Cradle-to-cradle – die nächste Sau, die man durch das globale Dorf treibt?

Gastkommentar von DI Rahim Taghizadegan,
Institut für Wertewirtschaft (
www.wertewirtschaft.org)

Der Artikel ist auch als druckfreundliches PDF erhältlich: C2C-Kritik II

Aus dem Inhalt:

  • C2C bietet reale Innovationen und nicht bloß Zertifikate für greenwashing.
  • Leider sind es stets Übertreibungen, die im Konkurrenzkampf um knappe Aufmerksamkeit eingesetzt werden. Braungart kontert mit einer Verschwendungsideologie gegen jene, die sich „gesund schrumpfen“ wollen.
  • Die Größe der Versprechungen von Cradle-to-cradle bringt die Gefahr von politischer Planwirtschaft
  • Es klingt so schön, alle Verschleißteile durch kompostierbare Materialien zuersetzen. Doch wer sagt, dass „natürliche“ Stoffe weniger gefährlich sind?
  • Vor dem Auto erstickten Städte im Pferdemist. Das Problem liegt in der Masse.
  • Am gefährlichsten ist cradle-to-cradle, wenn es Leute anspricht, die weder Investitionen aus eigenen Mitteln verantworten, noch sich mit ihrer individuellen Verantwortung als Konsument zufrieden geben, sondern ungeduldig nach der Weltverbesserung trachten. Dann stecken wieder überschuldete Bürokratien, Steuergeld in Hype-Projekte, die sie mittels von ihnen ernährter „Experten“ als große Zukunftsinvestitionen vermarkten.

Der Ausdruck „cradle-to-cradle“ (Wiege-zu-Wiege) findet gegenwärtig wachsende Beachtung. Mit diesem Konzept reüssieren vor allem der amerikanische Architekt William McDonough und der deutsche Chemiker Michael Braungart. Der Ansatz bezieht sich auf das Gestalten von Produktzyklen, bei denen Abfall direkte Verwertung als Rohstoff findet. Produkte sollten also nicht als Schadstoffe in der Totenbahre von Endlagern enden, sondern die Wiege für neue Produkte abgeben.

Nachdem Steven Spielberg gerade an einem Film über diese Idee arbeitet, wird sie wohl bald nicht mehr bloß der Hype kleiner Zirkel sein, sondern zum Massen-Hype wachsen. Die Größe der Versprechungen dieser Idee begünstigt ihre Aufnahme, weckt aber auch neugierige Skepsis. Man ist es mittlerweile gewohnt, daß ein Weltrettungsplan den nächsten ablöst, der sofort und umfassend umgesetzt werden muß. Es sei zu spät, darauf zu warten, daß die Menschen ihr Leben ändern, die einzige Hoffnung bestünde darin, den Rettungsplan so groß wie möglich zu dimensionieren, so schnell wie möglich umzusetzen und so zentral wie möglich zu steuern. Ist cradle-to-cradle bloß die nächste Sau, die durch das medial-globale Dorf getrieben wird?

Zwei Unterschiede fallen zunächst ins Auge. Erstens sind die Betonungen hier deutlich anders als man es sonst bei ökologischen Bedenkenträgern gewohnt ist. Insbesondere Michael Braungart, ein ehemaliger Greenpeace-Aktivist, lästert gerne über den „Schuldkult“ der modernen Umweltbewegung. Braungarts Ökologismus ist durch und durch progressiv. Nach der ideologischen Verwirrung des letzten Jahrhunderts bringt konsequenter Progressismus (die ideologische Überhöhung des Fortschritts und Wachstums) heute meist Betonungen mit sich, die verwirrte Beobachter als neoliberal bis neokonservativ einordnen würden. Dies erklärt auch, warum sich unter Neokonservativen so erstaunlich viele ehemalige „Linke“ finden. Braungarts Glaube an Wissenschaft und Technologie ist von unerschütterlichem Optimismus, eine intelligente wirtschaftliche Entwicklung könnte in Zukunft noch einem Vielfachen der Erdbevölkerung eine bessere Versorgung bieten. Er will dem Konsumenten das schlechte Gewissen nehmen. Dank nach cradle-to-cradle zertifizierter Produktgestaltung könne man wieder Spaß beim Konsum haben, im Überfluß leben, nach Herzenslust verschwenden.

