„Ich habe mich umformatiert.“

Ein Gespräch mit dem Kabarettisten Roland Düringer in seinem Garten. Über Rekorde, das Leben mit der eigenen Scholle und das, worauf es wirklich ankommt

Düringer: Worüber reden wir denn?

 

Ich: Über das pralle Leben.

 

Düringer: Über das pralle Leben? Super, das haben wir doch ohnehin alle, wenn wir es zulassen. Ich bin aufgewachsen mit meiner Familie auf 45 m2. Häusl am Gang, kein Telefon, kein Badezimmer, kein Auto. Wenn ich neue Eislaufschuhe gebraucht habe, sind wir in die Tauschzentrale auf der Schönbrunnerstraße gefahren. Und mir ist nichts abgegangen. Meine Kindheit war aus heutiger Sicht sehr einfach. Mein Großvater hatte im Waldviertel ein Wirtshaus, wo es nichts zum Essen gegeben hat. Nur etwas zu Trinken und eine Wurstsemmel mit Gurkerl.

 

Du machst ja einen Selbstversuch, lebst wie in den 70er Jahren und dokumentierst das auf der Internetseite gueltigestimme.at. Warum schauen sich die Leute das an? Aus Gründen des Entertainment? Weil sie eine gewisse Art von Spaß von deinen Programmen erwarten?

 

Sicher auch. Aber ich fahre ja jetzt auch ein verschärftes Programm. Damit hat sich das Publikum gewandelt. Diejenigen, die sich berieseln lassen wollen zu einem Familiengeburtstag, und sagen: wir gehen zum Düringer – das ist vorbei. Dadurch habe ich weniger Leute als früher, aber dafür Leute, die dabei sind. Ich will auch nicht mehr sechs Mal in der Woche spielen. Jetzt spiele ich drei Mal die Woche – Dienstag, Mittwoch, Donnerstag.

 

Du hast ja einmal jede Menge Rekorde gebrochen.

 

Irgendwann wird das ein Sport. Dann spielt man zwei Mal in der Stadthalle. Ich hab dann aber so einen Druck gehabt, so einen Rummel um meine Person.

 

Der war aber auch ein gutes Gefühl, oder?

 

Ich mache das seit Mitte der 80er Jahre und hatte das Glück, dass das langsam gewachsen ist. Ich bin ja zum Glück nicht schlagartig prominent geworden. Zuerst habe ich vor 15 Leuten gespielt, dann vor 50, dann war ich das erste Mal ausverkauft mit 200 Leuten. Wow. Dann haben wir einen Kinofilm gemacht, „Muttertag“, der hat auch gut funktioniert. Ich bin mit dem Mehr gut zurande gekommen. Aber der Society-Scheiß hat mich immer genervt. Ich selber müsste mir mein Lebtag überhaupt nichts mehr kaufen. Alleine in der Halle da hinten stehen zehn alte  Motorräder. Bis die alle hin sind, so alt werde ich gar nicht. Vier alte Autos stehen auch noch herum und die kann ich fahren, bis die zusammenbrechen.

 

Es gibt doch auch Bedürfnisse.

 

Klar gibt es immer wieder Dinge, die ich geil finde. Das darf auch sein. Dann frage ich mich heute aber: brauche ich das wirklich? Ich habe so oft etwas mit viel Aufwand gekauft und dann hatte ich es – und der Schmäh war vorbei. Das Auftreiben war der Sport, das Ding an sich war wurscht. Am 26. Dezember sind die meisten Weihnachtsgeschenke ja auch fad.

 

Was braucht man denn wirklich? Und da meine ich jetzt nicht Essen, trinken, schlafen.

