Denkende Stoffe

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Ing. Reinhard Backhausen über den „Stoff der vielen Leben“, zwei Jahre Forschung am Rande des Scheiterns und warum man niemals aufgeben darf. Backhausen hat die gesamte Produktion in einem Gewaltakt auf Cradle-to-cradle umgestellt. Interview: Harald Koisser

Sie haben einen Stoff entwickelt, der Returnity heißt. Was darf man sich unter diesem Kunstbegriff vorstellen?

Returnity findet man nicht im Lexikon. Das setzt sich zusammen aus Return / zurückgeben und Eternity / die Ewigkeit. Es ist eine Weltneuheit – der erste Flammhemmstoff, der umweltfreundlich produziert und recyclingfähig nach der Cradle-to-cradle-Philosophie ist. Wir haben den gesamten Produktionsprozess umweltfreundlich gestaltet, wir haben zum Beispiel aus den Farbstoffen und Ausrüstungschemikalien die bedenklichen Substanzen entfernt. Wir arbeiten also mit völlig anderen Farbstoffen als zuvor. Und wir haben das Versprechen gegenüber unseren Kunden abgegeben, dass wir den Stoff nach der Verwendung zurücknehmen. Der Kunde muss nur ein E-Mail an uns schreiben und wir organisieren das Cradle-to-cradle-gerechte Recycling. Es darf dabei kein Abfall entstehen, sondern muss komplett zu einem neuen Produkt werden.

Dann muss ich mich bei dem Wort Eternity nicht schrecken, weil ich da an die Halbwertszeiten von Kunststoff denke.

Eternity heißt hier „ewig im Kreislauf“, darum sprechen wir auch vom „Stoff der vielen Leben“. Wichtig ist, dass wir ressourcenschonend und abfallvermeidend denken. Wir werden in Zukunft ein riesiges Ressourcenproblem haben. Heute leben 6,5 Mrd Menschen auf der Welt, irgendwann werden es 9 Mrd sein. Dafür reichen die Ressourcen nicht aus. Da sind die Industrie und die Politiker gefordert, alternative Konzepte zu entwickeln.

Ist Returnity Ihr persönlicher Wunsch, sich mit der Welt zu versöhnen?

Es ist ein Herzensanliegen, aber auch Notwendigkeit. Wir sind in der Textilindustrie Vorreiter und hoffen, dass andere mitziehen. Cradle-to-cradle wird sich absolut durchsetzen. Holland will 2012 eine ganze Stadt umstellen, sodass dort kein Abfall produziert wird. Arnold Schwarzenegger hat Cradle-to-cradle in sein Regierungsprogramm aufgenommen und jetzt im Mai das erste Cradle-Institut in San Francisco eröffnet. Das wird um die Welt gehen. Wir gehören zu denen, die jetzt schon ein Produkt anbieten können, nämlich Möbelstoffe und Vorhangstoffe.

Wie reagiert der Markt auf Ihre Innovation?

Sehr aufgeschlossen, aber es gibt auch diejenigen, die beim Fenster hinausschauen und sagen: Eh noch alles in Ordnung. Vielleicht müssen noch mehr Umweltkatastrophen passieren, damit die Menschen aufwachen und sehen, dass es schon 2 vor 12 ist und etwas getan werden muss. Je mehr sich dem Cradle-to-cradle-Movement anschließen, desto eher kann es umgesetzt werden. Und es muss schnell umgesetzt werden, denn wir brauchen Mengen an Material für ein günstiges Recycling.

Im Moment erweist es sich also noch nicht als Vorteil im Marketing, mit so einem neuen Konzept hinauszugehen?

Der Vorteil liegt darin, dass wir Umweltbewusstsein wecken. Die Leute verstehen das Prinzip ja sehr schnell. Außerdem hat der Kunde einen messbaren Vorteil. Wenn er ein Produkt zurückgibt, bekommt er Rabatt auf künftige Returnity-Bestellungen.

Wann werden die ersten Stoffe zurückkommen?

