Warum tue ich das eigentlich?

Ein bekannter Scherz sagt zur Selbstständigkeit, sie bestünde aus „selbst“ und „ständig“. Wer will das eigentlich und warum? Was treibt Menschen dazu? Geld, Tradition, Altruismus? Auf der Spurensuche nach Selbst-Motivation.

„Ich habe nicht gewusst, was auf mich zukommt“, sinniert Personalberaterin Charlotte Eblinger über ihren Weg in die Selbstständigkeit, „das ist wie beim ersten Kind, man hat keine Ahnung.“ „Ich bin hinein gewachsen“, erinnert sich Helmut Nagel an die Übernahme der elterlichen Mietwäscherei Vienna. „Ich war immer selbstständig, ich kenne es nicht anders“, sagt auch Thomas Wagner, der einen Maler- und Anstreicherbetrieb in Kilb von den Eltern übernommen hat. „Der Betrieb ist Teil meiner Kindheit“, erinnert sich Tina Pfister, die im Juni 2014 den väterlichen Futtermittelbetrieb Maeder AG im Schweizer Emmental übernommen hat, „vom Großvater ist das aus meinen Vater übergegangen und jetzt mache ich das. Obwohl mir Vati davon abgeraten hat.“

Unwissenheit, Gewohnheit, Sozialisation. Es gibt viele Gründe, ein Unternehmen zu gründen, oder eines zu übernehmen. Und wenn man es einmal hat, stellt sich vehement die Frage nach der Motivation. Nicht so sehr nach der Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern nach der eigenen. „Andere Menschen kann man ohnehin nicht motivieren“, ist für Mario Weingartler, Inhaber der vitalakademie, einem der größten privaten Fortbildungszentren Österreichs, klar. „Ich kann nur schauen, dass sich alle wohlfühlen und dafür den Rahmen schaffen.“

Wie schafft man es als InhaberIn einer Firma Tag für Tag, aufzustehen und weiterzumachen? In guten Zeiten, wo man erfüllt ist und auch Geld fließt, muss man diese Frage nicht stellen. Doch es gibt auch andere Zeiten. Persönliche und ökonomische Krisen, meist eine Kombination von beidem. Dann ist man plötzlich sehr weit entfernt vom persönlichen Lebenswunsch und noch viel weiter entfernt vom öffentlich kolportierten Bild der Unternehmer als kapitalistische „Moneymaker“.

„Die vitalakademie war früher öfter an der Grenze zur Pleite. Das war haarscharf“, sagt Mario Weingartler, „heute sind wir top.“ „Geld?“, lacht Helmut Nagel, „ hohe Lohnkosten, hohe Investitionen und niedrige Preise durch den Mitbewerber lassen höchstens einen bescheidenen Wohlstand zu. Richtig Geld kann man mit einer Mietwäscherei nicht verdienen.“ Charlotte Eblinger weiß: „Es gibt Jahre, wo man weniger verdient und Jahre, wo man mehr verdient. Ich hafte für alles. Diese umfassende Verantwortung – furchtbar.“ Und für Martin Spiroch, Inhaber eines gut gehenden Massage-Instituts an mehreren Standorten, ist die Welt schon mal zusammengebrochen. Im Wortsinn. Im Florian-Berndl-Bad in Korneuburg, wo er sein Massage-Institut betreibt, ist im Jahr 2008 ein Stein vom Dach gefallen und das Bad wurde für über drei Jahre geschlossen. Kein Badebetrieb, keine Frequenz, aber Martin Spiroch und sein Team sind geblieben.  „Das war abenteuerlich“, sagt er, „die Kunden sind auch während der Sanierungsarbeiten gekommen, haben sich am Parkplatz die Gummistiefel angezogen und sind durch die Baustelle gewatet, um zu uns zu kommen.“ Nicht alle wollten Gummistiefel anziehen. Umsatzeinbruch von 40 Prozent.

