Landschaftsurbanismus und Utopie

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Eine Ausstellung im Wiener Künstlerhaus präsentiert 30 internationale Projekte die eine zukunftsweisende Gestaltung von Natur im urbanen Raum aufzeigen. Dabei werden die aktuellen Herausforderungen wie Klimawandel und Artenschutz mitberücksichtigt. Ein Bericht von Georg Bauernfeind

Man muss zweimal hinsehen. Beim ersten Mal erkennt man nur einen großen Haufen Schutt. Zerbrochene Ziegel, Geröll und dazwischen bunte Teile aus Plastik. „Brache“ heißt die Installation des Künstlers Reiner Maria Matysik. Der notwendige zweite Blick fällt an die Wand: Dort, auf einer Art Wandzeitung die an ein Biologiebuch erinnert, sind die einzelnen Plastikteile abgebildet und beschrieben. Sie tragen Namen wie „eos cerifer – wachstragende Morgenröte“ oder „cordiopsis pudibundus – wie ein herz aussehender schamhafter“. Bizarre Skulpturen aus Knetgummi, die der Künstler als „Prototypenmodelle postevolutionärer Lebensformen“ bezeichnet. Da möchte man schon fast aufhören zu lesen, so kompliziert hört sich das an. Aber das wäre ein Fehler.
Die Modelle stellen hybride Mischformen zwischen Pflanzen, Tieren, Pilzen, Bakterien, Viren oder Einzellern dar. Sie wirken wie exotische Blüten, tragen seltsam fleischige Geschlechtsorgane und skurrile Drüsen, sie sind benannt und in wissenschaftlicher Manier klassifiziert. In der Vision des Künstlers wurden diese Wesen von Menschen durch genetische Manipulation geschaffen. Sie haben sich, widerständig und anpassungsfähig wie sie sind, auf den zerstörten Überresten menschlicher Behausung angesiedelt. So könnte es also aussehen, wenn eine vom Menschen manipulierte Natur die Herrschaft übernimmt – nach dem Zusammenbruch der menschlichen Zivilisation.
Noch ist es nicht soweit. Und wie stark sich die Natur angesichts des Klimawandels verändert, ist ja umstritten. In Städten wie New York oder Sidney setzt allerdings schon ein Nachdenken über die Auswirkungen der bedrohlichen Zukunftsszenarien ein. Wie das wäre, wenn tatsächlich der Meeresspiegel um zwei Meter steigt. Da werden Ideenwettbewerbe ausgeschrieben und es gibt schon Entwürfe die zeigen, was Bruno De Meulder und Kelly Shannon in ihrem Aufsatz über Urbanismus im Katalog zur Ausstellung schreiben. „Der drohende Klimawandel kann zweifellos als neuer Katalysator dienen, um die Grenzbereiche von Wasser, Land und Stadt ebenso wie das Zusammenspiel von Infrastruktur, Ökologie und Gesellschaft einer Revision zu unterziehen.“
Die Ausstellung “(re)designing nature“ bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Landschaftsurbanismus und Design und präsentiert 30 internationale Projekte der Naturgestaltung in bildender Kunst und Landschaftsarchitektur. Dabei werden zentrale Strategien vorgestellt, die den Umgang mit der Natur reflektieren. Neben Installationen sind es vor allem auch Stadt-Projekte, die durch Bilder und Videos einen Einblick geben in das was passiert, wenn durch Stilllegung wichtiger Industriezweige oder durch andere Maßnahmen Leerräume plötzlich wieder mit Natur redesignt werden. Ein Projekt aus New York zeigt, wie ein Architekt mit BewohnerInnen einen kleinen Stadtfleck umgestaltet. In Detroit scheint es zunehmend „Farmingprojekte“ zu geben. StadtfarmerInnen halten also mitten in der Stadt Ziegen und züchten Gemüse. Und in einem Slum in Bangladesh führte die Begrünung eines Grünstücks zu einem Sozialprojekt mit angeschlossener Leihbibliothek – mitten auf vergiftetem Boden.
Neben diesen Gemeinschaftsprojekten, beeindrucken großangelegte Stadtentwicklungsmaßnahmen, die in der Ausstellung zu sehen sind. Die High Line in New York ist Teil einer Stadtbahn die vor 20 Jahren eingestellt wurde. Danach begann wieder Natur zu wuchern, vor kurzem wurde die Stadt-Bahn mit Plattformen versehen und als Park gestaltet, der ganz neue Perspektiven auf die Stadt möglich macht und von der Bevölkerung gut angenommen wird.
Hier dringt etwas durch von dem, was der Philosoph Bruno Latour in einem Vortrag im Herbst 2008 über Design ausführte. Auf ihn bezieht sich das KuratorInnen-Team Susanne Witzgall, Florain Matzner und Iris Meder. Der Aspekt der Demut oder Bescheidenheit, der ein bestehendes System nicht radikal umstürzen, sondern zu einer langsamen Veränderung anregen will. Ein Prozess, der ernstnimmt, dass – wie in der Natur überhaupt – schon immer etwas da war. Design auch als ethische Dimension.
Bleibt noch der Blick in die Utopie. Hier fallen die Projekte von Vincent Callebaut ins Auge, der einen streng ökologischen Ansatz verfolgt. Sein bewohnbares Fiberglas-Luftschiff Hydrogenase – 400 Meter hoch und mit einem Durchmesser von 180 Metern – benötigt keine Start und Landebahn.  Es wirkt wie ein riesengroßes Blatt das leicht im Wind dahinschwebt. Das mit Bio-Wasserstoff und Helium betrieben Luftschiff wird in energetisch autarken schwimmenden Algenfarmen, die mittels Turbinen über Gezeitenkraftwerke zusätzlich Strom produzieren, aufgetankt. Oder Physalia – sein Zwitter aus Wasser- und Landfahrzeug. Ein energetisch autarkes hydrodynamisches Labor, das sich im Aufbau an eine Qualle anlehnt. Wenn es fährt, säubert es das Wasser, in dem es sich bewegt.
Hier denkt einer die Zukunft. Radikal. Ein Leonardo da Vinci unserer Zeit. Callebaut war mit seinen Projekten auch schon auf der Expo in Shanghai, die 2010 die meisten Besucherzahlen in der Geschichte der Weltausstellungen erzielen konnte. Better City, Better Life war das Motto, oder in der chinesischen Übersetzung: Die Stadt macht das Leben besser. Wien ist nicht Shanghai, aber Wien muss sich mit der Ausstellung „(re)designing nature“ auch nicht verstecken. Die Zukunft wird in den Städten liegen. Irgendwo in der Verbindung zwischen Natur und Stadt.
Man kann die eingangs beschriebene Installation „Brache“ nicht nur als apokalyptische Vision lesen, sondern auch die ausgeklügelten Überlebensstrategien dieser „postevolutionären Lebensformen“ bewundern. Denn, so meint der Künstler: „Keine Kraft kann das Leben aufhalten, das in fortwährend wechselnden Gestalten erscheint.“

Die Ausstellung „(re)designing nature. Aktuelle Positionen der Naturgestaltung in Kunst und Landschaftsarchitektur“ wird noch bis 23. Jänner 2011 im Wiener Künstlerhaus gezeigt.

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