Zweitens fällt auf, daß Braungart und McDonough schon lange vor dem Hype sehr viel Geld mit ihrem Ansatz verdienen. Braungart wurde als Greenpeace-Aktivist bei der Besetzung eines Schornsteins des Unternehmens Ciba vom Fleck weg von den vermeintlichen ideologischen Feinden engagiert. Ciba heuerte ihn als selbständigen Berater an. Unzählige große und finanzkräftige Unternehmen folgten. 1995 gründete er das Unternehmen McDonough Braungart Design Chemistry mit McDonough in den USA. Ford ließ sich etwa von McDonough für gesalzene zwei Milliarden Dollar die Dächer des größten Werkes begrünen. Geld, so könnte man einwenden, das aus dem Verkauf von Produkten und der Aufnahme von Krediten stammt, die mit Nachhaltigkeit wohl wenig zu tun haben. Doch Nachhaltigkeit ist für Braungart ohnehin ein leeres Konzept: Es ginge um Veränderung, nicht darum, Dinge zu erhalten.

Die Erwähnung dieser zwei Aspekte mutet nach Kritik an, doch der wirtschaftliche Erfolg und die ideologischen Betonungen verdienen zunächst eine Würdigung. Die Nachfrage durch Unternehmen bevor das Konzept zum Medienhype wird, deutet an, daß Braungart und seine Kollegen durchaus reale Innovationen zu bieten haben und nicht bloß Zertifikate für greenwashing (Umwelt-Marketing) verkaufen. Je größer der Hype wird, desto eher ist allerdings zu erwarten, daß Motive der Eitelkeit und PR bei der Adaption der geschützten Marke cradle-to-cradle bedeutsam werden. Dies wird durch die psychologisch sehr wirksamen ideologischen Übertreibungen in der Darstellung begünstigt. Solche Übertreibungen sind zwar stets einseitig, können aber als Korrektiv und Aufweckmittel dienen. Die Dosis Gegendogmatik tut der Umweltbewegung ganz gut, die in der Regel ihr Wissen maßlos überschätzt. Braungarts Witze gehen häufig auf Kosten populärer Öko-Irrtümer. Doch auch Cradle-to-cradle ist vor Irrtümern nicht gefeit. Je größer der Kontext, desto unübersehbarer die Komplexität. Die beste Intention kann in einem komplexen System die schlimmsten Auswirkungen nach sich ziehen.

In einem der zahlreicher werdenden als Dokumentation getarnten Werbefilme über cradle-tocrade sieht man die feierliche Eröffnung eines Modell-Dorfes in China, das mit der Beratung von McDonough geplant worden sein soll, um ein bestehendes Dorf zu ersetzen. Dies wurde als wegweisender erster Schritt gepriesen, wie für Abermillionen von Chinesen im Zuge des nächsten, revolutionären Fünfjahresplan neue und moderne Öko-Häuser geschaffen werden könnten. Die Tochter von Deng Xiao-Ping war daran beteiligt und die staatliche Fernsehsprecherin pries die Weitsicht der Partei. Trotz vorteilhaftester Aufnahmen und massiver Propaganda ist das Projekt für den nüchternen Betrachter jedoch sofort als groteske Fehlplanung erkennbar. Häßliche, vollkommen identische Häuser mit winzigen, trostlosen „Gärten“, direkt nebeneinander aufgefädelt, mitten im Nichts. Der Vorzeige-Bewohnerin rutschte heraus, daß sie für normale Menschen wohl noch dazu viel zu teuer wären. Der umjubelte ökologische Aspekt bestand darin, daß die Wände dank der teuren Beratung aus den USA nicht aus Ziegeln, sondern aus Sand und Stroh bestanden.

Die Häuser stehen bis heute leer und verrotten. Sie waren trostlosen amerikanischen Vororten nachempfunden, hatten winzige Ziergärten und Garagen, obwohl nur vier der bisherigen 1.400 Dorfbewohner ein Auto haben und als Landwirte mit den gräßlichen, lächerlich kleinen Vorhöfen keinesfalls überleben können. Die Energie für das Musterdorf sollte aus einer Biogasanlage kommen, in der die landwirtschaftlichen Abfälle verheizt werden sollten. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, herauszufinden, daß diese „Abfälle“ den Ziegen verfüttert wurden, die ohne diese Reste im Winter verhungern würden. Die Häuser, die für je 3.500$ geplant waren, kosteten letztlich 12.000$, wie dies bei Staatsaufträgen die Regel ist. Das ist das Zehnfache des dortigen Jahreseinkommens. Nur zwei Familien sind überhaupt jemals in das „Musterdorf“ eingezogen, und das nur, weil ihre Häuser niederbrannten. Sie mußten alte Ölöfen nutzen, weil die „alternativen Energiequellen“ nicht funktionierten.

