Reisen, um davon zu berichten

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Von 0 auf 100 und zurück. Cornelia Scala-Hausmann hat das Leben als Ozean mit Wellenbergen und -tälern kennengelernt, was für eine Seglerin durchaus schlüssig ist. Sie leitet das Institut für Zukunftskompetenzen in Kärnten und wird bald wieder auf Reisen gehen.

Ich treffe Cornelia im sommerlichen Gast-garten. „Was willst du denn wissen?“, fragt sie. „Wie man sein Leben ändert.“ Sie lacht. Weil das Leben sich ohnehin dauert ändert und man mit muss. – HK

Aufbau
Ich habe während des Studiums eine Werbeagentur gegründet und voll gearbeitet. Zugleich ist auch ein Kind gekommen. Ich habe die Wehen während einer Besprechung bekommen, wo nur Männer anwesend waren. Die sind in Panik ausgebrochen. Mein zweites Kind ist dann vor dem Computer aufgewachsen; Ich war nur 3 Tage im Spital und habe gearbeitet und gearbeitet. Irgendwann bin ich aufgewacht mit 100 Stunden Arbeit die Woche und null Privatleben.

Sterben
1999, als meine Tochter 4 Jahre alt war, ist wieder vieles zusammengetroffen. Mein Vater hatte einen Lebertumor und ich habe mich zur Sterbebegleitung entschieden. Meine Tochter hat einen Harnwegsinfekt entwickelt, weil ich keine Zeit hatte. Zu meinem Firmen-partner habe gesagt: ich löse die Firma auf. Der Sterbeprozess mit meinem Vater war schrecklich und wunderschön. Man lernt einen Menschen neu kennen. Er hat mir gesagt: „Conny, wenn dir etwas wichtig ist, mach es gleich. Irgendwann kommt nie.“ Ehe, Glück und Ehebruch – wir haben über Dinge gesprochen, die sonst nie Thema waren. Er hatte eine zweite Frau geliebt, aber die war schon tot. Sie ist vor ihm gegangen. Jetzt wollte er nur noch das Meer sehen. Aber das ging dann nicht mehr, weil er zu schwach war. An dem Tag, wo es sichtbar zu Ende ging, musste ich nach Hause, um die Kinder zu versorgen. Ich hab ihm gesagt: „ich komme am Abend wieder“ und hab‘ gedacht: hoffentlich schafft er es. Er hat wirklich auf mich gewartet. Ich hab‘ begonnen, ihm seine Vorfahren ins Gedächtnis zu rufen. Er hat dann doch noch ein Wort gesagt und das war „Sonne“. Er hat sich aufgebäumt und war dann weg. Ich blickte auf den Körper und dachte: „Da ist er nicht mehr. Wo ist er?“

Prioritäten
Man hat im Leben Krisenphasen und Urlaubsphasen. Burn-out habe ich nie gehabt. Ich habe immer gewusst, ich kann was ändern. Ich brauche immer viel Druck, bis ich was tue. Die Erlebnisse meiner inneren und äußeren Reisen müssen zu den Menschen. Ich will ermutigen: Wenn eine Krisenzeit kommt, braucht man nicht verzweifeln. Das Wesentliche im Leben ist es, die Prioritäten immer wieder neu zu reihen. Die vermeintlichen Prioritäten sind nicht immer richtig. Sie dürfen sich ändern. Es ist wie ein Stapel Karten, den man immer wieder neu mischen kann.

Vertrauen
Unser Lehrgang am Institut für Zukunftskompetenzen ist eine Reise in‘s Selbst. Die Leute kommen und verändern tatsächlich ihr Leben. Viele, die kommen, wissen schon, was sie wollen, trauen sich aber noch nicht. Die Gruppe stärkt. Man verliert die Angst vor Entscheidungen, die riskant sein könnten. Das ist das Wichtigste: Man muss die Angst vor Entscheidungen verlieren. Wir müssen uns zum Risiko befähigen. Leben ist lebensgefährlich, wie man weiß. Bei Kindern ist man als Mutter ja immer so ängstlich. Wir brauchen Vertrauen in unsere Lebensfähigkeit und Zähigkeit.

Vorbildliches Leben
Wir müssen unseren Kindern durch vorbildliches Leben Krisenfähigkeit beibringen. Das, was wichtig ist, muss gelebt werden. Kinder müssen sehen, dass man Visionen leben darf. Man darf Fehler machen und darf sie zugeben. Lebe Deines und lass das Kind daran teilhaben. Nichts bagatellisieren! Konflikte vom Kind fernhalten, geht nicht.

Unschlüssig
Ich hatte als junges Mädchen den begehrtesten Junggesellen von Stocker-au geheiratet und mich auch wieder scheiden lassen. Er hatte die erste Großdisco in der Nähe von Korneuburg gegründet. Fassungsvermögen: 2000 Leute. Wir haben eine turbulente Ehe geführt. So war ich mit meinem ersten Kind, dem Sascha, zehn Wochen zu früh d‘ran mit Infektion und Blasensprung. „Sie haben Fieber. Das Kind muss raus, sonst sterben Sie beide“, hat der Arzt gesagt. Und dann war im OP auch noch ein Halbkreis von ÄrzteschülerInnen, weil ich so ein schöner Präzedenzfall war. Als ich aufgewacht bin, war mein Sohn nicht da, sondern in einem anderem Spital. Er musste beatmet werden. Da habe ich gesehen, wie wichtig eine sofortige Beziehung zwischen Mutter und Kind ist. Wenn du in den ersten Tagen keinen Kontakt hast, fehlt dir etwas. Nach 10 Tagen hat man mir gesagt: der da in dem Brutkasten ist dein Sohn. Aha? Das war so grausig.

