Globale Dörfer

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Dörfer funktionieren anders als Städte. Ihr Grundmuster ist Kooperation. Doch es fehlen Innovation und Vielfalt. Die Idee der Globalen Dörfer könnte es erlauben, globales Wissen in‘s Dorf zu importieren und es so lebensfreundlicher machen. Text von Franz Nahrada

Wir leben in einer Zeit, in der das Gleichgewicht zwischen ländlichem Raum und Metropolen grundlegend aus den Fugen geraten ist. Ein Prozess der Entvölkerung der Peripherien greift um sich, weltweit und scheinbar unaufhaltsam. Diese Entvölkerung ist leider ein sich selbst ständig verstärkender Prozess. Mit jedem Menschen der das Dorf verlässt, gibt es weniger Einkommensmöglichkeiten, Anbieter, Kunden, Dienstleistungen, Ansprechpartner, Freunde, Helfer, Partner.

Es geht heute darum, für das Dorf – egal ob es sich in der Nähe einer Großstadt oder im peripheren Raum befindet – eine Vision zu entwickeln, die das Leben, die Lebendigkeit, die Vielfalt, die Offenheit und anderes mehr wieder in den Vordergrund stellt. Dörfer müssen derartig entwickeln, dass Menschen wieder gerne hinziehen, weil sie dort alles vorfinden, was das menschliche Leben ausmacht. Sie müssen sich auf der einen Seite den Errungenschaften der Städte stellen, dürfen aber andererseits ihre Eigenart nicht verlieren.

Der ländliche Raum funktioniert komplett anders als Städte. Die Menschen sind in viel größerem Ausmaß aufeinander angewiesen. Das Grundmuster ist die Kooperation und nicht der Wettbewerb. Ländliche Räume blühen dort, wo dieses Muster erkannt und bewusst forciert wird. Diesem Unterschied müsste eigentlich ein komplett anderes Bildungswesen Rechnung tragen, das aber nur in Ansätzen existiert, und heute noch eher durch initiative Personen als durch Institutionen getragen wird.

Eine Vision, die sich genau dieser Herausforderung stellt, ist mein Bild der Globalen Dörfer. Es besteht darin, dass mit den Mitteln der modernen Kommunikationstechnologien mitten im Dorf Orte des Zugangs zu Wissen und Können entstehen. Im ländlichen Raum müssen Menschen vieles selber machen und sie sind dazu auch prinzipiell in der Lage. Sie kooperieren zumeist ganz gut und wissen, dass sie zusammenhalten müssen. Aber die andere Seite, die noch viel zu kurz kommt, ist Innovation, Vielfalt, Verbesserung, Effektivierung, wirkliche Schönheit und Eleganz. Hier fällt das Dorf immer weiter hinter die Städte zurück. Das merken die Jungen und wandern einfach ab. Ein Teufelskreis?

Nein! Wenn wir beginnen, ganz gezielt Wissenskooperation für die Verbesserung und Verfeinerung unserer Lebensumstände einzusetzen, dann schaut die Welt ganz anders aus. Wir sehen überall auf der Welt Bausteine dessen, was möglich ist, wenn gemeinsamer Wille und die richtigen Fähigkeiten und das richtige Können zusammentreffen. Die Idee liegt nun nahe, dass sich die Dörfer das wechselseitig erzählen. Ich plane seit vielen Jahren eine „virtuelle Universität der Dörfer“, und an manchen Orten haben meine Ideen bereits Resonanz gefunden.

2004 hat sich Kirchbach in der Steiermark als Ort für praktische Experimente angeboten. Hier wurden erstmals regelmäßige Videoübertragungen von Lehrveranstaltungen der Universität Graz und anderen Universitäten, virtuelle Dichterlesungen und Kongresse und zunehmend auch selbst mitgestaltete Gemeinschaftsveranstaltungen wie „Bioversität“ und „Lange Nacht der Sprachen“ abgehalten.

So können Lernzentren und Bildungs-häuser entstehen, in denen auf der einen Seite globales Wissen „importiert“ wird und auf der anderen Seite aber jedes Dorf selber ein Thema und ein Feld beackert, in dem es Spitze ist – und so auch etwas beiträgt zum großen Bildungskuchen, an dem sich alle nähren können.

Seit mehr als 20 Jahren betreibt Franz Nahrada, Soziologe und Hotelier in Wien, Forschungs- und Recherchearbeiten unter dem Titel „Globale Dörfer“. Er ist Mit-Initiator des Symposions „Liebesdörfer“, das vom 21. bis 23. Dezember in seinem Hotel Karolinenhof in Wien stadtfindet. www.karolinenhof.at

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