Es steht außer Frage, daß die geschickte Imitation der Natur ein riesiges Potential bietet, das eine zugleich menschen- und naturferne Technik, die auf effiziente Massenlösungen hin ausgerichtet ist, bislang weitgehend übersehen hat. Dieses Potential findet sich aber nicht nur in neuer Technologie, wie der Fortschrittsfreund es sieht, sondern auch in verlorenem oder verloren gehendem Wissen, die der Fortschrittsfeind betont. Beide Betonungen sind einseitige Übertreibungen, doch werfen wir ein wenig für letztere Ansicht in die Waagschale, um unsere Abwägung ins Lot zu bringen: Der moderne Innovationsbetrieb hängt zu sehr am Subventionstropf, sodaß ihm oft der Blick für Knappheiten und menschliche Dimensionen fehlt. All die Machbarkeiten und all das fabrizierte Wissen sind sinnlos, wenn sie in das persönliche Wirken beschränkter Menschen keinen Eingang finden können, sondern weiter entpersönlichen und entfremden. Heutige Forscher forschen in der Regel ihren Auftraggebern zu: aufgeblähten staatlichen Apparaten und Großkonzernen. Wie der einzelne Mensch in seinem konkreten Umfeld sein Leben verbessern kann, ist dabei nicht von Interesse. Die Entmündigung des Menschen ist die große Gefahr von allzu technologieorientierten Lösungen.

Braungart schlägt technische Produktzyklen vor, bei denen Produkte im Eigentum der Hersteller bleiben und bloß deren Nutzung als Dienstleistung angeboten wird. Das ist ein mögliches, aber kein notwendiges Konzept. Die gleiche Funktion könnte eine Rücknahmegarantie von Produkten spielen. Doch auch den gegenläufigen, fortschrittskritischeren Ansatz sollte man dabei nicht aus dem Auge verlieren: weniger unnötige Geräte, höhere Lebenszeit, einfachere Konstruktion, die das Reparieren durch den Konsumenten selbst erlaubt. Auch das ist kein Allheilmittel, vor allem weil jeder Ansatz in der Gegenwart zunächst die Bequemlichkeit der Konsumenten akzeptieren muß. Leider sind es stets Übertreibungen, die im Konkurrenzkampf um knappe Aufmerksamkeit und natürlich um Geld stehen. Kein Wunder, daß diejenigen, die das Nullwachstum zu ihrer Ideologie überdehnt haben, Verschwendungsideologen wie Braungart feindlich gesinnt sind. Beides ist als Ideologie Unfug. Man kann sich nicht „gesund schrumpfen“, wenn das Schrumpfen zum Ziel wird; dies ist nämlich schon an sich krankhaft. Die entsprechenden Ideologen hoffen wohl unbewußt auf Pöstchen als Politkommissare, wo sie aus ihren Steuerungszentralen „Wachstum beschränken“ dürfen. Der nächste Fünfjahresplan: 10% weniger Produktion, 10% weniger Energieverbrauch, 10% mehr Glück. Das ist ein Befehl!

Die Überhöhung der Verschwendung durch Braungart ist ebenso zweifelhaft. Er hat vollkommen recht, daß es absurd ist, Wegwerfartikel aus Materialien zu erstellen, die Jahrtausende als nicht weiter nutzbare Problemstoffe überdauern. Hier ist noch viel Bewußtseinswandel und technische Entwicklung nötig. Doch nur weil etwas kompostierbar oder in neuen Produkten verwertbar ist, ist es nicht automatisch effektiv. Eine Übertreibung dieses Ansatzes neigt dazu, den Energie- und Transportaufwand zu ignorieren. Die Gesetze der Thermodynamik verbieten ewige Kreisläufe ohne Verluste. Zwar ermöglicht die laufende Energiezufuhr der Sonne das Überleben organischer Kreisläufe, und diese können uns zweifellos als Vorbild dienen. Doch darf man diese Analogie nicht überdehnen, denn die geringen Wirkungsgrade könnten erst recht ein totalitäres Diktat der Energieeffizienz anregen, vor der Braungart zurecht warnt.