Wir haben voriges Jahr unsere gesamte Produktion und sämtliche Kollektionen umgestellt. Ein Kunde kann jederzeit einen Stoff zurückgeben, allerdings haben die sehr gute Qualität und ich schätze, dass es nun zwischen drei und fünf Jahre dauern wird, bis etwas zurückkommt. Wir sind jedenfalls vorbereitet darauf. Das Recyclingsystem steht.

Sie haben gesagt, dass Sie Mengen brauchen. Wenn das in drei Jahren hereintröpfelt, kommen wohl keine Mengen zustande.

Wenn nur die Firma Backhausen das verfolgen würde, funktioniert das nie im Leben. Die Cradle-Community muss wachsen. Wir arbeiten daher in drei Richtungen. Das eine ist die eigene Kollektion. Zweitens produzieren wir für Grossisten und Möbelindustrie, die Spezialentwicklungen von uns weltweit verkaufen. Und drittens lizenzieren wir Returnity an andere Hersteller von Trevira CS (so heißt der flammhemmende Stoff). Mit der Lizenz können die das gesamte Know-how und auch den Logo übernehmen. Wenn wir auf so breiter Basis agieren, dann werden auch die Mengen zustande kommen.

Das ist eine höchst ungewöhnliche Aussage von einem Unternehmer in einer Zeit, wo man sehr auf seinen Patenten sitzt und sich daraus Wettbewerbsvorteile erhofft.

Es funktioniert aber nur so. Ich möchte auf keinen Fall alleine auf dem System sitzen. Es wird sich ja auf alle Bereiche erstrecken. Es wird Cradle-to-cradle-Autos geben, ein völlig anderes Denken muss Einzug halten, wir müssen mehr partnerschaftlich agieren.

Wo liegen denn die größten Hürden bei einer Umstellung? Liegen sie im Kopf? In der Produktion?

Zuerst einmal muss man die eigenen Leute davon überzeugen. Das kann man nicht mit einer Veranstaltung in der Firma abtun. Da muss man sich mit den Leuten auch einzeln auseinandersetzen und zwar nicht nur in der Produktion, sondern auch im Vertrieb, bei der Auftragsannahme, etc.; wenn die eigene Mannschaft dahinter steht, hat man schon viel gewonnen.

Wirklich schwierig war die Frage: geht das technisch? Und das war während der zweijährigen Entwicklungsphase gar nicht so klar. Dabei ging es ja nicht nur um unsere Farbstoffe, sondern auch um die Frage, wie man Energie gewinnt. Wir mussten auch mit der EVN klären, dass wir einen hohen Anteil an Wind- und Sonnenenergie wollen. Erst das gesamte Maßnahmenpaket führt zu einer Cradle-to-cradle-Zertifizierung. Wir haben diese Zertifizierung in Gold bekommen und da sind wir stolz darauf, weil wir uns enorm bemüht haben. Es hat auch Situationen gegeben, wo Mitarbeiter gesagt haben: das geht einfach nicht. Wir hatten etwa große Probleme mit der Farbe Schwarz und einem Dunkelrot. Ich habe einfach weiterforschen lassen, bis wir schließlich eine Lösung gefunden haben.

So wie Sie das jetzt sagen, klingt das sehr souverän, aber ich vermute, sie haben auch dem Scheitern ins Auge gesehen.

Ja, aber wenn man nach der Devise lebt „niemals aufgeben“ tut man sich nicht so schwer. Ich hatte das Ziel genau vor Augen. Es tut sich immer irgendwo eine Tür auf.

Wie bleibt man dran? Haben Sie ein persönliches Geheimnis?

Positiv Denken. Ich bin ein sehr positiv denkender Mensch. Für mich sind Probleme Chancen. Angesichts eines Problemes denke ich: Juhu, ein Problem! Ich freue mich, wieder etwas lösen zu dürfen. Mit so einer Einstellung tut man sich generell leichter.

Das kommt offenbar auch im Managementstil hinüber.

Man muss es leben und begeistern können. Die Leute müssen spüren, dass man selbst voll daran glaubt und dahinter steht. So kann man Leute mitreißen. Ist man nur halbherzig dabei, kann sich alles im Sand verlaufen.

Ist durch die Arbeit an Returnity auch ein ökologischeres Bewusstsein bei Ihren MitarbeiterInnen entstanden?

