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Entspannen Sie sich!

Über Großzügigkeit, Ironie und die Merkwürdigkeiten des aktuellen Weltrettungsdiskurses. Georg Bauernfeind hat sich in „Endlich im Endlichen“, dem neuen Nachhaltigkeitsbuch von Fred Luks, vertieft.

Dass irgendetwas nicht so richtig klappt bei der „Rettung der Welt“, das haben sich wahrscheinlich schon viele gedacht – nicht nur die Bewahrer und Verteidiger des aktuellen Status Quo. Das Buch „Endlich im Endlichen“ trifft den wunden Punkt der Nachhaltigkeitsszene. Das ist auch deshalb unangenehm, weil die Kritik von innen kommt.

Gut so. Denn Fred Luks, Wissenschaftler und CSR-Manager bei einer großen österreichischen Bank, hat einen Essay geschrieben, über das, was im herrschenden Weltrettungsdiskurs fehlt: Ironie und Großzügigkeit. Das war längst notwendig. Denn machen wir uns nichts vor: Auch wenn die Berliner TAZ schon länger eine  Kolumne mit dem Titel „Ökosex“ führt – sexy und witzig ist das Thema nicht. Im Gegenteil: Die „Rettung der Welt“ bleibt eine ernste Sache, von ernsten Leuten, die sich ihrer eigenen Positionen sehr sicher sind: „Runter vom Gas, Müll trennen, ökologisch einkaufen, solidarischer denken – dann klappt das mit der Rettung des Planeten.“ Dem schleudert Luks ein entschiedenes Nein entgegen. Er wehrt sich gegen extrem individualistische Ansätze ebenso wie gegen steuerungsoptimistische Varianten von Weltrettungsplänen. Beiden kann man „ernsthaft nur ironisch begegnen.“

Wieso eigentlich und was versteht man unter Ironie? Luks bezieht sich auf Richard Rorty, dessen Ansatz in etwa so lautet: Wer um die Relativität seiner Position nicht weiß, schwebt in Gefahr die Komplexität der Welt zu unterschätzen und daher falsch zu entscheiden. Ein ironischer Zugang meint daher „dass man sich für etwas einsetzen kann, auch wenn man weiß, dass die Ideen, die man verfolgt, nicht natürlich oder selbstverständlich sind und also auch ganz andere sein könnten, also kontingent sind.“

Mit anderen Worten: „Entspannen Sie sich.“ Strom sparen und Materialeinsatz senken allein – das wird die Welt nicht retten. Denn Effizienz hat uns ja genau dorthin geführt, wo wir heute stehen. Wenn Autos weniger Sprit brauchen, führt das dazu, dass der Spritpreis sinkt, weil wieder mehr Sprit zur Verfügung steht. Was dazu führt, dass wieder mehr gefahren wird. Und vor allem weiter. Ein Teufelskreis. Nein, auch nicht der Innovationsboom wird uns erlösen. Und damit sind wir beim Kern des Buches: „Nachhaltigkeit hat wesentlich mit dem zu tun, was man unter Großzügigkeit zusammenfassen kann.“

Eine paradoxe Intervention? Luks hat kein Problem damit, wenn er so interpretiert wird. Er bricht eine Lanze für die Fülle und für die Verschwendung. Denn das herkömmliche Paradigma des Wirtschaftswachstums sei durch Knappheit geprägt, was zu einer Endlosschleife von Mehrproduktion und Mehrwollen führt. Ohne Maß, ohne Ziellinie, ohne Endpunkt. Immer ist da eine Lücke, die durch neue Produktion, durch neuen Konsum geschlossen wird. Und im Schließen eine neue aufreißt. Und diese Schleife soll durch Verschwendung aufgebrochen werden?

Natürlich plädiert der Autor auch für die Entkoppelung von Wirtschaftsleistung und Umweltverbrauch. Aber es geht ihm um viel mehr. Es geht ihm um ein Menschenbild. Also um die Frage nach dem Glück. Da ist sie wieder, die Lücke: Wir haben es nicht nur gerne gut, sondern gerne besser! Wir sind unzufrieden. Immer. Weil das Mögliche durchschimmert, aber letztlich unerreichbar ist. Und ein großes Auto gehört nicht immer dem, der den weitesten Weg hat. Da gibt es noch ganz andere Bedürfnisse!