 

Sein, tun, interagieren. Sein heißt: gesund sein. Es ist eine ganz kluge Investition, in seinen Körper zu investieren. Das Haus, in dem dein Geist wohnt, muss sauber bleiben. Ich will mit 80 noch das machen können, was ich jetzt mache: Stiegen steigen und mit der Scheibtruhe fahren, einen Sack mit Erde heben können. Das bewahre ich, indem ich es regelmäßig tu. Sport mache ich keinen. Ich gehe Rad fahren oder auch nicht, gehe laufen oder auch nicht. Aber ohne Pulsuhr und dem Wahnsinn, den ich früher gemacht habe.

Tun heißt: etwas schaffen. Gedanken materialisieren. Das geht ja so vielen Leuten im Beruf ab. Die schaffen nichts. Ich habe schon als Kind gerne gebastelt.

 

Wie sieht es aus mit „Haben“?

 

Haben muss man auch. Ich brauche Energie zum Überleben, also schaffe ich auf Vorrat Dinge an, die mir das ermöglichen. Ein Teil meines Habens ist dieser Garten. Von dem ziehe ich Energie heraus. Das muss man die Grenze erwischen zwischen Sinn und Unsinn.

 

Wir können aber auch nicht zurück zu einer Agrargesellschaft. So wie DU das eben machst.

 

Wir SIND doch eine Agrargesellschaft, wir haben nur den Bezug zum Boden verloren und das alles ausgelagert. Seit der Sesshaftwerdung sind wir Ackerbauern und unser Überleben hängt davon ab, ob es Pflanzen und Gärtner gibt. Solange der Boden lebt, leben auch wir. Irgendwer muss für uns Sonne in Nährstoffe verwandeln. Alle Lebensmittel im Supermarkt sind aus einer Pflanze.

 

Hoffentlich.

 

Der Heldenplatz in Wien ist nach dem Krieg von den Wienern dazu verwendet worden, Gemüse anzubauen. Es gibt auch heute sehr viele Leute, die wieder ihr eigenes Gemüse anbauen. Wir drehen dadurch nicht das Rad der Zeit nicht zurück. Es kommt einfach eine neue Zeit, die uns zurück bringt zu einem früheren Verständnis. Wir werden wieder sehr genau sehen, was uns wirklich versorgt. Wir haben da eine Illusion gebaut, die bloß auf Pump funktioniert. Wir haben unsere Zukunft belehnt. Unsere Kinder werden uns einmal fragen, ob wir deppert sind. Dann werden wir sagen: Wir haben es nicht gewusst, so wie immer.

 

Es kommt jetzt wohl eine Korrekturphase.

 

Wir sind zu viele auf dem Planeten. Seit dem Tod Kennedys haben wir uns verdoppelt. Dank Erdöl. Das wird sich jetzt regulieren. Auf unser beider Leben hat das keinen Einfluss. Schauen wir mal, wie lange dieses System im Wachkoma noch am Leben zu erhalten ist.

 

Wir leben natürlich auch ein Second Life. Sehr viel in unserem Leben ist virtuell.

 

Davon habe ich mich gelöst. Wir haben uns einen feschen Freizeitpark gebaut, der aber nicht die Realität ist. Ah, da gibt es noch den Punkt „Interagieren“. Das heißt: wir sind soziale Lebewesen. Einer alleine dazaht’s nicht. In kleinen Gemeinschaften funktioniert das Leben. Da kann man die Fähigkeiten des anderen noch einschätzen. Große Konzerne und Staaten funktionieren aber nicht. Da geht man sich eher am Arsch. In einem kleinen Grätzl Leute zu treffen, ist schön. Da plaudert man. Die Menschenmenge am Samstag im Mediamarkt braucht niemand.

 

Wenn wir jetzt aber aufhören mit Fernreisen und zurückgehen zur eigenen Scholle, dann habe ich das Bedenken, dass wir uns re-provinzialisieren.

 

Fernreisen sind super. Wenn es eine Reise ist und nicht bloß ein Ortswechsel im Höllentempo. Du bist woanders, aber nimmst deine Geschichte mit. Hast du dich vorher gereinigt, oder kommst du mit deinem ganzen Scheißzeug an den Urlaubsort?