Das Zyklenkonzept weist neben der Technologie- und damit Kapitalabhängigkeit noch weitere Probleme auf: Alle Zyklen müssen, um die versprochene Effektivität zu erlauben, geschlossen sein. Der dazu nötige große logistische Aufwand wird beim „Hypen“ der Idee zu zwei Betonungen führen: Einerseits sind besonders große, hochintegrierte Unternehmen begünstigt. Andererseits wird die Ungeduld in dezentraleren Sektoren und Regionen zu politischen Ambitionen führen. Das politische Schließen von Zyklen hat jedoch ganz unweigerlich einen planwirtschaftlichen Charakter. Planwirtschaft hielt man einst für effizienter und effektiver. Heute weiß man, daß die mangelnde persönliche Verantwortung zu kolossalen Fehlentscheidungen führt, die nicht nur die Umwelt, sondern auch das menschliche Leben bedrohen. Der systemische Charakter von cradle-to-cradle und die Größe und Übertreibung der Versprechungen verstärken diese Gefahr planwirtschaftlicher Verlockungen. Insbesondere die von Braungart gerne verwendete Analogie des Ameisenstaates deutet in diese Richtung.

Das Problem nicht geschlossener Zyklen wird deutlich an einem besonders greifbaren Beispiel: Braungart und McDonough ließen ihr Buch nicht auf Papier, sondern auf Kunststoff drucken. Plastik ist natürlich im Gegensatz zu Papier nicht kompostierbar und viel weniger „natürlich“. Der Gedanke dahinter ist, daß Druckwaren technische Kreisläufe bilden könnten. Dann hätte man das Buch vom Verlag bloß gemietet, dieser würde es zurücknehmen, nachdem man es ausgelesen hat, und es zu einem neuen Buch einschmelzen. Natürlich besteht ein solcher Zyklus noch nicht und es ist fragwürdig, ob er sinnvoll wäre. Das Buch ist zwar wasserfest, bleibt aber beim Lesen nicht geöffnet. Das Konzept, Bücher auszuborgen, ist uralt: man nennt es Bibliothek. Angesichts der Tatsache, daß es den gewünschten Kreislauf nicht gibt, ist das Buchkonzept eine ökologische Bruchlandung. Der Transport, die Verbrennung oder Deponierung sind allesamt umweltschädlicher als bei einem herkömmlichen Buch. Und wer weiß, welche Folgen wir noch nicht kennen?

Dies ist ein weiteres Problem, das gerne übersehen wird. Das neuentwickelte Substitut für einen Stoff ist in der Regel unbekannter als dessen Vorläufer. Es klingt so schön einfach, schlicht alle Verschleißteile durch kompostierbare Materialien zu ersetzen. Doch es ist ein häufiger Irrtum, „natürliche“ Stoffe für weniger gefährlich zu halten – ein Irrtum, auf den Braungart selbst hinweist. Biologisch abbaubare Verschleißteile können unerkannte Risiken bergen. Eben weil Plastik nicht kompostierbar ist, d.h. nicht biologisch aktiv ist, ist es selbst vollkommen ungiftig. Gefährlich sind die Zusatzstoffe (Weichmacher, Flammhemmer usw.). Wenn alle Abfälle biologisch sind, ist dies nicht notwendigerweise ökologisch. Vor dem Auto erstickten Städte im Pferdemist; die Überdüngung ruiniert den Boden. Das Problem liegt eben doch auch in der Masse, jeder Verschwendungslust zum Trotz. Und diese Masse ist eben das Gefährliche an Hypes. Der Hype rund um Biotreibstoffe ist ein gutes Beispiel dafür, wie eine neue Idee durch massive Förderungen und Heilsversprechen so überdehnt wird, existenzbedrohende Ausmaße zu nehmen und die Ernährung von Menschen zu gefährden. Die moderne Ungeduld setzt alle Hoffnung in die Masse – nur Medien, Großkonzerne und Politik könnten wirklich Großes bewegen. Doch je größer der Akteur, desto kleiner das Hirn: der politische Tyranno-Saurus will „nur helfen“ und vergrößert den Schaden.