Und dann hatte er einen Atem-stillstand und die Ärzte haben es zu spät bemerkt. Meinem Mann ist nichts Besseres eingefallen als eine Klage einzubringen. Sinnlos. Das Problem wird ja bloß abgeschoben. Sascha hat heute keine motorischen Störungen und ist ein hübscher, netter, junger Mann. Kinder spüren sofort, wenn sie nicht so sind wie sie sein sollen. Ich war drei Mal die Woche in Therapie mit ihm, bis er nicht mehr wollte. Aus dem Gefühl heraus, nicht zu genügen, hat er nie gefordert. Schon während der Schwangerschaft hatte ich konträre Botschaften bekommen. Er wächst, er wächst  nicht. Will er auf die Welt, will er nicht? Dann kam er zu früh. Infektion. Atemstillstand. Er konnte sich nie entschließen. Er ist nur Beobachter, er würde nie eingreifen, wenn man ihn nicht auffordert. Liebe hat er genug bekommen. Er hat aber auch ungewöhnliche Fähigkeiten, kann Filme auswendig, bemerkt jede allerkleinste Veränderung. Wenn man ungeduldig mit ihm ist, geht gar nichts. Heute arbeitet er und hat eine Freundin. Seine jüngere Schwester Lilly liebt ihn sehr.

Bewegung
Die Leute lassen Bewegung nicht zu. Das ist absurd, denn das Leben bewegt. Dagegen anzukämpfen strengt an.
Wenn man will, dass sich nichts verändert, hat man vom Leben nichts verstanden. Ich habe ein Urvertrauen mitbekommen und nie Todes- oder Existenzangst gehabt. Ich habe auch einmal eine schlechte gesundheitliche Diagnose bekommen, aber auch das als Veränderung verstanden. In dem Moment, wo ich mich frage „was kann ich tun?“ geht es weiter. Wenn ich sage: „Ich kann nichts tun“, ist es aus. Dann tut etwas anderes mit mir. Man gibt sein Leben ab.

Sinn
Es gibt Menschen, die fragen: wer bin ich? Und Menschen die fragen: wozu bin ich da? Die ersteren sind mit sich mehr beschäftigt und wollen sich entdecken – körperlich, seelisch. Es geht um ihre Biographie und die Chance, daraus zu lernen und daran zu wachsen. Die anderen fragen sich nie, wer sie sind, aber immer wozu sie da sind. Das war immer auch meine Frage. Warum bin ich da? Warum gerade jetzt? Aus dem heraus agiere ich. Der Sinn des Lebens ist das Leben selbst. Wer fragt „Wer bin ich?“ sucht den Sinn im Außen. Wie ein Mönch. Der sieht Sinn in der Klostergemeinschaft und darüber definiert er sich. Oder man geht nach Indien zu einem Guru, der einem sagt, wozu man da ist und wer man ist. Hat der „Wer-bin-ich-Fragende“ das gefunden, ist er mit sich im Reinen. Die Welt ist in Ordnung. Ob Mönch oder Manager in einem Konzern. fehlen die Symbole im Außen, der äußere Rahmen, geht es natürlich nicht. Ich zähle mich ja zu der anderen Kategorie „Wozu bin ich da“ – die brauchen keine Symbole im Außen, sondern Aufgaben.

Bahnhof
Man sollte jeden Tag reflektieren: was habe ich erfahren, was fühlt sich gut an, was kann ich ändern, was nicht, will ich, will ich nicht? Es ist wie ein großer Bahnhof mit vielen Gleisen. Wir organisieren ja viele Veranstaltungen mit klugen Leuten am Podium. Immer kommt am Ende dieselbe Frage aus dem Publikum: „Und was soll ich jetzt tun?“ Die Diskutanten am Podium geben diese Antwort meist nie. Da heißt es immer: „Die Banken! Die Politik! Der Staat! Die Gesetze!“ Ich denke, die Antwort ist: selber denken, selber tun, selbst verändern!

Starkwind
Seit 11 Jahren gibt es einen neuen Lebenspartner – meinen „Seelenmann“ ein Weltumsegler und „Nie-Einsteiger“. Er möchte, dass wir wieder gemeinsam mit dem Segelboot losfahren, aber das geht erst in drei Jahren. Dann ist Lilly 19. Er selbst ist gerade unterwegs rund um die Welt und segelt im Frühling über den Nordatlantik retour. Wenn man es da ein bisschen leichter haben will, muss man es im April machen, weil sonst segelt man nur gegen Starkwinde. Dann folgen 3 Jahre Mittelmeer mit Bootsrenovierung. Ab nächsten Sommer segeln wir dann im Mittelmeer bis es wieder auf große Weltreise gehen soll. Da steige ich zu. Das bedeutet natürlich, dass ich wieder einmal vom Job aussteige.

www.zukunftskompetenzen.at

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