„Anfangen! Aufhören!“

Peter Gall hält seit über 20 Jahren Seminare über Zeitmanagement. Im Gespräch mit Harald Koisser verrät er die zwei Zauberwörter des Zeitmanagements und sieht an der gegenwärtigen Situation überhaupt nichts Besonderes, weil Krisen ganz normal sind. Ein Gespräch über das Leben, das mit dem Tod beginnt.

Der Artikel ist auch als druckfreundliches PDF erhältlich

Peter Gall: Als Sie mir am Telefon gesagt haben, dass der Herbst die Zeit der Ernte ist und es um das Fertigwerden geht und dass das jetzt das aktuelle Thema von wirks ist, habe ich begonnen, über das Leben nachzudenken. Alles beginnt mit dem Frühling, der Mensch wächst und lernt. Im Sommer ist das Erblühen. Man ist in der Blüte seines Lebens. Dann kommt der Lebensabend. Ich mag den Begriff aber nicht so, denn am Abend bin ich müde. Ich mag mein Leben nicht in Müdigkeit beschließen.

Ältere Herrschaften wie etwa Leonard Cohen zeigen, dass man alt und gar nicht müde sein kann. Er bietet gerade die Show seines Lebens. Ein Sporttrainer von mir hat immer gesagt, es geht nicht darum alt zu werden, sondern darum, gesund zu sterben.

In Seminaren gibt es immer drei Tabuthemen: Religion, Politik und Tod. An die ersten beiden Punkte halte ich mich, den Tod aber lasse ich nicht aus. Der kommt bei mir immer vor. Der Tod gehört zum Leben. Wenn den Menschen klar wäre, dass alles endlich ist, würden die Menschen vielleicht denken: was brauche ich wirklich?

Aber die Menschen fürchten sich vor dem Tod.

Weil über ihn nicht gesprochen wird.

Ein Freund von mir sagt immer, er freut sich schon auf den Tod. Das kommt nicht aus einer Todessehnsucht. Er ist einfach gespannt, was zum Zeitpunkt des Todes passiert. Das wird das größte Erlebnis in seinem Leben, sagt er. Und er ist gespannt, was nachher passiert. Der fürchtet sich überhaupt nicht vor dem Tod. Der Tod kommt nach dem Winter, um bei den Jahreszeiten zu bleiben. Naja, eigentlich kommt nach dem Winter wieder das Frühjahr.

Es sind Zyklen und die gibt es nicht nur im großen Bogen des Lebens, sondern auch im Alltag, im Berufsleben. Die Jahreszeiten habe ich Tag für Tag. Die Geburt und den Tod.

Im Berufsleben muss auch gesät werden, um ernten zu können. Man muss als Führungskraft gut säen, damit die Saat aufgeht. Dann erntet man und am Ende eines Projektes gibt es eine Projektabschlussfeier.

Mir kommt vor, wir leben in einer Zeit, wo permanent gesät wird, nebenher geerntet aber niemals gefeiert wird. Wir leben so als hätten wir permanenten Frühling und Sommer.

Man muss feiern. Und es braucht diese Phasen der Langsamkeit. Man kann einem Boden viel abverlangen, ihn düngen und auslaugen. Aber irgendwann muss er brach liegen und sich erholen können. Sonst wächst dort nichts mehr. So geht es auch mit den Menschen. Die dürfen leider auch nicht mehr brach liegen. Darum haben wir Psychotherapie auf Krankenschein. Es ist schon so schlimm geworden, dass man etwas machen muss.

Und wie immer das Falsche, denn man setzt damit am hinteren Ende an, dort wo die Menschen bereits kaputt sind und nun repariert werden sollen.

Ich habe immer Zeitmanagementseminare gemacht, um den Menschen Work-Life-Balance zu vermitteln. Jetzt, im Zuge zunehmenden Personalabbaus, merke ich, dass das in andere Richtungen geht. Meine Seminare sollen plötzlich dazu dienen, dass die MitarbeiterInnen mehr leisten.

Sie werden also zunehmend als Motivator gebucht, um das Letzte aus den Leuten herauszuholen?

Sagen wir so: es ist verstärkt Geschäftsprozessoptimierung statt Zeitmanagement gewünscht.

Wo sind denn Sie in Ihrem persönlichen Leben? Im Sommer, im Herbst?

Ich bin 54 und gehe in den Herbst. Mal sehen, wie lange ich noch auf der Bühne stehen kann und will. Ich habe ja auch immer verschiedene Dinge ausgesät und geschaut, mit welchen Pflanzen ich umgehen kann.

Ein interessantes Phänomen der Ernte ist, dass man nicht alle Früchte ernten kann. Vieles fällt vom Baum und verfault. Man muss bei der Ernte einen Schnitt machen. Man kann meist nicht alles einfahren, was geblüht hat und geworden ist.

Wenn man einen Garten hat mit zehn Obstbäumen und alle tragen Früchte, dann ruft man Verwandte und Bekannte und sagt: nehmt doch davon! Man muss die anderen an seiner Ernte teilhaben lassen. Man muss schauen: wie viel brauche ich tatsächlich? Ich kann nicht zu viele Dinge in mein Leben pferchen. Irgendetwas leidet. Ich habe hundert Ideen, aber ich weiß: irgendetwas kommt zu kurz.

Eine Untersuchung über Beziehungen von Top-Managern hat gezeigt, wie katastrophal die sind. Die sind halt müde und kommen fertig nachhause. Wozu haben die soviel ausgesät?

