Die Liebespriesterin

Warum kommen Leute zu dir anstatt zu einer Sexualtherapeutin?

Die Leute können zu mir und zu einem Sexualtherapeuten gehen. Die Frage ist, was zieht einen an? Wenn ein Trauma vorhanden ist, leite ich selbst zur Sexualtherapeut*in weiter! In meiner Arbeit ist die spirituelle Dimension ein sehr wichtiger Teil. Ich stelle einen Rahmen zur Verfügung, in dem die dem Menschen inne wohnende Weisheit zum Schwingen kommen kann. Ich arbeite auch mit Ritualen.

Was ist ein Ritual?

Eine symbolische Handlung mit einer bestimmten Absicht. Ein Thema ist immer wieder, dass sich die Leute zu wenig Zeit nehmen zum Entdecken ihrer Bedürfnisse, ihrer Talente, auch im Sexuellen. Sich bewusst diese Zeit immer wieder einzuplanen, alleine und als Paar, wäre schon ein ritueller Akt. Eine wichtige Wiederholung. Über dieses Dranbleiben findet eine Verstärkung, eine Verschiebung der Wichtigkeiten statt. Ein Ritual schafft Bedeutung für etwas.

Haben die Leute keine Zeit für die Liebe?

Ja, das ist ein Aspekt, der mir immer wieder begegnet. Oft reicht es wirklich, sich bewusst Zeit zu nehmen für den Sex.

Gibt es so etwas wie Standardbedürfnisse? Gibt es Muster?

Es kommen Leute zu mir, die Lust haben auf eine erfüllende Sexualität. Frauen und Männer, die sich nach tiefer Erfüllung sehnen auf allen Ebenen. Sie kennen das vielleicht schon mit ihren Partnern und wollen es wiederfinden, oder sie wollen es endlich entdecken. Es geht um tiefe Liebe und tiefe sexuelle Erfüllung.

Was ist erfüllte Sexualität?

Was ich wahrnehme, ist die Verbindung von Liebe und Sex. Da gibt es etwas, was mich über die Dauer der sexuell-erotischen Begegnung hinaus erfreut. Was mich strahlen lässt, auch wenn ich gerade keinen Sex habe.

Erfüllte Sexualität geht also über den sexuellen Akt hinaus.

Es nährt auch die Seele. Nicht nur den Körper.

Sex ohne Liebe geht schon auch?

Ja klar! (lacht). Man kann mit allem in gegenseitiger Vereinbarung experimentieren. Ich kann das Eigene durch Experimente finden und ausloten.

Was macht es für die Leute so schwierig, ihre erfüllte Sexualität zu finden? Man sollte meinen, dass Sexualität als etwas sehr Ursprüngliches den Menschen sehr nahe ist. Ein Primärbedürfnis, so wie Essen und Trinken.

Ist es auch. Sexualität ist eine tiefe Art der Kommunikation. Dafür braucht es Achtsamkeit, einen besonderen Raum. Man muss sich selber wahrnehmen können. Es braucht Absichtslosigkeit. Sex war ursprünglich ein heiliger Akt. Das haben wir verloren. Danach sehnen sich alle. Manchen ist es mehr bewusst, anderen weniger. Die satte Erfüllung liegt darin, dort wieder hinzukommen.

Es gibt ja Institutionen, die definieren, was eine gute Partnerschaft ist und wie Sexualität zu sein hat. Politik, Kirche, aber auch Role Models, die man im Fernsehen sieht.

Je größer die Kräfte, desto eher werden sie irgendwelchen Interessen untergeordnet. Da geht es um Macht. Sex und Liebe sind die größten Kräfte, die Menschen bewegen. Man macht ja die verrücktesten Dinge, um dieser Anziehung zu folgen. Diese Kraft wird institutionell kanalisiert im Sinne von Macht.

Eine banale Erkenntnis sagt, bevor ich jemanden anderen lieben kann, muss ich mich selbst lieben. Geht es so?

Menschen sind in ihrer Selbstliebe leider wenig gestärkt. Das wird meist mit Egoismus verwechselt. Insoferne könnte man die Frage sanft mit ja beantworten. Damit ich die Liebe zu mir selbst entwickeln kann, brauche ich aber ein Gegenüber. Das ist zuerst meine Mutter, mein Vater, meine Familie – und Mutter Erde, die Natur. Das ist etwas, was uns Menschen zutiefst nährt. Wir brauchen die Begegnung mit den Kräften der Erde, um zu erkennen: „Ich bin Erde, ich bin Natur“. Schau, jetzt ist Frühling, die Knospen sind im Aufbrechen. Das ist derart bezaubernd und berührend. Da kann ich die Liebe finden. Diese Liebe ist die Voraussetzung, dass wir überhaupt hier sind. Diese Liebe in der Natur zu finden ist eine Vorrausetzung, die Liebe zu mir zu finden. Dann brauche ich natürlich ein menschliches Umfeld, das mir Geborgenheit gibt. Gerald Hüther hat kürzlich auf einer Konferenz gesagt, wir können unsere Kreativität gar nicht alleine entwickeln. Das geht nur in Co-Kreativität. Eine Gemeinschaft ist eine wesentliche Begleiterin, um in die Liebe zu mir selber zu finden. Ich brauche die Erde, die Gemeinschaft, das Nichts.

