In der Schau-Deponie

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Müll, très chic. Menschen schlendern mit einem Glas Weisswein an Kunststoffmüll vorbei, begutachten ihn. Plastiksackerln sind zu schmalen Streifen gefalzt worden und aus diesen Streifen war ein Bild gemacht worden. An der Wand gegenüber hängt Weggeworfenes aller Art, schön arrangiert und ausgepreist. Was dem einen eben noch nichts mehr Wert war, Wellpappe, Heftklammern und Acrylfarbe etwa,  kostet hier 650,– Euro. Eine Draht-Metall-Skulptur durchbricht die 1.000,- Euro-Marke. Dabei sind die Objekte klein, sehr klein mitunter. „Mach dich nicht so breit“, eine bemalte Metalldose, misst 5x13x8 cm. Gerade die Kleinheit spielt offenbar eine große Rolle für Elisabeth Homar-Zogmayer, jene Künstlerin, die den Mikrokosmos des achtlos Weggeworfenen zelebriert. „Ihre Kunst liegt darin, im winzigsten und banalsten Gebrauchsgegenstand ein Detail zu sehen und eine Geschichte zu erzählen“, wie Guido Zehetbauer-Salzer, der Künstlerische Leiter von zs art erklärt.

Zs art, jener Kunstraum in der Wiener Westbahnstraße, der in seiner aktuellen Vernissage zu einer Schau-Deponie mutiert ist. „Upcycling“ nennen die Gallieristen jenen Prozess, in dem Gegenstände, welche bereits zu einem Lebensabend auf einer Mülldeponie verdammt waren, zu Kunstobjekten mit Ewigkeitswert werden. „Wir neigen dazu, Produkten ein Leben zuzugestehen und damit auch den Tod“, sinniert Guido Zehetbauer-Salzer. Da trifft er sich mit den Cradle-to-cradle-Philosophen, die betonen, dass Produkte nicht leben und daher auch keinen Lebenszyklus haben – bloß einen Produktnutzungszyklus.

Der Nutzungszyklus von Plastiksackerln ist meist verheerend kurz und steht in dramatischem Kontrast zu ihren Halbwertszeiten. Irene Wölfl würdigt den Ewigkeitswert der Plastiktragetaschen, indem sie daraus Bilder webt. Faszinierende Collagen, die durch Farbkomposition und raffinierte Platzierung der auf den Plastiksackerln aufgedruckten Werbebotschaften leben. Allerdings kann es die Künstlerin auch monumental und epochal, etwa wenn sie aus ihrer Webtechnik Mona Lisa nachbaut, oder einen an Marylin erinnernden Kussmund oder eine überlebensgroße Audry Hepburn. Plastic trash, 125 x 200 cm, rd. 6.680,- Euro. Die Genialität, mit der hier Bilder komponiert werden, erzeugen langsam, nach und nach, die Erkenntnis, welch inspirierender Rohstoff, welch unglaublich ästhetische Mosaiksteine hier Tag für Tag auf unseren Mülldeponien und in den Weltmeeren landen. Im Pazifik dreht sich ein riesiger, für Fische todbringender Strudel aus Plastikabfall, detto gibt es zwischen Asien und Amerika einen subarktischen Meeresstrudel aus Plastik. So werden die Kunstobjekte in der Schau-Deponie, ohne jemals selbst plakativ angriffig zu sein, zu Mahnmalen menschlichen Konsumwahns.

Der schnarrende Sound einer Kugel, die sich in einem Holzbehälter dreht, ertönt. Srrrrr, srrrrrr. Dann helle Schläge. Der Percussionist Peter Rosmanith schlägt auf Halbschalen aus Stahlblech. Seine Drummer-Symphonie „RecyclingCircle“ hebt an, gespielt auf Objekten, die er auf Mülldeponien gefunden hat. Musik, die intimste und berührendste aller Kunstformen! Gefühlvoll, dynamisch. Peter Rosmanith lässt den Müll zum Himmel singen. Der Applaus anschließend dauert ewig. Ein Sehnen entsteht in der Klang- und Bildwelt der Schau-Deponie: jenes, unsere Wegwerfgesellschaft einem Upcycling zu unterziehen.

Hier können Sie Peter Rosmanith hören: rosmanith
[Der Percussionist verwendet ausschließlich Instrumente, die in ihrem früheren Leben einer anderen Verwendung zugedacht waren. Eine Kinderbadewanne recycelt er zu einem Riesendaumenklavier, Kalebassen zu Wassertrommeln oder Autoschlüssel zu Chimes. Im Zentrum seines „recycling circle“ steht das Hang, ein aus dem trinidadischen Steelpan entwickeltes Instrument.]

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ZS art
Westbahnstr. 27-29
A-1070 Wien
Mo, Di, Mi, Fr 11.00 – 19.00
Do 11.00 – 21.00
sowie nach telefonischer Vereinbarung

Upcycling
Bilder: Irene Wölfl
Objekte und Collagen: Elisabeth Homar-Zogmayer
Musik: Peter Rosmanith?Fotografie: Hans Ringhofer
Ausstellung: 11.6. – 3.9.10

zs art im Netz: www.zsart.at

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