw-Ladung von 30 Tonnen bedarf es daher 30 Millionen Ameisen. Wenn alle weltweit existierenden Ameisen mithelfen, könnte man 333 Millionen Sattelschlepper auf den Straßen einsparen. Wenn das kein Beitrag zum Klimaschutz ist!

An der Grenze zwischen Ernstheiterkeit und Lust an der Innovation werden an diesem sonnigen Juninachmittag unterschiedliche Denkwege beschritten. Denn davon ist Wolfgang Hartl, Initiator des Projektes, überzeugt: Neues entsteht auch durch eine Form von „useless knowledge“, durch völlig freies Denken. Wagen wir also das Experiment: Wie könnte eine Nutztierhaltung von Ameisen aussehen? Könnte man Ameisen nicht in Hohlziegeln ansiedeln und sie für die Wärmedämmung von Gebäuden nützen? Die Ameiseneier wurden früher an Singvögel verfüttert – vielleicht auch eine neue Delikatesse für Menschen? Aber wäre das dann eine echte Kooperation? Schließlich sind die Ameisen und die Menschen von der Biomasse her gesehen gleich schwer! Müsste man sie, wenn man sie in das Wirtschaftssystem einbinden möchte, nicht für ihren Beitrag zur Bildung von Humus mit CO2-Zertifikaten entlohnen?

Die nähere Beschäftigung mit den Ameisen nötigt Respekt ab: Man hat Fossilien von Ameisen gefunden, die über 100 Millionen Jahre alt sind. Wir Menschen existieren erst seit 2 Millionen Jahren! Sie haben ihr Zusammenleben unglaublich gut organisiert und kommunizieren über chemische Botenstoffe enorm schnell innerhalb eines Ameisenstaates. In der größten Superkolonie kooperieren mehrere Milliarden Ameisen in einem Netzwerk, das sich über 6000 Kilometer erstreckt! Die Spezies der gelben Wiesenameise befördert bis zu 7 Tonnen Erde pro Hektar und Jahr an die Oberfläche. Die Blattschneiderameise beherrscht seit 50 Millionen Jahren die Herstellung von Antibiotikum, der Mensch erst seit 1910!

Die Ausrichtung auf das Gemeinwohl gibt dem Ameisenstaat Stärke

Zum Symposium waren Kreative aus verschiedenen Sparten geladen – aus Werbung, Kommunikation, Musik und Biologie. Der Innovationsexperte Christof Mandl machte darauf aufmerksam, dass man einen Ameisenstaat auch als Individuum betrachten kann, nicht nur die einzelne Ameise. Vor allem der Bereich der Kommunikation durch Botenstoffe und die damit verbundene Möglichkeit auch andere – feindliche – Ameisenstaaten zu übernehmen und „umzucodieren“, stößt bei den Anwesenden aus der Kommunikationsbranche auf Interesse. Ein Ameisenstaat ist ein hierarchisches System – aber ist er nicht auch ein sehr komplexes System und zeigt uns nicht die Natur, dass gerade komplexe Systeme viel höhere Überlebenschancen haben als lineare? Die Ausrichtung auf das Gemeinwohl gibt den Ameisen eine enorme Stärke. Im Gegensatz zu uns Menschen, die wir  offensichtlich durch die zunehmende Individualisierung viele Probleme produzieren: Haben wir nicht das Bauen von Städten verlernt? Waren wir etwa beim Bau von Höhlenwohnungen in alten Wüstenstädten den Ameisen nicht viel näher? Oder auch die Art und Weise unserer Mobilität: Ameisen können ohne Probleme übereinander klettern, verwenden sich gegenseitig als Brücken und Leitern. Wir stehen im Stau. Wäre das nicht eine Utopie, liebe Automobilindustrie: Autos, die auch über- und untereinander fahren und parken können?

Gegen Ende des Symposiums wird man immer nachdenklicher. Überleben die Ameisen nicht deshalb schon so lange, weil sie so klein sind? Sind wir Menschen nicht viel zu grobschlächtig? Und wenn „Downsizing“ ein Ansatz ist – müssten dann nicht jene Unternehmen belohnt werden, die sich eine Verringerung der Umsatzzahlen als Ziel stecken?

Eines ist für das Projekt HumAnt nach diesem ersten Symposium klar: Die Sichtbarmachung der Leistung der Ameisen steckt noch in den Kinderschuhen. Es gilt, noch jede Menge Vorurteile abzubauen. Aber wenn das gelingt, dann stehen die Chancen gut,  viel von diesen unseren Mitbewohnern zu lernen. Auch für die Rettung unserer Art und des Biosystems dieses Planeten. Obwohl eines dann doch vorsichtig prophezeit wurde: Sie werden uns wahrscheinlich überleben!

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