Skulpturen von Walter Angerer – Die Gewalt der Stille

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Der nachfolgende Text ist eine schriftliche Laudatio auf Walter Angerer-Niketa, die ich für einen Ausstellungskatalog verfasst habe. Es liegt mir am Herzen, ihn hier zu bringen. Weil Walter Angerer still ist und schwierig und die Grenzen der Kunst auslotet. Harald Koisser

Etwas Unerhörtes war geschehen. Die Affenhorde war in Aufruhr. Es war des Kreischens kein Ende. Ein schwarzer Monolith hatte sich manifestiert, der steinerne Gegensatz zu allem Organischen, aus dem die Welt vor tausenden Jahren ausschließlich bestanden hat. Schwarzer, kühler Stein, rechte Winkel, strenge Geometrie! Nichts, was Affen je zuvor gesehen hatten. Eine Manifestation von Kultur, eine Möglichkeit des Andersseins.

Diese Schlüsselszene aus Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ kam mir  in den Sinn, als ich das erste Mal auf Walter Angerer-Niketas Skulpturen prallte. Der fleischlich gesinnte Geist, bereit, im Vorbeischlendern Kunst zu konsumieren, wird arretiert und zur Einkehr gezwungen. So seicht kommt der Konsument nicht davon. Der mächtige Stein – Labradorstein, Thassos Marmor, Granit – schlägt das Auge in  Bann, gibt ihm aber nichts zum schnellen Ergötzen und Wiedererkennen. Das voreilige Urteil erstickt, man muss sich anfreunden – mit der Gewalt der Stille, welche die Arbeiten des Pillhofer-Schülers ausstrahlen. Man erkämpft sich den rechten Blick und sieht: Weniger geht nicht mehr. Die Reduktion der Skulpturen ist auf das äußerst Erträgliche getrieben. Hier ist keine Veränderung durch Entfernen mehr möglich. Noch weniger und es ist gar nicht. Angerer-Niketa lotet schmerzhaft die Grenze der Kunst aus. Er nimmt einem Würfel gerade so viel weg, dass es irritiert und die Wahrnehmung verändert. Eine Skulptur entsteht. Ein eigenartiges Schweben eines mächtigen Steines.

„Von meinem Naturell her neige ich nicht zur Üppigkeit“, meint der Künstler und das muss man als gediegenes Understatement gelten lassen. Die Arbeiten sind in sich geschlossen und an einem ultimativen Punkt angelangt. Angerer-Niketa sucht die Form, die Aussage in ihrem kürzesten Ausdruck. Dass man mit Stein organische  For-men nachempfinden mag, wie etwa Henry Moore es getan hat, ist Angerer-Niketa unverständlich, ein Gräuel gar. „The medium is the message“ (Marshall McLuhan), den harten Stein durch organische Formen zu verleugnen, wäre absurd. Angerer-Niketa fügt dem Stein maßgenaue chirurgische Eingriffe zu, denen langwierige Berechnungen vorangehen. Jeder Winkel und jede Neigung müssen dem äußerst Möglichen entsprechen. Ein Winkelmaß auf der einen Seite muss millimetergenau auf der anderen eingehalten werden. Hier regieren nicht Beliebigkeit und Zufall, sondern mathematisch kanalisiertes Gefühl. Die Skulpturen sind  durchkomponiert in kühler Schönheit wie Johann Sebastian Bachs Fugen.
„Früher sind meine Arbeiten emotional entstanden“, sinniert Angerer- Niketa. Das tun sie wohl auch jetzt noch, doch das logische Korsett Angerer-Niketas hat sich zunehmend verfeinert. Die Emotion wird an ihren Platz verwiesen und darf sich als gut gesinnte Form präsentieren. Das Poetische der stringenten bildhauerischen Logik liegt darin, dass dem Betrachter ein diffizil gestaltetes Gegenüber erwächst. „Ich will eine Skulptur, die mich ansieht und die ich ansehe!“ (Angerer-Niketa).

Angerer-Niketa, als siebenjähriger Knabe mit Knochen-TBC für mehrere Jahre an das Spitalbett gefesselt, hat die Stille in seine Seele gemeißelt und ihr im Laufe seines bildhauerischen Lebens als steinerne Beschwörung Ausdruck verliehen. Kunst kommt eben niemals aus dem Paradiesischen, nur aus der Not. Und doch sind die Arbeiten nicht abweisend, wie man bald feststellt, sondern kontemplativ. Die Formen mögen verhalten und streng sein, doch sie sind nie abweisend. Die Skulptur des Pharao neigt sich zurück, lässt den Betrachter an sich heran, weicht jedoch auch nicht feige aus. Sie eröffnet, so wie alle seine Skulpturen, einen Dialog für den, der sich darauf einlassen mag. Kunst erkennt man daran, dass sie dem Betrachter die Kraft mitgibt, sie zu verstehen, wie Erhart Kästner sinngemäß meinte. Dieses Verstehen findet sich sehnsüchtig in die strenge Form von Angerer-Niketas Figuren eingearbeitet.

Dass Angerer-Niketa die ägyptische Götterwelt bearbeitet und Figuren wie Ptah und Osiris oder Amun-Re in unnachahmlich reduzierter Wiederer-kennbarkeit gestaltet, ist logisch. Wer einmal eine alte ägyptische Pharao-statue gesehen hat, erkennt dieselbe Stille wie in Angerer-Niketas Skulptur. Die Statue macht einen Schritt, bewegt sich scheinbar, doch ist der Schritt so gestaltet, dass unklar ist, ob eine Bewegung oder Stillstand symbolisiert wird. Es ist die Ruhe der Bewegung und die Bewegung in der Ruhe, eine unheimliche Momentaufnahme des Übergangs. Die Faust alter ägyptischer Pharaonenstatuen ist stets geballt, was den Figuren zusätzlich Starrheit und Kraft gibt. Bei Angerer-Niketa gibt es natürlich (natürlich?) keine akzentuierten Fäuste, hier wird nur noch das Äußere des Pharaos zitiert. Gewagt. Gewaltig.

„Wahrscheinlich suche ich die Begegnung mit dem Übervater“, meint Angerer-Niketa und tatsächlich entladen die Figuren hohe Energie und etwas durchaus Sakrales. Dass er nun im Alter begonnen hat, seine Steinskulpturen in Holz und in wesentlich kleinerem Format neu zu interpretieren, hat etwas Versöhnliches. Das Holz ist warm und friedlich, die Strenge der Form wird durch die Wärme des Materials gemildert. „Ich hatte große Freude, Sets aus Nussholz zu fertigen“, meint er verschmitzt, „ich bin endlich so weit, auch Skulpturen für den ,Hausgebrauch’ zu schaffen.“
So einladend war Angerer-Niketa noch nie. Er neigt sich zurück wie sein Pharao, weicht jedoch nicht, sondern bittet zum Dialog. Eine Einladung, der er selbst als Erster gefolgt ist: Walter Angerer-Niketa ist bei sich selbst angekommen.

Wenn Sie sich für die Skulpturen der Stille interessieren, wenden Sie sich an ZS art KunstRaum, 1070 Wien, Westbahnstraße 27-29 www.zsart.at

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