Cradle-to-cradle muß daher danach bewertet werden, welche Akteure angesprochen werden und wie. Als Ansatz für Produktentwickler verdient das Konzept größte Würdigung – doch diese Würdigung muß ihm nicht durch allzu begeisterungsfähige Missionare verlieren werden, sie er-folgt aus dem praktischen Erfolg der Produkte. In einer dynamischen, hochkomplexen Welt gibt es dabei keine sicheren Erfolgsstrategien. Die beste Idee kann in der Realität und an der Realität scheitern. Ist das neue Material wirklich gesünder, nehmen es Konsumenten an, bietet es, falls es teurer ist, einen Vorteil, der den Mehraufwand lohnt, fügt es sich langfristig in einen Zyklus, was passiert bei Änderungen der Marktlage? Die Fragen sind zahllos. Braungart erkennt richtig, daß die besten ökologischen Intentionen oft ungeheure Irrtümer hervorbringen. Je stärker cradle-to-cradle als Heilsversprechen und Lösung aller ökologischen Probleme vermarktet wird, desto größer wird das Irrtumspotential. Dabei ist der Ansatz für Produktentwickler im Kern so simpel, daß er gar kein neues Etikett bräuchte.

Schwieriger ist die Frage, was der Konsument mit dem Ansatz machen soll. Wenn du nur von cradle-to-cradle-zertifizierten Unternehmen kaufst, kannst du beliebig verschwenden, wäre eine vollkommen falsche Ansage, eben weil sie Kosten und dazu nötigen Wohlstand nicht berücksichtigt. Das Versprechen besteht eigentlich auch nur darin, daß man dann ohne schlechtes Gewissen verschwenden könnte. Doch auch das ist falsch. Nahrungsmittel sind etwa vollkommen kompostierbare Produkte. Ist es deshalb richtig, massenweise angebrochene Nahrungsmittel wegzuwerfen? Dies vernachlässigt wiederum den Aufwand für ihre Produktion, ihren Transport, ihre Werthaltigkeit, sowie jegliche kulturelle Erwägungen. Die Banane ist zweifellos ein perfektes cradle-to-cradle-Produkt, ganz ohne Zertifizierungsgebühr, denn ihre Verpackung vermag als Nährstoff zu dienen. Doch selten am Ort ihres Konsums, und wenn wir eine mögliche Einsammlung berücksichtigen, ändert sich das Bild schon wieder vollkommen.

Viel problematischer in Hinsicht auf den Konsumenten ist der mögliche Mißbrauch von cradle-to-cradle, nur ein weiterer Vorwand zu sein, den Konsumenten wieder neue, teurere, letztlich unnötige Produkte anzudrehen, die dann doch wieder entgegen den Intentionen von Braungart eine Form von Ablaßhandel darstellen. So benötigt die Ermunterung zur Verschwendung ein Korrektiv der Mäßigung, genauso wie der übertrieben asketischen Einstellung die Würdigung des Schöpferischen, des Genießens, des Ausprobierens gegenübergestellt werden sollte.

Am gefährlichsten ist cradle-to-cradle, wenn es Leute anspricht, die weder Investitionen aus eigenen Mitteln verantworten, noch sich mit ihrer individuellen Verantwortung als Konsument zufrieden geben, sondern ungeduldiger nach der Weltverbesserung trachten. Dann stecken wieder überschuldete Bürokratien, Mittel, die sie nicht haben und für deren Verwendung sie niemals wirkliche Verantwortung übernehmen müssen, in Hype-Projekte, die sie mittels von ihnen ernährter „Experten“ als große Zukunftsinvestitionen vermarkten. Sobald cradle-to-cradle zum Vorwand wird, Wunsch-Wirtschaften mit schönen, runden Kreisläufen am Reißbrett zu planen und cradleness zu kommunizieren, wird die Zeit gekommen sein, eine weitere aufgeblasene Idee zu kompostieren und die einzelnen, richtigen und wichtigen Bestandteile als Nährstoffe für Besseres anzusehen. Ein hinreichend nüchterner Zugang vermeidet die Blase von Anfang an, läßt Platz für Hausverstand und übernimmt im jeweiligen konkreten Lebenskontext konkrete Verantwortung, auch wenn es nur die des Konsumenten ist, anstatt ungeduldig nach der nächsten großen Utopie zu schielen, die stets eine Ausrede dafür ist, nicht selbst einen ersten kleinen Schritt zum Besseren zu setzen. Jeder Schritt kann sich im Nachhinein als Irrtum herausstellen. Daher sollte man nur das bewegen, was man verantworten kann und darf, das aber mit aller Entschlossenheit und dem nötigen Mut.

