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Ein Bewusstsein von Fülle

Wolfgang Stabentheiner ist Begründer der sogenannten Future-Methode. Seit Jahrzehnten hält er Seminare für Führungskräfte. Warum durch Handeln aus einem Bewusstsein von Fülle mehr gelingt, erzählte er Georg Bauernfeind.

Der Artikel steht auch als druckfreundliches PDF zur Verfügung: Stabentheiner

Die Themen Mangel und Fülle spielen in der Konzeption der von Ihnen entwickelten Future-Methode eine zentrale Rolle. Wie sind Sie auf diese Thematik gestoßen?

Es gab da für mich einige Schlüsselerlebnisse: Als Bruno Kreisky noch nicht Bundeskanzler war, kam es vor der entscheidenden Wahl im Fernsehen zu einer Konfrontation mit dem damals regierenden Bundeskanzler Josef Klaus. Was mich, jenseits aller Inhalte, verblüffte: Kreisky präsentierte sich in weit höherem Ausmaß als Bundeskanzler, als derjenige, der das Amt (noch) bekleidete. Er war Bundeskanzler, noch bevor er es wurde. Ähnlich wie Alberto Tomba, der sich schon  in einem Seinszustand des Siegers befand, noch bevor er startete. Er musste nicht erst gewinnen, um Sieger zu  s e i n, das machte wohl seine Faszination aus. Zu sein, was ich werden will, das ist mir damals als ein erstrangiges Erfolgsrezept bewusst geworden: Ziele zu verfolgen – aus einem Zustand von Fülle.

Ein zweites ähnliches Ereignis aus meiner Jugend, scheint mir erwähnenswert: Der Boxkampf zwischen Muhammad Ali gegen Joe Fraser. Einige Runden lang prügelte Fraser auf Ali ein, ohne dass dieser jedoch auch nur für einen Augenblick lang den Eindruck des Geprügelten vermittelte. Geprügelt werden, aber sich nicht in einem Zustand von Geprügelt sein befinden, das war für mich eine Entdeckung; dass der subjektive Zustand nicht zwangsläufig dem objektiven folgen muss; dass sich beispielsweise ein Mensch, trotz objektiver Armut in einem subjektiven Zustand von Fülle erleben kann.

Was verstehen Sie unter einem Zustand von Fülle?

Fülle ist ein subjektiver Zustand, ebenso wie sein Gegenteil, der Mangel. Mangel und Fülle können Hand in Hand mit einer objektiven Situation gehen, sie sind aber grundsätzlich losgelöst von ihr. Manch objektiv wohlhabender Mensch sieht sich ständig zu kurz gekommen und giert wie ein nimmer sattes Kind unablässig nach mehr.

Vielen Menschen fällt es freilich schwer, in sich einen Zustand von Fülle, bezogen auf ein Ziel, hervorzurufen, bevor sie es im Äußeren erreicht haben. Und noch mehr Menschen fällt es schwer,  Fülle zu erleben, wenn doch im Äußeren Mangel herrscht.  Es fällt ihnen schon schwer, für sich Fülle zu empfinden, wenn sie objektiv in Fülle sind, wenn es ihnen allem Anschein nach an nichts mangelt.

Wie kann es dann einem Menschen, der sich subjektiv in einem Mangelzustand befindet, gelingen, in sich Fülle zu erzeugen?

Der erste Schritt ist immer die Selbstwahrnehmung. Ohne sich selbst zu spüren, wahr-zunehmen, wird der Mensch allzu leicht zum Unmenschen.

Schritt Zwei ist die Selbstbejahung: Indem sich der Mensch in seinen Stärken und Schwächen, in seiner Unermesslichkeit und Begrenztheit, in seinen positiven und negativen Wirkungen bejaht, lösen sich Spannungen. Jene Energie, die vorher aufgewendet werden musste, Anteile von sich zu bekämpfen, zu verdrängen, zu verurteilen, wird frei. Frieden, Balance, Kraft, Lebenslust – Fülle eben – machen sich breit. Der Mensch entdeckt in sich jene Fülle, die ohnehin schon immer da war.

In einem dritten Schritt kommt es zu einem aktiven Beitrag. Aus der Fülle heraus entstehen ganz natürlich und selbstverständlich zwei Dynamiken:

  • jene, aktiv etwas beizutragen zur weiteren Entfaltung der eigenen Fülle – beispielsweise, dem Körper das zu geben, was er braucht, damit er in Balance kommt;
  • und jene, die eigene Fülle mit anderen zu teilen. Indem wir etwa unserer Freude Ausdruck verleihen, wenn unseren Kindern etwas gelungen ist, statt das wir sie anders haben wollen, als sie sind; indem wir unserer Liebe zu unserem Partner Ausdruck verleihen, statt gleichgültig an ihm vorbeizusehen; indem wir die Stärken unserer MitarbeiterInnen ansprechen und sie dadurch verstärken, anstatt an ihren Schwächen herumzukritisieren. Wir werden beitragen zur Fülle anderer und dadurch Fülle in Form von Wertschätzung, Unterstützung und Kooperation zurückbekommen.

