„Theorie der Unbildung“ von Konrad Paul Liessmann

Text von Harald Koisser

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Mit einem Phänomen der Fülle in ihrer unangenehmen, nämlich rein quantitativen Form, setzt sich der österreichische Philosoph Konrad Paul Liessmann in seiner „Theorie der Unbildung“ auseinander, indem er schonungslos herausarbeitet, wie es mit dem Wissen in der soeben verblassenden und dahinscheidenden Wissensgesellschaft tatsächlich bestellt war. Ich erlaube mir die Vergangenheitsform, weil die in Liessmanns Buch beschriebene Denkungsart wohl noch allgegenwärtig ist, aber bereits einer gesellschaftlichen Vergangenheit angehört.

Wissen manifestierte sich als Anhäufung von Dateneinheiten, die unhierarchisch nebeneinander lagen und alle denselben Stellenwert haben durften. Der Mensch wurde darin zu einer Faktenreplikationsmaschine, die zusammenhanglos Daten herunterbeten konnte und ihr Heldentum als Gewinner der Millionenshow feierte, wo alles gefragt wurde und alles möglich war. Nur eins nicht: dass der Kanditat dem Moderator entgegenschmetterte, dass man diesen und jenen Scheiß einfach nicht wissen müsse.

„Alles Wissen, so das Credo ausgerechnet der Wissensgesellschaft, veraltet bald und verliert seinen Wert.“ (Liessmann)  Mit diesem Maßstab war „Wissen“ nur ein flüchtiger Datenhauch, der rasch abwehte und bloß für einen kurzen Moment tauglich war. Es ging nicht um Bildung und eigentlich auch nicht um Wissen, es ging nur noch um skills. Es ging nicht mehr darum, etwas zu wissen, und nur noch darum, etwas zu werden. „Die Ökonomisierung des Wissens hat seine Entschärfung zur Voraussetzung“ (Liessmann). Der Begriff des „Wissensarbeiters“ zeigte an, dass nicht der Arbeiter zum Wissenden, sondern der Wissende zum Arbeiter werden sollte. Dies beschreibt die Verarmung der zu Ende gegangenen Gesellschaftsform und sie ging eben aufgrund dieser Verarmung zu Ende, wie ich meine.

Ein Freund von mir, Geschäftsführer einer großen Werbeagentur, klagte mir gegenüber einmal, dass ihm in Bewerbungsgesprächen immer mehr Menschen unterkämen mit seltsamen Kürzeln vor unter hinter ihrem Namen, was wohl Wissen und gewissen Ausbildungsstatus andeuten sollte, aber wie man telefoniert und fühlt, was jemand fühlt, das konnten sie nicht. Liessmann würde diese seltsamen Kürzel „bildungspolitische Täuschungsmanöver“ nennen. Der Staat verflachte Bildung, um in internationalen Bildungsstatistiken besser dazustehen. Das war die banale politische Wahrheit.

Liessmann in seiner Funktion als Universitätsrektor merkt spitz an, „dass die einstige Alma Mater Rudolphina zumindest im offiziellen Briefverkehr nun „University of Vienna“ heißt. Dass solche Unterwürfigkeit der zum Idol erhobenen angelsächsischen Wissenschaftskultur sprachliches Idiotentum unterstellt, gehört dabei zu den zahlreichen unfreiwilligen Pointen dieser Geschichte.“

Und ebenso war die europäische Ökonomie einem Täuschungsmanöver aufgesessen durch ihr geiles Schielen auf Amerika. Sie talkte nur mehr English in ihren Offices und Mitarbeiter fanden die Personalabteilung im internen Telefonverzeichnis nicht mehr, weil sie human ressources hieß. Diese Verbeugung vor dem Englischen war der amerikanischen Erfolgsgeschichte geschuldet, die sich als Desaster und Betrug entpuppt hat. Nothing but bubbles!

Zu guter Letzt führt Liessmann auch eine Mahnung an, die wir als „Magazin für Zukunftskompetenz“ bedenken wollen, wenn er meint, dass alles einem besinnungslosen Immerweiter gehorche. Dabei wäre doch der beliebte Begriff der „Reform“ immer von einem Willen zur Rückbesinnung und zur Wiederbelebung verlorenen Wissens gekennzeichnet gewesen.

Ich meine mit Liessmann, dass die Wissensgesellschaft bloß als Behauptung vorhanden war, der facto waren wir in sagenhaftem Ausmaß unwissend. Wir konnten Wissen nur noch quantitativ bewerten. An den Laufmetern an Nachschlagewerken zuhause, am gemessenen Intelligenzquotienten oder an Zertifikaten diverser Bildungseinrichtungen, welche uns Wissen attestierten.

Die Überwindung dieser institutionalisierten Unwissenheit kann heute  nur darin bestehen, die Meta-Ebene von Wissen zu betreten und zu Erkenntnis zu gelangen. Unter Umgehung der Wissensgesellschaft, die wir nie waren, müssen wir nun zu einer Erkenntnisgesellschaft werden. Und werden wir das nicht, so brauchen wir uns um unser Wissen nicht mehr zu scheren.

Konrad Paul Liessmann
Theorie der Unbildung –
Die Irrtümer der Wissensgesellschaft

Piper, München 2008

Ein Teil des Textes stammt aus dem Kapitel „Bildung“ aus:
Harald Koisser
Warum es uns so schlecht geht,
obwohl es uns so gut geht

Orac, Wien 2009

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