Was raten sie diesen Menschen? Weglassen?

Es gibt zwei Geheimwörter im Zeitmanagement. Das erste lautet: Aufhören! Wenn jemand zu mir sagt: ich habe keine Zeit, dann antworte ich: dann müssen Sie aufhören! Mit was denn? Das weiß ich nicht. Ich weiß nur: wer keine Zeit hat, muss mit irgendetwas aufhören. Ich gehe dann mit den Leuten ihr Leben durch. Die tun dies und das und oft sagen sie: ja, das kostet Zeit, aber wirklich aufhören damit kann ich nicht. Ich selbst habe mit vielem aufhören müssen, um Zeit für Beziehung und andere Dinge zu haben.

Zum Beispiel Nichts tun?

Und wie! Ich frage die Leute bei Seminaren oft: Können Sie faul sein? Jaja, sagen dann alle. Und was tun sie, wenn sie faul sind? frage ich dann. Lesen, basteln,  fernsehen, …; ja, aber da tun sie ja etwas!

Wir können einfach nicht aufhören, etwas zu tun. Wir haben so viele technische Dinge – smart phones, iPad, Android, … – aber wir genießen diese Dinge nicht. Wir hören nie auf und sind nie mit etwas zufrieden.

Das hat die Menschheit vorangetrieben. Niemals zufrieden sein ist Wesensmerkmal des strebenden Menschen. Wir wären nicht aus den Höhlen gekrochen und hätten nicht Elektrizität und Waschmaschine erfunden, wären wir zufrieden mit dem Erreichten.

Wir haben eine Waschmaschine und das ist gut so. Die Frage ist nur: Warum setze ich mich nicht hin, während die Waschmaschine wäscht, und lese ein Buch?

Weil wir nicht aufhören?

Und somit nie anfangen! Das zweite Geheimwort ist – Anfangen! Es beginnt mit dem Aufhören. Dann habe ich Zeit und kann anfangen nachzudenken: was will ich wirklich? Viele Menschen sagen, sie würden gerne dies und jenes machen, aber – leider, leider – geht es sich nicht aus. Man schiebt sein Leben vor sich her. Wenn man etwas machen will, dann muss man damit anfangen!

Ich frage die Leute: Wo wollen Sie in fünf Jahren sein? Dann bekomme ich als Antwort: ach, das ist ja noch weit weg. Ah, und wie lange ist es her, dass wir vor Y2K Angst gehabt haben? Das ist zehn Jahre her. Wann wurde der Euro eingeführt? Auch schon vor acht Jahren. Heute in fünf Jahren ist ein wesentlich kürzerer Zeitraum.

Vielleicht wissen die Leute nicht, was sie wollen.

Wenn man ein Ziel nicht erreicht, dann war’s vielleicht gar kein Ziel, sondern bloß ein Wunsch. Man hat viele Wünsche, aber nur wenige Ziele. Das, was nach einiger Zeit des Nachdenkens übrig bleibt, definiere ich als Ziel.

Ein jeder Wunsch, der dir erfüllt, zeugt augenblicklich Junge, wie Wilhelm Busch gedichtet hat.

Wenn ich ein Ziel erreicht habe, sagt meine Frau immer: freust du dich denn nicht? Doch, aber jetzt ist das nächste dran. Ich bin immer so gespannt, was kommt als nächstes.

Wie sind die Zeichen der Zeit? Hören die Menschen auf, fangen sie an?

Ich mache das Geschäft seit 24 Jahren. Es hat sich immer etwas geändert und die Menschen sind immer mit Veränderung zurande gekommen. Mir hängen die Aussagen, dass man um seinen Job zittern muss, zum Hals heraus. Das höre ich seit 40 Jahren.

Die Angst um den Job, die grassierende Zukunftsangst, – das ist für Sie offenbar kein Spezifikum unserer Zeit. Steht der Mensch immer vor denselben Herausforderungen?

Der Mensch hat immer schon Angst gehabt. Vor der Natur, vor Göttern, vor dem Mammut, vor dem Generaldirektor. Die Götter sind bloß andere geworden. Vor den Naturgöttern haben wir nicht mehr Angst, dafür aber vor dem Gottobersten der Firma oder den Göttern in Weiß.

Es geht um die Überwindung der Angst?

Das ist die größte Herausforderung. Wenn man in größeren Zeiträumen denkt, minimiert sich die Angst. Man legt Reserven an, was hoffentlich jeder macht – jeder Mensch, jede Firma – und irgendwann kommt die Zeit, wo man diese Reserven braucht. Das ist ja keine Katastrophe. Es gibt eben diese Dürreperioden, diese Zyklen im Leben. Ich kann das Wort „Krise“ nicht mehr hören. Ich höre, Deutschland hat heuer das beste Wirtschaftswachstum seit 1987.

Tja, was machen wir jetzt?

Aufhören!

>> Hier können Sie mit Peter Gall Kontakt aufnehmen:
peter.gall@metacom.com, www.metacom.com

Ein Kommentar zu “„Anfangen! Aufhören!“”

  1. Max Raber sagt:

    Ich finde diesen Artikel inspirierend und anregend zugleich. Toll ist auch, dass diese Artikel auch im druckbaren PDF zur Verfügung gestellt werden. So kann man auch ein 2.3.4. mal davon profitieren. D A N K E !