Und dann: „Vorhofflattern am Herzen, massive Gallensteine, Scheidung“, resümiert Spiroch, „der Tribut ist hoch.“ „Ich war an der Schwelle zum Burn-Out, wie jeder Selbstständige“, erinnert sich auch Mario Weingartler. Besonders fordernd war die Übernahme des väterlichen Futtermittelbetriebs für die 34-jährige Tina Pfister. Sie hat die Firma im Juni 2014 von ihrem krebskranken Vater übernommen und zwei Wochen später ist er gestorben. „Zwei Wochen lang war ich in der Nacht am Bett meines Vaters und unter tags im Büro. Das war ein harter Start.“ (Pfister)

Wie hält man da durch? Was gibt einem Kraft? Warum tut man das eigentlich?

„Warum ich das tue? Diese Frage habe ich mir ganz oft gestellt“, sagt Tina Pfister. „Da darf man sich oft nicht viel fragen.“, meint Josef Reingruber, Inhaber der gleichnamigen Gastwirtschaft, die ein beliebtes Ausflugsziel in Eschelberg in der Nähe von Linz ist. Oft fragen oder nicht fragen. Antworten gibt es doch. Die Freiheit zu entscheiden und zu gestalten motiviert alle Selbstständigen. „Ich kann sagen: gehen wir links, rechts, ist das Papier hell, dunkelgrün, einfach alles kann ich entscheiden. Ich kann in die Firma kommen, oder auch nicht. Ich kann machen, was ich will. Das ist einfach geil.“ (Eblinger). Niemandem Rechenschaft zu schulden, seine Ideen realisieren zu können, keinem Befehl unterworfen zu sein – wer das liebt, sucht die eigenverantwortliche Selbstständigkeit, auch wenn sich schnell herausstellt, dass die Freiheit im Schraubstock von Kundenwünschen, Gewerbeordnung und Finanzamt eingespannt ist. Die Freiheit, in die Firma zu kommen oder auch nicht, sieht manchmal so aus: „Ich ziehe mein Sportgewand an, schwinge mich auf’s Rad und fahre los. Nach vier Kilometern komme ich blöderweise an meinem Geschäft vorbei. Ich steige kurz ab, um nach dem Rechten zu sehen. Das war’s dann mit der Radtour. Ich stehe da drin, bis es dunkel wird.“ (Spiroch)

Entscheidungsfreiheit und Selbstverwirklichung locken die Menschen. „Wir verändern Flächen und begleiten Menschen in einem ästhetischen Veränderungsprozess. Wir dürfen teilhaben an Veränderung“, freut sich Malermeister Thomas Wagner.

„Als Masseur kann ich Menschen von Leiden befreien“, sagt Spiroch, „und ich kann Arbeitsplätze schaffen. In meinem Betrieb arbeiten zwei Männer, die es sonst am Arbeitsmarkt schwer hätten. Das ist auch eine Verantwortung. Als das Bad geschlossen wurde und ich um meine Existenz gerungen habe, war für mich ganz wichtig, auch für diese beiden den Arbeitsplatz zu erhalten. Das habe ich geschafft. Ich liebe es, Verantwortung zu übernehmen. Das ist letztlich das Thema der Selbstständigkeit.“

Christoph Haase war Art Director in einer Werbeagentur und hat schließlich doch, obwohl er von Technik keine Ahnung hat, einen Fertigungsbetrieb für elektronische Komponenten und Relais von seiner Mutter übernommen. Dort hat er eine „Generalüberholung“ (Eigendefinition) durchgeführt. Heute gibt es bei tele-haase keine Hierarchien, kein klassisches Management, aber jede Menge Eigenverantwortung. Christoph Haase hat eine Idee vom „Unternehmen der Zukunft“, die ihn treibt.

Dieses tiefe Gefühl, für etwas verantwortlich zu sein – für andere Menschen, eigene Wertvorstellungen, das größere Ganze – schickt Menschen in die selbstständige Tätigkeit, allen Unannehmlichkeiten zum Trotz. Selbstständig sein heißt wohl, sein Leben anzunehmen und für das gerade zu stehen, was einem wichtig ist. Als Unternehmer ist man Sinngeber – für sich selbst und andere.