Es geht daher um Muße, um Zeit zum Nachdenken. Und um Resilienz, also um die Überzeugung, dass es für ein System besser ist, wenn es einen gewissen Spielraum hat. Der Seiltänzer muss einen gewissen Freiraum für seine Armbewegungen haben, um balancieren zu können. Mit festgebundenen Armen stürzt er ab. Die Nutzung der Natur bis zum Letzten ist ein Tanzen auf dem Seil mit festgebundenen Armen. Grund genug, sich einer Empirie der Verschwendung zuzuwenden. Schließlich gibt es ja auch Güter, die sich durch ihren „Gebrauch“ vermehren“: Liebe, Freundschaft, Hingabe, Fürsorge, Freude und Zuwendung beispielsweise.

„Endlich im Endlichen“ arbeitet eine unglaubliche Fülle an Nachhaltigkeitsliteratur ein – schon deshalb eine Empfehlung. Aber es wird auch viel vorausgesetzt. Was versteht man noch einmal schnell unter Resilienz, Kontingenz und Potlatsch? Schade, weil das die Leserschaft eingrenzt. Und man bedauert, dass sich das Buch dann doch nicht zu einer Vision aufraffen kann, wie das aussehen könnte: Ein entspannter Lebensstil, großzügig aber nicht ressourcenintensiv, ein Lebensstil der ironisch daherkommt und trotzdem überzeugt ist, von einem Anders, dafür aber keinen moralischen Überlegenheitsgestus braucht. Vielleicht ist das aber auch eine zu hohe Erwartung an einen philosophischen Essay. Wahrscheinlich müssten diese Visionen aus anderen Bereichen kommen: Aus der Literatur, aus der Kunst, aus der Spiritualität. Denn ganz neu ist das alles natürlich nicht – die Frage nach dem Glück und nach dem Tod. Hier gibt es schon noch Schätze zu bergen – auch in der Religionsabteilung. Gerade wenn es um Begriffe wie Gastfreundschaft und Geschenk geht.

Die Stärke des Buches ist, dass es die Nachhaltigkeitsszene nicht oberflächlich aufs Korn nimmt, sondern in der Tiefe hinterfragt. Ganz ohne ironische Kommentierung kommt die Szene aber auch nicht davon: „Mittlerweile gibt es Menschen, die mit Nachhaltigkeit ihr Geld verdienen, was ein Verschwinden des Themas unwahrscheinlich macht.“ Das sitzt. Und es ist ja wirklich auch viel Ungewissheit im Spiel, bei all den Ökopäpsten mit ihren „Scheinexaktheiten“. Erst gar nicht zu reden von den LOHAS, also der gutverdienenden Minderheit, die es sich leisten kann, „ökologisch“ zu leben und die mit ihren Fernflügen und Hybridautos dennoch mehr CO2 verbraucht, als die große Mehrheit der „nicht nachhaltig lebenden“ Leberkäs- und Dosenbier-Fraktion. Ja, da wird viel ausgeblendet. Auch das musste gesagt werden. Ein wildes Buch. Ein radikales Buch. Ein nicht ganz leicht zu verstehendes Buch. Deshalb: zweimal lesen. Es lohnt sich.

Luks, Fred: Endlich im Endlichen. Oder: Warum die Rettung der Welt Ironie und Großzügigkeit erfordert. Metropolis Verlag, Marburg 2010

Die Logik des Misslingens

In dieser Ausgabe von wirks ist von Fehlern die Rede. Dass wir sie machen, dass sie uns fertig machen, dass sie aber mitunter gar nicht so schlecht sind. Hier ist nun das passende Buch für alle, die schon immer geahnt haben, dass dem Desaster im Unternehmen eine große unausweichliche Logik inne wohnt: Die Logik des Misslingens. Gelesen von Harald Koisser

Der Bamberger Psychologe Dietrich Dörner, Autor des Buches, hat für das systemische Verständnis der Welt einiges geleistet. Er hat etwa „Tanaland“ erfunden, ein Computerspiel, bei dem es darum geht, als Spieler das nicht-existente, aber von den Lebensumständen her recht real angelegte afrikanische Land, in eine lichte Zukunft zu führen. Mit dem schockierenden Ergebnis, dass so gut wie alle Probanden, die er zum Spiel eingeladen hat, trotz bester Absichten das arme Tanaland in den Ruin getrieben haben. Wie kann das sein? Wie kann etwas schief gehen, wo doch die Herangehensweise von guten Absichten durchtränkt ist? Mehr als das, wie Dörner präzise und schockierend am Psychogramm des Reaktorunfalls von Tschernobyl nachweist: nicht nur gute Absichten, sondern beste Ausbildung, genaueste Kenntnis der Umstände, ausgefeilte Sicherheitsmaßnahmen mit Check/Re-Check/Double-Check, präzise und durchdachte Vorschriften für Eskalationsverfahren sind vorhanden, niemand wollte etwas Böses, niemand hat versagt! – und doch kommt es zum GAU! Tschernobyl – die Live-Version von Tanaland!