 

Du meinst also, wir dürfen schon tun wie bisher, nur sollten wir es mit dem richtigen Bewusstsein tun.

 

Ja, und im richtigen Tempo! Dann müssten wir auch auf nichts verzichten. Und an die Re-Provinzialisierung glaube ich nicht. Ich sehe es zumindest nicht als negativ. Das, was wir hier in der Provinz haben, ist super. Nur wenn man am Land versucht, die große Stadt nachzuleben, dann wird’s patschert. Wenn aber ein kleines Dorf ein Dorf bleibt, dann hat das nichts Provinzielles. Wenn man in Südamerika in ein kleines Dorf kommt, das noch sehr im Einklang mit dem Umfeld und sich selbst leben, käme man nie auf die Idee zu sagen: das ist provinziell. Es ist bloß ein anderes Leben.

 

Naja, viele Dorfbewohner sind aber nicht mehr im Einklang mit ihrem Umfeld. Das ist doch eher eine sozialromantische Vorstellung.

 

Stimmt schon. Wenn du am Land bist und dort jemand mit dem Mountainbike herumfahrt, sind das die Städter, nicht die Einheimischen. Die kennen ihren Wald ja oft gar nicht mehr. Das, was das Landleben ausmacht, wird nicht mehr gelebt.

 

Wie machst Du es denn hier?

 

Ich habe da drüben im Keller ein Kino. Jetzt machen wir alle drei Monate Kinovorführung mit Rum Punch (Rum mit Fruchtsäften), Bier und Popcorn und nachher besprechen wir den Film. Heuer hatten wir erstmals Silvester auf der Wiese. Wir haben gegessen, was jeder mitgebracht hat. Wir kooperieren auch. Ein Nachbar hat dringend ein Auto gebraucht; ich habe ein Altes gehabt und gesagt: „Ich gebe dir das. Irgendwann brauche ich auch etwas von dir.“ Jetzt steht mein Stier auf seiner Weide in Pension.

So hat das nichts Provinzielles, sondern ist gelebte Gemeinschaft. Provinziell wird es, wenn die Blasmusik aufmarschiert.

 

Bist Du nicht auch ein Reisender?

 

Wenn ich ein Reisender bin, dann reise ich. Die Leute heute sind aber keine Reisenden. Wenn das Lebenskonzept ist, sich kulturell auszutauschen, kann ich das ja machen. Ich bin das nicht. Ich bin sehr verwurzelt. Natürlich war ich auch viel unterwegs. Wie ich das erste Mal in NY war, war ich total enttäuscht. Aha, Autos, Taxi, rote Ampel, essen beim Italiener. Und? Wir haben uns halt auch den Zauber genommen dadurch, dass alles gleich ist auf der ganzen Welt. Du triffst ja gar keine andere Kultur mehr. Coca Cola ist doch überall.

 

Und die drohende Saatgutverordnung! Wenn das kommt, werden auch autochthone Pflanzen und Speisegewohnheiten von Grund auf ausgelöscht.

 

Dass so was überhaupt gedacht werden kann. Da könnte ich jetzt echt einen Partisanenkrieg anzetteln. Ich bin da wirklich gefährdet. Ich werde gleich böse und kriegerisch. Besser ich verteidige nur das hier, meine unmittelbare Umgebung.

Es wird immer enger, nicht nur finanziell. Die Freiheit wird enger. In den 70er Jahren war das noch anders. Alleine beim Autofahren gab’s keine Nackenstützen und kein Anschnallen. Die sicherste Straße war eine Baumallee. Wenn man da angesoffen gefahren ist, war man tot. Darum ist jeder langsam gefahren. Eine vierspurige Autobahn heute ist absolut keine Sicherheit, bloß die Illusion davon.