Das Nichts? Gibt es eine Liebe zum Nichts?

Um Liebe erleben zu können, braucht es auch die Liebe zum Nichts. Wir sind ja oft so voll mit Tagesabläufen und Geschäftigkeit, dass wenig Zeit für das Unmittelbare bleibt. Wir haben so eine Geschwindigkeit, die unserem Rhythmus überhaupt nicht mehr entspricht. Wir sind so weit weg von dem, was wirklich berührt. Wenn wir uns Räume der Leere schenken, wo nichts geplant ist, wo wir schauen, wie das Leben einfach auftaucht, kann ich Erfahrungen machen, die mir sonst nicht zugänglich sind. Das Leben hat dann endlich Raum, sich zu entfalten. Solche leeren Räume selber zu schaffen, ist eine tolle Möglichkeit, Erfüllung zu spüren.

Manchmal bricht das Nichts auch über uns herein.

Ja, das Leben schenkt uns manchmal so eine Leere. Dann nehmen wir das meist eher traumatisch wahr. Etwa wenn sich eine Beziehung verändert, wenn die Kinder ausziehen. Diesen Raum der Leere dürfen wir aber als Geschenk sehen mit all seinen ambivalenten Gefühlen. Wir sinken tief in das eigene Sein. Das ist wohl die einzige Möglichkeit.

Es geht also darum, Umbrüche als etwas Lebendiges und Schönes anzunehmen.

Zusätzlich zum Katastrophengefühl gibt es eben noch was. Die Vorbereitung auf das Neue. Es gibt ja keinen endgültigen Tod. Das ist immer nur ein Übergang. Ich kann es vielleicht nicht als schön empfinden, aber ich kann dem Gefühl zumindest Raum geben: ja, du Übergang, du bist willkommen! Ich weiß nicht, wo es hingeht, aber ich bin bereit, mich führen zu lassen. Von etwas, das größer ist als ich.

Das ist schon die hohe Schule der Selbstliebe.

Das geht aber in Richtung neuer Partnerschaften, die anders sind und andere Menschen voraussetzt. Es gibt eine Bezeichnung wie „Seelenpartnerschaft“. Das sind Menschen, die eine tiefe Verbindung zueinander haben, die oft nicht praktisch ist, aber ein großes Wachstum ermöglicht. Es hat etwas Unausweichliches. Solche Seelenpartnerschaften bauen auf ganz anderen Werten auf als bisherige Partnerschaften. Die herkömmlichen Paare leben großteils auf einer Bedürfnisebene. Irgendjemand braucht irgendwas von irgendjemand anderem. In Seelenpartnerschaften haben die einzelnen Personen ihre Bedürfnisse bereits erfüllt. Die Liebesbeziehung ist daher nicht auf Bedürfnisse und Sicherheit ausgerichtet, sondern ausschließlich auf das Sein und die Liebe und das Wachstum. Da gibt es keine Möglichkeit mehr, den eigenen Themen auszuweichen.

Was tut man dann?

Sich mit andern Paaren austauschen, achtsame sinnliche Erfahrungen in Frauen- und Männerkreisen schaffen. Sich seiner Liebeskraft bewusst werden. Auch das Thema Dreierbeziehung findet in neuen Partnerschaften einen anderen Umgang, weil die Liebe so frei von Nöten und Abhängigkeiten ist, dass sich auch andere Ausdrucksformen finden lassen können.

Wie würdest du dein Berufsbild bezeichnen? Was bist du?

Hm, eine Liebeskulturschaffende. Tief in mir wohnt auch eine Liebespriesterin, die gerade ihre Kraft und Lebendigkeit entfaltet.

Hat die Liebespriesterin eine speziellere Aufgabe als ein Coach oder eine Liebeskulturschaffende?

Im Namen steckt schon drinnen, dass es um die spirituelle Dimension geht. Für die Liebespriesterin ist Sex immer ein heiliger, kosmischer Akt. Sie begleitet andere darin, dem Sex diese heilige, heilsame Dimension zu geben. Das ist letztlich eine politische Aufgabe. Die Erfahrung zeigt, wenn das Männliche von einer Frau zutiefst geehrt wird und umgekehrt, dann ist das ein Beitrag zu einer Liebe, die strahlen wird und die strahlt in alle Lebensbereiche. So wird nämlich eine neue Liebeskultur geschaffen. Daraus folgen andere Haltungen und andere Werte. Das hat eine zutiefst politische Dimension.

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