Aufbruch

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Vom Aufbrechen des Einzelnen zum Aufbruch der Gemeinschaften: Wie sich Veränderungsprozesse ereignen und wohin die Reise für die westliche Gesellschaft gehen könnte. Von Georg Bauernfeind

Es ist vom Wandel die Rede. Auf Konferenzen und Tagungen, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen, schwebt die Idee einer neuen Wirtschaft, ja einer neuen Welt unsichtbar durch die Räume. Bei der 2. Konferenz des Bonner Denkwerks Zukunft, die im Jänner dieses Jahres über die Bühne ging, hieß das Thema „Weichen stellen. Wege zu zukunftsfähigen Lebensweisen“. Die Diagnose: Wir zerstören, wovon wir leben. Die Kapazität des Planeten wird überbenutzt. Wir – als Menschheit – müssen uns deshalb fragen: Können wir auch anders? Sind wir lernbereit? Wodurch könnten wir zu einem anderen Lebensstil gelangen?

Aufbruch also. So heißt das, wenn sich jemand radikal verändert und eine neues Kapitel in seiner Biographie aufschlägt. Aufbruch zu einer anderen Form des Wirtschaftens, Aufbruch zu einer neuen Form des Zusammenlebens – das ist es, was sich auch immer mehr Menschen für die Gesellschaft insgesamt erhoffen. Zumindest besagt das die EMNID-Umfrage aus dem Jahr 2008 – am Höhepunkt der Finanzkrise: Über 80 Prozent der Menschen in Österreich und Deutschland sind mit den herkömmlichen System nicht mehr zufrieden. Der Wunsch nach Veränderung ist also latent da. Aber wie kommt es dazu, dass aus einem vagen Wunsch ein echter Aufbruch wird? Und braucht es für einen großen Aufbruch in der Gesellschaft, nicht viele kleine Aufbrüche – von Individuen und Gruppen? Und wenn es einen großen Aufbruch gibt – in welche Richtung soll der gehen?

Katharina Liebenberger leitet in Wien das Zentrum für Perspektiventwicklung. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren damit, wie Menschen ihren Lebensweg verändern, begleitet Frauen und Männer die in Umbruchsituationen sind. Oft kommt der Impuls zur Veränderung von außen. Unfreiwillig. Jobverlust oder Burnout sind die Anlässe – immer öfter auch in Kombination. Bei manchen ist das dann der Zeitpunkt, einer meist schon länger vorhandenen Unzufriedenheit auf den Grund zu gehen. „Viele können auch körperlich einfach nicht mehr weitermachen.“ Bis es zu einem Neustart kommt, werden meist mehrere Phasen durchlaufen. Trauer über das Vergangene und ein „sich nicht eingestehen wollen der Konsequenzen“, sind dann ganz normale Reaktionen. Denn niemand spürt gerne, was es heißt, den Job zu verlieren. Echte Trauer und eine Versöhnung mit dieser Situation sind notwendige Voraussetzungen, um für das Neue Raum zu schaffen.

Gerade bei Personen, die schon lange im Berufsleben stehen, die lange bei ein und demselben Arbeitgeber waren, hört sich das leichter an, als es ist. In der Begleitung gehe es darum, den Kontakt zu den eigenen Wünschen wieder her zu stellen. Oft gibt es verschüttete Visionen. Aber aufgrund verschiedener Loyalitäten –  zum Beispiel dem bisherigen Arbeitgeber oder dem eigenen Elternhaus gegenüber – werden vorhandene Ideen und Träume sofort verworfen. Oft sind auch alte Glaubenssätze für Aufbrüche in ein neues Lebensmodell nicht hilfreich. Etwa wenn jemand unbewusst meint, „erfolgreich im Beruf und gleichzeitig eine gute Mutter/ ein guter Vater zu sein, das schließe sich aus.“

Hier kann man mit Coaching-Methoden weiterkommen. Oft hilft aber auch der Umgebungswechsel. Katharina Liebenberger empfiehlt in Umbruchsituationen unbedingt die Erweiterung des eigenen Netzwerkes. Sie selbst bietet eine Kleingruppe an, in der sich drei bis sechs Personen einmal im Monat treffen, um über ihren beruflichen Veränderungsprozess zu sprechen. Personen aus dem bisherigen Umfeld sind oft nicht bestärkend – schließlich richtet eine Veränderung in der Kollegenschaft auch die Anfrage an die eigene Zufriedenheit.

Es ist keine leichte Aufgabe, sich aus einem vertrauten Umfeld in etwas Neues hinein zu begeben. Doch es gibt sie – die großen Verwandlungsprozesse, die Metamorphosen. Da wird jemand im Alter von 55 zu einem erfolgreichen Therapeuten. Eine Apothekerin entdeckt mit Mitte 40 ihre Berufung zur Fotografin. Damit diese Übergänge erfolgreich verlaufen, braucht es mehrere Faktoren, meint Katharina Liebenberger: Einen starken Wunsch und das Ja zu diesem Wunsch. Ein Vertrauen auf die innere Stimme und eine Vision der Zukunft, die „Kraft hat.“ Das ist dann die Aufgabe des Mentors, der Mentorin, die Kraft dieser Vision zu überprüfen, eventuell auch durch Provokation auf die Probe zu stellen.  Wenn die Zukunftsidee noch schwach ausgeprägt ist, dann hilft es, sich auf einer Phantasiereise vorzustellen, wie das Ganze in zwei oder drei Jahren aussieht, also „hinter das Problem zu gehen“.