Und irgendwann heißt es einfach – „weitermachen!“, wie Charlotte Eblnger anmerkt. „Wenn es ein Jahr gibt, wo man am Ende des Jahres draufkommt, der Gewinn ist nicht so hoch und nicht in Relation zu dem, was man geleistet hat, dann tut das weh. Und wie kommt man aus diesem Tal wieder raus? Vergessen und Verdrängen. Die verschüttete Milch wird nicht beweint!“

„Ich kann nicht sagen, ich komme morgen nicht mehr in die Firma“, lacht Christoph Haase, „Von daher stellt sich manchmal die Frage nach der Motivation gar nicht.“ Neunzig MitarbeiterInnen und eine kraftvolle Vision von einer Firma ohne Management sind eine selbstauferlegte Verpflichtung. „Manchmal verzweifle ich, aber ich weiß, es ist richtig. Da gibt es etwas, wo ich hin will. Deshalb mache ich weiter.“

Auch Tina Pfister aus dem Schweizer Emmental hat den Betrieb vom Vater übernommen unter der Prämisse, ihrer Vision folgen und etwas verändern zu können. Am Sterbebett ihres Vaters hat sie ihm ihre Ideen auseinandergesetzt. „Wir lernten uns auf andere Weise kennen. In den letzten Tagen konnte ich ihm noch konkret meine Pläne vorstellen und ich wusste, dass die ganz anders sind als seine. Ich bin ja auch ein anderer Mensch. Aber ich habe das Okay von ihm erhalten, seinen Segen. Das war unglaublich wertvoll für mich.“

Manchmal sind es auch einfach „Eitelkeit und Heldentum“, wie Martin Spiroch anmerkt. Er hat selbst in schwierigen Zeiten keinen einzigen Mitarbeiter gekündigt und führt auch jetzt noch Standorte, die aus rein wirtschaftlichen Erwägungen unrentabel sind, aber dafür Menschen, die es sonst schwer hätten, Arbeitsplätze garantieren. „Ich bin zutiefst Humanist“ sagt er und auch das scheint ein Motiv für selbstständige Tätigkeit zu sein.

„Aufgeben tut man einen Brief“, meint Mario Weingartler und sein Körper strafft sich. Er ist Sportler und hat auch als Inhaber der vitalakademie eine durchaus sportliche Motivation. Durchhalten, gewinnen wollen. Als es ihm nicht gut ging und er dann auch noch mit Verleumdung und Übernahmegelüsten eines Mitbewerbers konfrontiert wurde, war Weingartler klar: „Jetzt erst recht.“ Heute hat er es geschafft. Das Unternehmen floriert, Standorte und Qualität werden ausgebaut. Endlich bleibt auch Geld über. „Im Leben stehen ist gut“, sagt er, „aber man man muss sich darin auch bewegen.“ Und sei es am Rande des Abgrunds.

Der vitalakademie-Chef lebt somit von massiven Dopamin-Ausschüttungen, würde Neurowissenschaftlerin Tania Singer sagen. Für sie gibt es drei Motivationsmöglichkeiten und jede ist mit der Ausschüttung eines Neurotransmitters verbunden. Im „Seeking System“ sind alle, die nach mehr streben und sportlichen Ehrgeiz haben. Das Glückshormon Dopamin sorgt für Antrieb. Es fließt im Wettkampf und ganz besonders im Siegestaumel.

Leute im „Threat System“ wünschen vor allem Sicherheit und werden von Cortisol gespeist. Das ist ein Stresshormon, das Stoffwechsel aktiviert und dem Körper Energie zuführt. In Masseur Martin Spiroch toben wahrscheinlich mehrere Hormone. Dopamin, aber gewiss auch Oxytocin. Dieses Hormon schießt in den Körper bei sozialer Interaktion und Fürsorge, ob sie nun aktiv gegeben oder passiv empfangen wird. Okytocin-„Junkies“ sind im „Caring System“, wo es um Liebe und Fürsorge geht. Der Dalai Lama witzelte auf einer Konferenz mit Tania Singer, er wolle das Zeug unbedingt haben.

Welches Zeug will man unbedingt haben? Dopamin, Cortisol, Oxytocin? Sieg, Sicherheit oder Mitgefühl? Oder ist Selbstständigkeit einfach die beste Aussicht auf ein sinnerfülltes Leben, wie Viktor Frankl es formulierte: „Es ist unsere Verpflichtung, dem Leben Sinn als Nährstoff zuzuführen. Man kann, wenn man weiß, warum man soll.“

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