Im vierten Schritt kommt es zur Rückwirkung. Die Fülle, die uns von außen zukommt, verstärkt wiederum unsere Selbstbejahung, unseren Selbstwert, unsere Selbstachtung, unser Selbstvertrauen. Sie verstärkt unseren Zustand von Fülle. Und der Kreislauf – wir sprechen in der FUTURE Methode vom Füllezyklus – setzt sich fort.

Analog dazu könnten wir von einem Mangelzyklus sprechen: Der Mensch nimmt sich selbst nicht wahr, betäubt und verleugnet sich selbst, ist Opfer seiner inneren Spannungen und Konflikte. Aus seinem inneren Mangelbewusstsein heraus erzeugt er auch bei anderen Mangel. Dieser – wie man in den Wald hineinruft, so hallt es zurück – fällt wiederum auf ihn zurück. Der innere Druck, die inneren Spannungen weiten sich aus, müssen umso mehr verdrängt werden und das Desaster nimmt seinen Lauf.

Steht dieses Konzept nicht diametral dem Konkurrenzprinzip entgegen? Wie geht es den Leuten, die in Ihre Seminare kommen und diese Thesen hören?

Die TeilnehmerInnen unserer Seminare hören dieses Konzept nicht nur, sondern erleben im Seminar immer mehr die Seins-Qualität von Fülle. Indem sie das Konzept dann anwenden, entdecken sie, dass es ihnen dadurch besser geht: Weil es einem besser geht, wenn man die Stärken anderer verstärkt, als wenn man ständig gegen ihre Schwächen ankämpft; weil es einem besser geht, wenn andere von sich aus kooperieren, Verantwortung übernehmen und bereit sind, außergewöhnliche Leistungen zu erbringen, als wenn sie tun, was sie unter Druck tun müssen. Weil es einem besser geht, wenn man sich und seinen Führungsbereich als fähiger erlebt und höhere Ziele erreicht, als wenn man sich abmühen muss, um ein Mittelmaß zu erfüllen. Zwar gibt es einzelne SeminarteilnehmerInnen, die nach dem Besuch eines Seminars noch frustrierter über ihr Unternehmen sind, als sie es vorher waren; weil sie kennengelernt haben, wie es auch anders gehen könnte, und weil ihnen das Unternehmen keine Möglichkeit bietet, das Gelernte umzusetzen. Aber der überwiegende Teil schafft es, in seinem Führungsbereich den Zustand von Fülle im subjektiven Empfinden der Menschen ebenso wie durch messbare Leistungen zu mehren.

Derzeit erlebe ich generell in meinem Umfeld – erstaunlicherweise seit der Krise noch stärker – dass ein neues Bewusstsein von Erfolg aufkeimt: Dieses stellt nicht die Frage in den Mittelpunkt: Wie kann ich aus dem Mitarbeiter, dem Kunden, dem Lieferanten möglichst viel herausholen, wie kann ich also auf Kosten anderer MitspielerInnen einen möglichst großen Vorteil für mich bzw. mein Unternehmen erwirken? Immer mehr zeigt sich mir ein echtes Interesse daran, dass alle MitspielerInnen gewinnen – natürlich das eigene Unternehmen, aber auch die eigenen MitarbeiterInnen, KundInnen und das soziale und ökologische Umfeld. Erfolg ist, wenn alle gewinnen.

Aber da kommen wir in eine paradoxe Situation: Unternehmen müssen wachsen, ein Fülle-Bewusstsein hilft ihnen dabei. Geht nicht dieses wirtschaftliche Wachstum auf Kosten der natürlichen Ressourcen? Wie geht das zusammen?

Stabentheiner: Mir scheint, dass dieser Wachstumswahn, wie wir ihn in den vergangenen Jahrzehnten erlebt haben, einem Mangelmotiv entsprungen ist: „Egal wie viel, es ist zu wenig.“ Aber aus Mangel laufen wir unwillkürlich Gefahr, zum Räuber zu werden, nach Möglichkeiten zu suchen, anderen etwas wegzunehmen. Wir erleben im Management mitunter eine Skrupellosigkeit ohnegleichen – Mensch und Natur gegenüber. Aber ich sehe diesbezüglich, freilich längst nicht überall, Veränderung. Immer mehr Führungskräfte begreifen, dass zu unternehmerischer Verantwortung auch jene für das soziale und ökologische Umfeld gehört. Wachstum und die Entwicklung von Potenzialen gehören wohl zum Leben dazu. Aber muss dieses Wachstum immer ein Quantitatives sein und auf Kosten anderer gehen? Ich gehe davon aus, dass in Zukunft qualitative Aspekte des Wachstums an Bedeutung gewinnen werden. Ich gehe davon aus, dass wir völlig neue Technologien, völlig neue Systeme entwickeln werden; solche, die das gesamte Netzwerk, in das ein Unternehmen eingebettet ist – einschließlich der Gesellschaft, der Umwelt, des ganzen Planeten – stärken und fördern.