Dies ist weniger eine Kritik an einem Ansatz, der viel Richtiges und Wichtiges enthält, sondern eine Warnung vor der ständigen Überdehnung von Ideen, der Wichtigtuerei, den hohlen Phrasen: daß sofort aus jedem Ansatz eine Ideologie und ein „politischer Auftrag“ gemacht werden muß. Michael Braungart erkennt das durchaus selbst: Er hofft, so merkt er mit etwas Ironie an, daß der von Steven Spielberg geplante Werbefilm für seine Idee nichts wird. Sonst schiebe man die ganze Sache wieder auf einen Menschen ab. In den USA könne man zwar viel schneller Ruhm erlangen, in Europa werde man überhaupt erst wahrgenommen, wenn man es mit einem englischen Buzzword in die US-Medien geschafft hat. Die große Begeisterungsfähigkeit und Sehnsucht nach Lösungen führe auch oft zu einem Vorliebnehmen mit schnellen, aber falschen Lösungsrezepten.

>> Hier können Sie mit DI Rahim Taghizadegan direkt Kontakt aufnehmen <rt@wertewirtschaft.org>

>> Institut für Wertewirtschaft im Netz: http://www.wertewirtschaft.org/

Ein Kommentar zu “Cradle-to-cradle – die nächste Sau, die man durch das globale Dorf treibt?”

  1. Detlef sagt:

    In den letzten zwei Absätzen formuliert der Herr sehr gut auch meine Befürchtungen. Auch betont er sehr, dass Braungart auch seine und ähnliche Befürchtungen hat…

    Nun ja, wenn einige unserer Mitmenschen jetzt schon wissen, dass alles keinen Sinn macht und wir uns früher oder später doch gegenseitig kannibalesieren, dann stecken wir doch lieber schon heut´ den Kopf in den Sand und wissen schon heut´ und vorher alles viel besser und machen eine Sekte der „depressiven Kopf in den Sand Stecker“ auf. Aufnahmekriterien sind: Hasse dich selbst weil du selbst auch nur fehlbar bist und hasse die schlechten Menschen …

    Braungart schildert auch diese Hoffnungslosigkeit unter den Menschen und sieht diese auch aus der psychologischen Perspektive, dass damit Menschen handlungsunfähig gemacht werden und in´s „Nach mir die Sinflut“- Verprassen/Verschwenden verfallen, in Fressneid und Herrenmenschengehabe gegenüber Menschen, die per Zufall in der „falschen“ Gegend geboren wurden, ohne Deutschen Schäferhund in der Familie…

    Was für mich sehr persönlich bleibt, C2C sehe ich mit bleibender Skepsis, als eine „Strategie der Hoffnung“, eine Hoffnung, die ich für einige Jahre schon aufgegeben hatte (wie oben geschildert). Diese Hoffnung hat bei mir viele lose rote Faden des Denkens über mögliche Änderungen und Argumente und ehemalige Gegenargumente zusammengeführt. Auch hatte ich C2C anfangs auch nur als neue Amerikanische Verkaufsmasche/Hype/Verarsche verstanden und abgelegt in der Kopf-Schublade unter Blödsinn.

    Es ist M.E. eine sehr weit verbreitetes Missverständnis, dass Braungart „Verschwendung“ propagiert. Braungart müsste M.E. dies unmissverständlicher formulieren. Bei Gelegenheit spreche ich ihn darauf an.

    Ein Hyp-freies und realistisches Herangehen und Umgang mit C2C mahnt der Architekt Thomas RAU an: „Man muss nicht Menschen Überzeugen, man muss Menschen ein Angebot machen, wie es anders geht und dann können sie sich aus aller Freiheit dafür entscheiden. Alles Andere ist eigentlich Energieverschwendung.“ …

    Hole Phrasen werden gedroschen von 2-3klassigen Politikern, die Personen- vor Sach-Entscheidungen stellen, was leider in der Kommunalpolitik sehr weit verbreitet ist.