Dörner führt uns in die Logik des Misslingens ein. Wir Menschen sind evolutionär „behindert“. Wir sind der eher primitiven Mechanik verhaftet. Es ging im Frühstadium der Menschwerdung um das Feuerholz im Winter oder um einen Plan, wie man eine Herde von Wildtieren so treibt, dass sie in eine Schlucht stürzen. Alles einfache Ad-hoc-Maßnahmen, die keine Bedeutung über den Moment hinaus hatten! Sie lösten ein räumlich und zeitlich isoliertes Problem. Keine Rede davon, dass der Bedarf an Feuerholz oder die Bejagung von Tieren auch nur ansatzweise den Bestand an Wald und Wild beeinflusste. Es gab gewissermaßen kein größeres Ganzes, kein Darüberhinaus. Das hat uns jahrtausendelang geprägt.

Heute haben wir es permanent mit komplexen Situationen zu tun. Das heißt:

•   Es gibt viele Variablen
•   Alle Variablen beeinflussen einander
•   Die Situation ist zwingend geprägt von Intransparenz und Unvollständigkeit (man sieht nicht alles und hat nie alle Informationen)
•   Es gibt eine Eigendynamik (das System entwickelt sich von alleine weiter)

Das ist neu und verwirrend, es erfordert Denken in Zusammenhängen, was dem Ad-hoc-Menschen ungewohnt ist. Der Mensch geht laut Dörner mit Systemen so um als wären sie eine Anhäufung unzusammenhängender Einzelsysteme, was dazu führt, dass Zustände gemanagt werden und nicht Prozesse. In einem System gibt es aber leider nicht „eins nach dem anderen“, kein primitives „Wenn-Dann“. Jede Maßnahme hat Sofortwirkungen, aber auch ganz massive Fern- und Nebenwirkungen und es ist völllig unmöglich, sie alle abzuschätzen und in die Berechnung einzubeziehen.

Wohlmeinende „Könige von Tanaland“ kümmern sich gerne massiv um die Gesundheitsvorsorge. Der kurzfristige Erfolg ist berauschend. Die Menschen leben länger, die Säuglingssterblichkeit nimmt ab. Und dann kommt das Elend in Form einer Hungerkatastrophe, denn das Nahrungsangebot hat sich nicht im Ausmaß der Bevölkerung vervielfacht. Eine einzige Variable zu verändern, führt in komplexen Systemen kurzfristig zu Erfolgen, langfristig meist zu einem Desaster. Nichts, was den Menschen jahrtausendelang interessieren musste. Das ist ein Phänomen der Neuzeit!

Ein bekanntes Beispiel für Nebeneffekte aus der Realität: Wenn heute die Polizei vermeldet, dass sie eine Riesenmenge an Heroin beschlagnahmt hat, so bedeutet das systemisch, dass kurzfristig der Marktpreis für Heroin steigt und damit auch die Beschaffungskriminalität der Süchtigen. Somit führt der Erfolg der Polizei zu einer erhöhten Kriminalität und Bedrohung der BürgerInnen.

Komplexität zu managen heißt gewissermaßen, sich mit Mangelhaftigkeit und Unübersichtlichkeit anzufreunden. Es heißt, ein System, das man rational nicht komplett verstehen kann, weil niemals alle Informationen verfügbar sind, auf andere, intuitive Art zu „verstehen“. Wir müssen uns Strukturwissen aneignen – also zu verstehen lernen, wie welche Variablen in etwa zusammenhängen – und die Tendenz zu erkennen versuchen. Die Schlüsselfrage ist hier weniger „Was kann ich tun?“ als vielmehr „Wo will das Ganze hin?

Kein Grund zu verzweifeln, wie Dörner anmerkt. Der Mensch kann systemisches Denken lernen, auch wenn es ihm nicht in die genetische Wiege gelegt wurde. Komplexität ist letztlich eine subjektive Größe, wie man anhand des Autofahrens sehen kann. Die Vielfalt an Lichtsignalen, Bewegung und Handgriffen überfordert die Anfänger massiv, routinierte AutofahrerInnen meistern dieselbe Situation schließlich in entspannter Aufmerksamkeit.

Mit einem sollten wir tunlichst vorsichtig sein: mit dem Schaffen komplexer Systeme und Situationen, die Null-Fehlertoleranz vertragen. Der Mensch bleibt nämlich bis auf weiteres menschlich und fehlerhaft.

Dörner, Dietrich; Die Logik des Misslingens (Strategisches Denken in komplexen Situationen), rororo, Reinbek bei Hamburg 1989/2003

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