Sind da die Unternehmen nicht sehr skeptisch, was das Thema Beziehungen betrifft? So nach der Einstellung: Job ist Job und Beziehung ist Beziehung?

Stabentheiner: Meine Erfahrung ist: Wo eine schlechte Beziehungskultur herrscht, werden endlos Ressourcen vergeudet – durch Gruppenegoismen, Konflikte, Mobbing, Burn Out, Kündigungen – und vor allem dadurch, dass viele Chancen und viele Synergiepotenziale nicht genutzt werden. Der überwiegende Teil der Probleme in Unternehmen entsteht aus menschlichen Fehlleistungen, die wiederum in einer negativen Unternehmenskultur und einem Mangel an Leadership ihre Ursache haben. Mein Sohn ist Berufspilot und er sagt mir, dass die häufigste Unfallursache bei Flugzeugunglücken das mangelnde Zusammenwirken der Piloten sei.

Die erste und aktuelle Publikation von „Future“ lautet „Der Königsweg – vom Paradigma des Herzens“. Wie passt das Wort „Herz“ in die Businesswelt? Was kann man sich darunter vorstellen?

Stabentheiner: Ich habe mich, offen gestanden, erst getraut, diesen Begriff zu verwenden, seitdem ich mich mit dem Potsdamer Manifest von Wissenschaftlern auseinandergesetzt habe. Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen haben sich in Potsdam im Namen Albert Einsteins zusammengefunden, um über die Zukunft der Welt nachzudenken. Ihr Ergebnis: Die Welt ist nicht zu retten, wenn uns Menschen nicht das Herz aufgeht.

Die wesentliche Charakteristik des Herzens ist, nach meinem Verständnis, Integration. Also jene Kraft, die aus Bruchstücken ein Ganzes werden lässt, die auch die sogenannten negativen und  dunklen Aspekte mit hereinnimmt und sie zu einem konstruktiven Beitrag für das Ganze transformiert.

Vergegenwärtigen wir uns das Leben der Menschen in der Steinzeit! Sie erlebten die Natur als ihren größten Feind – ständig drohte Gefahr durch wilde Tiere, Wind und Wetter. Nach und nach entwickelten sie Technologien, um sich gegen eine feindliche Natur zur Wehr zu setzen. Heute wird uns die Natur zum Feind, weil wir, obschon längst nicht mehr ihren Unbilden ausgesetzt, mit ungleich potenteren Mitteln fortfahren, sie zu bekämpfen und Raubbau an ihr zu betreiben. Heute braucht es die Qualität des Herzens, um zu erkennen, dass wir Teil dieser Natur sind und nur mit ihr überleben können, niemals gegen sie. Dieses Miteinander von Mensch und Natur, und ebenso von Mensch und Mensch, von Staat und Staat, von Unternehmen und Unternehmen ist die Herausforderung, vor der wir stehen. Vom Gegeneinander zum Miteinander, darin liegt der große Richtungswechsel, den es zu meistern gilt.

Kooperation innerhalb eines Unternehmens macht das Unternehmen stark. Kooperation zwischen Unternehmen, beispielsweise im Bereich Forschung und Entwicklung, erzeugt Wachstum. Kooperation zwischen einem Unternehmen und seinem sozialen Umfeld, stärkt die Position des Unternehmens in der Gesellschaft. Kooperation macht – auch wirtschaftlich – Sinn. Hätten die Staaten der Welt anlässlich der Finanzkrise nicht zusammengewirkt, wäre ein Zusammenbruch nicht aufzuhalten gewesen. Wenn die Menschheit nicht zu gemeinsamen Lösungen im Bereich des Klimaschutzes findet, ist eine Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes unausweichlich. Kooperation ist das Postulat unserer Zeit.

Kooperation ist nicht durch bloße Vernunft zu erreichen. Kooperation ist ein Ausdruck unseres Herzens. Ohne die Sichtweise des Herzens, ohne dass wir uns in den Dienst des Ganzen stellen, Systeme und Technologien entwickeln, die das Ganze und seine Einzelteile fördern statt ausplündern, stellen wir unser Überleben in ähnlicher Weise  in Frage, wie es damals, vor Tausenden von Jahren, in der Steinzeit, in Frage gestanden ist.  Wenn im „Königsweg“ das Paradigma des Herzens anhand konkreter Lebenssituationen dargestellt wurde, so geschah dies, um jenes psychische Organ „Herz“ nicht im Sinne einer Schöngeisterei sondern einer not-wendigen Lebensrealität in den Mittelpunkt zu rücken. Fülle ist eine Qualität des Herzens. Ohne die Potenziale des Herzens mögen wir Völle erleben, niemals jedoch Fülle.

>> Hier können Sie mit Wolfgang Stabentheiner direkt Kontakt aufnehmen [mailto:wolfgang.stabentheiner@future.at>]

>> Hier ist die Website von future [www.future.at]

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