Gut. Das sind Bausteine für individuelle Prozesse. Aber wie sieht das eigentlich mit dem großen Aufbruch für die Gesellschaft aus? Gelten auch für unsere westliche Gesellschaft diese Phasen der Veränderung? Eine Unzufriedenheit scheint gegeben, aber gibt es eine Vision?

Auf der Berliner Konferenz der Stiftung Denkwerk Zukunft deutete die am Boston College lehrende Juliet B. Schor einige Eckpfeiler für einen solchen Aufbruch an: „Ein Leben, bei dem wir uns – auf hohem Niveau – wieder stärker selbst versorgen, eher in kleineren, dezentralen Einheiten produzieren, Produkte teilen und gemeinschaftlicher leben.“ Das bringe mehr Zeitwohlstand, Zufriedenheit und Gesundheit. Ein Beispiel dafür ist die Transition-Town-Bewegung die von Amerika kommend auch in Deutschland und Österreich allmählich Fuß fasst. Da entstehen kleine Gruppen, die sich jetzt schon auf die Zeit nach Peak-Oil vorbereiten und versuchen als Gemeinschaften klimafreundlich zu leben.

Ira Mollay, Buchautorin, Trainerin und ehemalige Geschäftsführerin von Greenpeace Österreich bestätigt diese Eckpfeiler: Es geht beim anstehenden Paradigmenwechsel um ein gutes Leben für alle, um einen nachhaltigen  Umgang mit Ressourcen und um Werte wie Zusammenarbeit, Wertschätzung und Dankbarkeit. Sie rät dazu, eher auf die vielen kleinen Aufbrüche zu sehen, als auf DEN großen Aufbruch zu warten. Das ist auch der Zugang ihres neuesten Projektes, das sie die „Mutmacherei“ nennt. Denn: Der Aufbruch, oder der Wandel, da ist sich Ira Mollay sicher, der findet schon statt. Aber er wird von vielen noch nicht bemerkt. In ihrem Projekt „Mutmacherei“ hat sie eine Art Landkarte des Neuen erstellt. Sie präsentiert demnächst in einem Vortrag eine Reihe von Initiativen, die sich voller Optimismus und Lebensfreude unterschiedlichen Themen widmen: Die genannte Transition-Town-Bewegung ist ein Beispiel, Cohousing-Projekte sind weitere. Denn mehr Menschen als man glaubt, machen sich derzeit Gedanken, über Alternativen zum herkömmlichen Lebensstil. „Die Mehrzahl der Menschen ist ja auch nicht wirklich zufrieden“, meint Ira Mollay. Aber viele wissen gar nichts von alternativen Bewegungen, von Projekten, bei denen sie sich einbringen könnten. Mit der Mutmacherei möchte sie Abhilfe schaffen. In Vorträgen sollen „Mutmacher und Mutmacherinnen“ über die Vielzahl an Initiativen berichten und dadurch Menschen erreichen, die sich außerhalb der Nachhaltigkeits-Community bewegen. Denn vielerorts herrschen Hoffnungslosigkeit und Resignation. Man ist gegen Atomkraft, unterschreibt aber nicht. Bei den meisten dieser neuen Projekte zieht sich ein Trend durch: Es geht wieder in Richtung Gemeinschaft.

Aber können wir das? In Gemeinschaft zu leben und zu arbeiten – freiwillig? Ohne hierarchische Struktur? Und wie entsteht eine Dynamik, in der sich Gruppen auf den Weg machen, etwas Neues auf die Beine zu stellen? Die gemeinsame Vision, der verbindende Traum ist notwendig, meint Ira Mollay. Nach dem ersten Feuer steht die Gruppe dann oft vor der Schwierigkeit, sich selbst eine Struktur zu geben, eine gemeinsame Verfassung, in der geklärt wird, wie Entscheidungen fallen. „Das müssen wir erst lernen. Wir haben als Gesellschaft noch kaum Erfahrung damit, miteinander auf Augenhöhe umzugehen.“ Die basisdemokratischen Modelle der 60er Jahre hätten sich nicht wirklich durchgesetzt. Ein Wechselspiel zwischen Leadership einzelner und dem Einbeziehen der Gemeinschaft sei gefragt. Wenn es der Gruppe gelingt, sich selbst eine gute Struktur zu geben, dann habe sie eine erste große Hürde überwunden, dann sei die Chance für eine gemeinsame Zukunft gegeben.

Insgesamt zeichnet diese neue Bewegung von Gruppen und Initiativen ein Miteinander aus. Der Konkurrenzgedanke sei kaum vorhanden, man verlinkt sich und berichtet übereinander. Auch wenn diese Vielfalt an Basisorganisationen in der Medienwelt noch nicht abgebildet sind – es tut sich enorm viel. Ira Mollay empfiehlt, sich mit diesen Aufbrüchen zu beschäftigen – auch aus psychohygienischen Gründen. „Es tut einfach unglaublich gut, wenn man von so vielen positiven Gemeinschaften und Impulsen hört und liest.“ Ein Argument, dass der Neurologe Gerald Hüther sicher unterstreichen würde. Er hielt bei der Denkwerk Zukunft Konferenz in Berlin ein vielbeachtetes Referat über die Begeisterung als Quelle für Veränderung. Es muss nicht immer der Zusammenbruch sein, der Menschen aufbrechen lässt. Auch die Kraft der Begeisterung kann radikale Veränderungen auslösen. Alternativen zur herkömmlichen Gesellschaft müssen Herz und Hirn wirklich erfassen. Dann lassen sich auch neue Gruppen für den Aufbruch in eine nachhaltige Gesellschaft ansprechen.

Links:

www.denkwerkzukunft.de

www.perspektiventwicklung.at

www.iramollay.net

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