Die Kulissen wegschieben

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Rudolf Grothusen war gestresster Unternehmensberater und hat laut Eigendefinition in einer Scheinwelt gelebt. Von dort ist er auf einen ziemlich wilden und einsamen Bauernhof in Kärnten gezogen. Harald Koisser hat ihn in „Klein Kanada“ besucht

Du lebst seit 10 Jahren alleine auf einem abgelegenen Bauernhof in Kärnten, es gibt viel handwerkliche Arbeit und Du baust gerade an einer eigenen Hackschnitzelheizung. Aber du bist ja nicht mit diesem Scholle-Verständnis groß geworden. Du bist umgestiegen von einer Lebenswelt in eine andere.

Ich bin zuvor zehn Jahre im Bereich Personalentwicklung tätig gewesen, habe hunderte Menschen trainiert und gecoacht. Da habe ich ein eigenes Weltbild entwickelt. Einer der wichtigsten Pfeiler davon ist: Wenn du nicht das tust, wo du Sinnentfaltung hast, dann wirst du krank, verrückt oder gerätst irgendwie anders aus dem Gleichgewicht. Ich habe bei meiner damaligen Beziehung zu beobachten begonnen, um was sich die Gespräche und das ganze Leben meiner Frau drehen. Ich habe immer gespürt, dass wir in einer Scheinwelt leben. Wie in einem Theaterstück, wo Spiele laufen, Kulissen aufgefahren werden, aber die Menschen nicht mit dem verbunden sind, was das Leben ausmacht.

Ich nehme an, die Gespräche deiner Frau waren ein Spiegel, in dem du auch dich und deine eigenen Gespräche und Verhaltensweisen gesehen hast.
Ja, freilich. Ich bin ja zu diesen Veranstaltungen mitgegangen, wo oberflächlich geplaudert wurde. Ich habe keine Kraft gespürt, keinen Sinn. Es war wie ein Verplempern von Lebenszeit. Energie ist einfach aus mir rausgeronnen. Irgendwie schien es nur um Zeitvertreib zu gehen.

Gilt dieses Urteil auch für das, was du damals gemacht hast? War das Zeitvertreib?

Ich habe so viele Menschen getroffen, die sagen: „Das was wir hier tun, ist sinnlos, aber wir haben einen Job, eine gewisse Sicherheit und können damit unsere Familien ernähren.“ Gut, dann geht es darum, diesen Nutzen zu wahren und das Zusammenleben würdig zu gestalten. Darum habe ich mich als Coach und Berater bemüht.

Aber du selbst hast es letztlich nicht
ausgehalten.

Ich wusste, ich muss das System ändern oder es verlassen. Es gibt kein dazwischen. Es erodiert deine innerste Kraft. Ich war in einem Unternehmen, das kranke Firmen retten sollte. Es hieß: anstatt eine Firma mit 800 Leuten sterben zu lassen, ist es besser, sie mit 300 Leuten zu erhalten. Das mag sein, aber ich habe nicht verstanden, warum man dazu einen alten, verdienten Familien-vater von fünf Kindern zwei Jahre vor seiner Pensionierung hinausschmeißen soll, nur damit das Betriebsergebnis
besser sind. Dabei stimmte das ja auch nicht, weil man an den Sozialfonds Reparationszahlungen leisten musste. Es war nur eine Kerbe im Kolben eines Vorgesetzten, der seine Macht zeigen wollte.

Seinen Idealen treu bleiben, heißt als Mensch gesund bleiben.

Wenn du dich verbiegst und verkaufst, dann erodiert in dir eine starke kreative Kraft und du wirst schwächer und schwächer. Du darfst nicht Raubbau an anderen betreiben und musst stimmig in das große Ganze integriert sein, ohne andere zu verletzen.

Das darf aber nicht soweit gehen, dass du an dir selbst Raubbau betreibst.

Natürlich, um diese Balance geht es. Das dauerhafte Akzeptieren von Unstimmigkeiten ist ein Aufgeben. Ich ordne mich unter, aber in der Unstimmigkeit tu‘ ich mir Schaden an.
Man schiebt einen seiner Werte, nämlich Sicherheit, an die Spitze der persönlichen Hierarchie, und ordnet andere Werte wie Liebe, Selbstachtung, die aber viel wichtiger sind, dem Sicherheitsstreben unter. So lebt man zwar sicher, ist aber tot.

In jeder Firma, die ich kenne, findet dieser Raubbau statt. Ich bin fast nur unglücklichen Menschen begegnet. Wir brauchen endlich eine Wirtschaft für Menschen.

Du hast gesagt, dass man das System verlassen muss, wenn es nicht passt und man es nicht ändern kann. Du hast es schließlich recht radikal verlassen.