Wir gehen mit unserem Körper ja auch so um. Wir müssen uns dauernd impfen. Das Immunsystem sagt bloß: Hallo, ich bin da! Aber nein: wir impfen uns und das Immunsystem sagt: „Leck mi am Oasch, tu ich halt nichts“. Wir haben den Bezug zum Lebendigen verloren. Das Leben in uns hat keinen Wert mehr. Aber wir können das Leben dafür versichern. Was sagt man dazu?!

 

Darum machst Du ja wohl Deinen Selbstversuch?

 

Durch meinen Selbstversuch habe ich viel Post bekommen, auch von Leuten, die neue Strukturen aufbauen: Tauschkreise, Wohngemeinschaften. Das ist super, weil das lokal passiert und es noch keine Dachgemeinschaften gibt. Gefährlich wird es mit dem Auftauchen von Dachgemeinschaften. Die Politik fängt dann an, sich das zunutze zu machen. Sobald es einen Dachverband gibt, kriecht von irgendwo ein Politiker heran, um Obmann zu werden. Die Größe führt zur Vereinheitlichung und dann kommt jemand und vertritt seine eigenen Interessen. Das solltest du lesen: Leopold Kohr: Das Ende der Großen, geschrieben in den 50er Jahren; seine Theorie: ab einer bestimmten Größe geht nichts mehr. Alles, was wir an Italien lieben, ist ja entstanden als es Fürstentümer und Stadtstaaten gegeben hat.

 

Es wird also kompliziert und komplex …

 

… und die Verantwortung geht verloren. Niemand ist mehr für irgendwas verantwortlich. Schau, ich muss auch mein Werkel am Leben erhalten. Wenn die Leute nicht mehr bereit sind, sich den Düringer anzuschauen, verlieren hier auch ein paar Leute den Arbeitsplatz.

 

Was tun?

 

Wer jetzt einen Beruf lernt, kann immer irgendetwas Sinnvolles produzieren. Fliesenleger, Tischler, Friseur. Alle, die vor dem Computer sitzen, braucht irgendwann einmal niemand mehr. Darum würde ich meine Tochter nie zwingen zu studieren. Ich hab ja gottlob HTL gemacht und kann Metall bearbeiten. Die Mutter meiner Tochter macht Psychotherapie. Das wird aber niemand brauchen, wenn’s eng wird. Wir brauchen auch niemanden, der ätherische Öle verkauft. Wenn die Leute sich wieder um das Leben kümmern müssen, ist ein anderer Bedarf da.

 

Das klingt apokalyptisch und depressiv.

 

Ich bin guter Dinge, was die Zukunft betrifft. Jeder Wandlungsprozess tut natürlich weh. Wenn ein Wald abbrennt, tut das weh. Aber aus der Asche entsteht was Neues.

 

Wie hältst Du es mit der Kunst des Loslassen?

 

Ich habe ja zwei Jahre Entgiftungskur gemacht. Ich habe mich umformatiert. Da habe ich nur mehr 64 Kilo gehabt und dann wieder aufgebaut. Je weniger wir in uns einfüllen, desto weniger Dreck entsteht. Der Körper versucht ja permanent nichts anderes, als Dreck loszuwerden. Da hat er viele Organe und Möglichkeiten.

 

Lebst Du vegetarisch?

 

Ich esse 4 x im Jahr Fleisch. Dann aber ein Tier, das ich persönlich gekannt und umgebracht habe. Dann ist es etwas Besonderes. Ich esse nichts aus Massentierhaltung. Alkohol gibt es seit Anfang des Jahres auch nicht. Ich vertrage sehr viel. Nach einer Flasche Wein merke ich gar nichts. Aber mein Körper muss das entgiften. Also wozu dann? Kaffee gibt’s einmal die Woche am Sonntag.

 

Bist du sensibler geworden durch die körperliche Umstellung?

 

Ich habe ja so lange entgiftet, weil mein Körper so ein Klotz ist. Wo ein anderer ein paar Tröpfchen von einem Präparat braucht, spüre ich gar nichts. Ich brauche von allem eine höhere Dosis.

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