Absolut! Es hat einige gegeben, die mit Umweltdenken nicht viel am Hut hatten. Ich halte derzeit sehr viele Vorträge im In- und Ausland, auch vor meinen Mitarbeitern, und da geht es nicht nur um das Produkt. Es geht um Verständnis für unsere Umweltprobleme. Meine Vorträge beginnen oft mit einem Bild vom Universum. Es geht doch darum, unseren kleinen Planenten vor uns selbst zu schützen. Ich rede über Umweltprobleme, baue dabei ein wenig auf dem Film von Al Gore („Die unbequeme Wahrheit“) auf. Es muss klar werden, dass da eine Welt-Vision dahinter steckt. Ich sehe uns als Teilbereich eines großen Ganzen.

Wo kommt Ihr persönliches ökologisches Gewissen und die Verantwortung, die Sie zeigen, her? War das schon immer so?

Es war in Teilbereichen so. Das Schlüsselerelebnis habe ich mit meinen Kindern gehabt. Wir haben uns vor vier Jahren den Al Gore-Film angesehen. Populistisch, aber aufrüttelnd und auf Wahrheiten beruhend. Meine Kinder haben gefragt, was man da machen kann. Ich habe sofort gesagt: Standbyzustand ausschalten, Mülltrennung, – naja, das Übliche eben. Da haben beide gemeint, wir haben doch eine Firma. Dort muss etwas geschehen.

Ich habe begonnen nachzudenken, aber wir stellen Stoffe aus Polyester her. Da habe ich keine gute Idee gehabt, wie man das ökologisch wertvoll macht. Da habe ich Professor Braungart und Albin Kälin kennengelernt. Das war Bestimmung. Wie dann Returnity endlich fertig war, habe ich meinen Kindern sehr beruhigt in die Augen schauen können.

Wie haben das denn die Mitbewerber aufgenommen?

Skeptisch! Es gibt ja so viele Umweltkonzepte. Die Kunst besteht darin, die Leute zu begeistern und zu gewinnen. Es war schon ungewöhnlich, offen auf den Mitbewerb zuzugehen und ihn aufzufordern, etwas gemeinsam zu machen. Etwas großes Gemeinsames! Manche, die anfangs misstrauisch abgelehnt haben, sind dann auf mich zugekommen und wollten doch mitmachen. Es ist eben ein langsamer Überzeugungsprozess und auch da darf man nie aufgeben. Je mehr die Medien darüber berichten, und wir haben ein wirklich schönes Medienecho, desto leichter wird es.

Wo ist das meiste Geld hineingeflossen?

Das ganze spielt sich im chemischen Bereich ab. Wirklich viel Geld ist in Research geflossen und ein großer Aufwand war die Überprüfung der gesamten Produktionskette. Und natürlich das Marketing! Was nützt es, wenn man ein tolles Produkt hat und niemand es weiß. Aber wir geben nur einen Bruchteil der Kosten an den Kunden weiter. Wir verlangen nur um 2% mehr als vorher. Das ist ein bescheidener und von den Kunden gerne akzeptierter Anteil für die Umwelt.

Zum Schluss noch eine verwegene Frage: ist Cradle-to-cradle schon alles? Was kommt noch?

Es gibt eine Steigerung. Die heißt „smart textiles“. Als Verbandspräsident der Textilindustrie habe ich die Smart-textiles-Plattform gegründet, einen Schulterschluss der Bekleidungsindustrie mit der Elektronikindustrie. Wir wollen textile Produkte entwickeln, die denken können. Stoffe, die ihre Farbe verändern können. Heute ein blaues, morgen ein grünes Sofa! Oder Vorhänge, die Energie speichern können. Oder Mäntel mit Airbags. Im Medizintextil-Bereich könnte man Textilien entwickeln, die Organe im Körper umschließen und Informationen an Ärzte funken. Das sind alles realistische Visionen. International wird viel daran geforscht. Aber natürlich müssen die in Textilien eingebauten Komponenten cradle-to-cradle-fähig sein.

>> Hier können Sie mit Ing. Reinhard Backhausen Kontakt aufnehmen <rb@backhausen.com>

>> Backhausen im Netz: www.backhausen.at

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