Ich habe so viele Probleme zum Lösen bekommen und es sind täglich immer mehr geworden, dass ich gemerkt habe: das schaffe ich nicht. Dann gab es auch das Unverständnis mit der Stadt, wo man weit weg ist von den wirklichen Kraftquellen, wo man die Naturgewalten nicht mehr spürt. Dieses indianische Grundverständnis, dass wir Teil der Natur sind und nicht über ihr stehen, ist uns abhanden gekommen. Mit dem christlichen Credo „Der Mensch macht sich die Erde Untertan“ ist der Anfang vom Ende vorprogrammiert. Ich wusste jedenfalls, ich möchte mir, meinen Kindern und meiner Frau Wurzeln geben. Ich habe die Kulissen weggeschoben.

Was sieht man, wenn die Kulissen weg sind?

Einen Bauernhof! In Friesach mit 7,5 ha in einer Naturenklave. Da sind hunderte Hektar unverdorbene Natur rundum. Wald, Fluss mit Bäumen drin, die vor hundert Jahren umgefallen sind, ohne dass es jemandem bis heute aufgefallen ist. Ich brauche 45 Minuten zu Fuß zu meinem nächsten Nachbarn. Da hat man ein Gefühl von Unverdorbenheit. Hier sind noch nie Pestizide zum Ein-satz gekommen. Da ist noch nie mit Kunstdünger gedüngt worden.

Du bist dorthin gezogen. Mit Frau und Kindern.

Ja – weg von Zentralheizung hin zum Holzhacken, damit es warm wird.

Wie darf ich mir diesen Schnitt in deinem Leben vorstellen? Da ist ein Entschluss, dann sucht man ein Objekt. Und dann packt man die Koffer und zieht dorthin?

Wir haben drei Jahre lang Objekte angeschaut. Entweder waren die Nachbarn zu nahe oder die Natur verwurschtet. Ursprünglich wollten wir das langsam wachsen lassen. In der Stadt leben und einen Hof nebenher bewirtschaften. Aber meine Frau hat plötzlich gemeint, sie hält es in der Stadt nicht mehr aus. Ich habe ihr gesagt: „Eines muss klar sein: Das ist Ernst.“ Dann sind wir wie Pioniere auf den Hof gekommen. Da gab es nur einen einzigen Herd zum Heizen. Das reichte für drei Räume. So haben wir dort begonnen.

Aber deine Beziehung hat es nicht überlebt.

Was meine Frau unterschätzt hatte, war die Einsamkeit. Sie hat plötzlich gemerkt, dass die Kaffeekränzchen in Wien auch ihr Positives hatten in Form sozialer Beziehungen. Ich bin da anders gestrickt. Ich komme auch zwei Wochen alleine aus, ohne dass mir etwas abgeht.

Jetzt gehst du den nächsten Schritt, weil du deinen Hof öffnest für andere Menschen.

Dieser Ort ist ein Kraftort der Superlative. Mir kommen dort die tollsten Ideen. Diese Geistesblitze hätte ich niemals in der Stadt bekommen. Ich habe einen Manager bei mir gehabt und der hat gesagt, er will gar nicht mehr weg. Da habe ich gesehen, es geht nicht nur mir so. Ich habe Gebäude im Ausmaß von fast 1000 m2. Das ist doch etwas viel für mich alleine. Und dann habe ich meine Wiesen und Felder. Ich öffne den Hof und will mit Gleichgesinnten hier sein. Die können ganz andere Ideen als ich haben. Es geht um den Spirit, um‘s Sich-Einlassen. Ich wandle den Hof in eine Genossenschaft um und wer will, ist hier Miteigentümer. Jeder bekommt seine Traumwohneinheit und kann ein Leben führen, das stimmig ist.

Der Hof könnte also ein kleines Dorf werden.

… mit ungefähr acht Einheiten. Von 50m2 bis 150m2. Das passt für bis zu 20 Personen, wenn ich Kinder mitzähle. Da auf der steilen Wiese gab‘s einmal einen Acker. Wie wär‘s und wir reaktivieren ihn? Vielleicht wollen wir Feldfrüchte hervorbringen? Vieles ist möglich, immerhin gedeihen hier auch Marillen und Pfirsiche. Das ist ein Experiment, ein neuer experimenteller Ansatz des kooperativen Miteinanders.

Der Wunsch nach abenteuerlichem Leben ist alt. Du wolltest ja in den Prozess, aus dem du ausgestiegen bist, gar nicht einsteigen.

Oh ja, nach dem Militärdienst wollte ich nach Kanada auswandern und dort mit meinem besten Freund irgend-wo abgesetzt werden, eine Blockhütte bauen und vom Lachsfang leben oder dem, was sich uns auftut. So für zwei Jahre. Ich habe Bücher gelesen von Menschen, die das so gemacht haben und wir haben uns der Idee verbunden gefühlt. Es war schon alles in die Wege geleitet, da ist mein Freund gekommen und hat gesagt, seine Eltern haben ihm gedroht, ihn zu enterben, wenn er das macht. Die waren echt wütend. Alleine habe ich es mich nicht getraut. Dann habe ich eben ein Studium begonnen und ein normales Leben begonnen. Aber ich bin nicht normal, ich bin verrückt. Jetzt habe ich mein „Klein Kanada“.

Wer Interesse an „Klein Kanada“
bei Friesach hat, schreibt an
rudolf.grothusen@synenergy.org

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