Wenn es still wird in der Wirtschaft

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Trotz zahlreicher wachstumskritischer Stimmen halten Politik, Wirtschaft und Gesellschaft am Leitbild Wirtschaftswachstum fest. Das kürzlich erschienene Buch „Postwachstumsgesellschaft“ von Irmi Seidl und Angelika Zahrnt stellt Alternativen zur Diskussion. Text von Georg Bauernfeind

Gegen Ende dieses bemerkenswerten Buches finden sich Interviews von Nachhaltigkeits-ExpertInnen der internationalen Szene. Es wir deutlich, dass in Frankreich das Wort „Decroissance“ bereits Synonym einer Bewegung ist, die sich in Guerillaaktionen vor allem gegen die Auswüchse der Werbung richtet und im öffentlichen Diskurs akzeptiert ist. In Großbritannien und den USA spricht man von degrowth, also einem „Nichtwachstum“. Hier wie dort sind in den letzten beiden Jahren Bücher erschienen. Jetzt kommt das Phänomen unter dem Namen „Post-wachstumsgesellschaft“ auf den deutschsprachigen Buchmarkt.

Die Autorinnen beschäftigen sich seit vielen Jahren mit Fragen der nachhaltigen Entwicklung. Irmi Seidl leitet in der Schweiz an der Eidgenössischen Forschungsanstalt Wald, Schnee und Landschaft die Forschungseinheit Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Angelika Zahrnt war von 1998 bis 2007 Vorsitzende des größten deutschen Umweltdachverband BUND. Also solche war sie maßgeblich für die Kampagne „Zukunftsfähiges Deutschland“ verantwortlich, bei der erstmals Umweltschutz-Organisationen und Hilfswerke der Entwicklungszusammenarbeit entschlossen gemeinsame auftraten und für einiges Aufsehen sorgten. Unter anderem deshalb, weil auf den für die Umwelt schädlichen Zusammenhang zwischen Sojaproduktion  in Lateinamerika und Fleischkonsum in Europa aufmerksam gemacht wurde. Da empörten sich die bayrischen Bauernverbände und vereinzelt sogar katholische Bischöfe. Weil: Wenn es um die sprichwörtliche Wurst geht, da lässt man sich nicht dreinreden.

Alles Schnee von gestern, möchte man meinen. Oder eher erst der Anfang. Denn wenn die  Nachhaltigkeitsbewegung  entdeckt, worauf sie letztlich abzielt, dann geht es wirklich ans Eingemachte. Vielen ist das noch nicht bewusst. Weil man unter dem Wort nachhaltig ja auch „nachhaltiges Wirtschaftswachstum“ verstehen kann. Aber da seien Seidl und Zahrnt mit ihrem Buch vor: „Es stellt sich ernsthaft die Frage, weshalb Politik und Wirtschaft weiterhin am ständigen Wirtschaftswachstum festhalten, sprechen doch die Logik der Begrenztheit der Erde, die sicht- und spürbar negativen sozialen und ökologischen Auswirkungen sowie die nicht erfüllte Hoffnung auf Entkoppelung dagegen.“ Es geht ihnen um ein Aufzeigen der tieferliegenden Systemzwänge, die an der Hoffnung „ewiges Wachstum“ festhalten. Und natürlich um ein Andenken von Alternativen.

Kein kleines Unterfangen, sich mit dem Herzen und Heiligtum des herrschenden Systems anzulegen. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass die Erwartungen, die in den letzten Jahrzehnten an das Postulat „Wirtschaftswachstum“ gestellt wurden, nicht erfüllt wurden. Ob Beschäftigungslage, sozialer Ausgleich, Staatsverschuldung oder persönliches Glücksempfinden der BürgerInnen – das große Versprechen wird nicht eingelöst aber dennoch mit aller Kraft verteidigt.

Nach dem Einführungskapitel zeigt ein Blick in die Geschichte, dass nicht immer quantitatives Wachstum dominierte. Was müssen das für Zeiten gewesen sein, in denen Stadträte „große Holzfresser“ in die Wälder verbannten, weil sie – damals noch unberechtigterweise – eine Holznot fürchteten? Es wäre wohl niemand auf die Idee gekommen, die Ansiedlung eines Ressourcenverbrauchers als Erfolg kommunaler Ansiedlungspolitik zu

verkaufen. Und um was für ein Wachstum ging es denn bis ins 19. Jahrhundert hinein? „Die Schönheit der alten Städte entsprang der Orientierung auf qualitatives Wachstum – und die Hässlichkeit der neuen Industriestädte dem ungehemmten quantitativen Wachstum.“ So bringt der Historiker Joachim Radkau seine Überlegungen auf den Punkt.

Es tut dem Buch gut, dass die einzelnen Kapitel von FachexpertInnen verfasst wurden. Das zeigt Respekt vor der Materie. Die Herausgeberinnen lassen das Thema von vielen Seiten beleuchten. Denn es ist klar, dass sich eine Postwachstumsgesellschaft auf alle großen Gesellschaftsbereiche auswirken würde.  Beginnend bei Alterung, Gesundheit, Bildung und Arbeitsmarkt wird der Bogen gespannt,  um dann zu den Kerngebieten des Wirtschaftswachstums vorzudringen. Da geht es um Konsum und Wirtschaft und um die Frage: Wie kann das ohne Wachstum funktionieren? Immer wird versucht, sowohl konkrete Vorschläge und Denkanstöße zu geben, aber dennoch eine Gesellschaftsvision die das Ganze sieht, mitzudenken. Das Gesundheitswesen beispielsweise ist ja eines der letzten großen Wachstumsgebiete. So unglaublich es klingt: Auch Unfälle tragen einen wesentlichen Teil zum BIP bei. Schon deshalb die Frage, ob das BIP wirklich die einzig relevante Bezugsgröße für Entscheidungen darstellen soll. Konkrete Vorschläge, wie etwa Prämiensplitting Modelle bei Sozialversicherungen, zeigen, dass hier ohne Qualitätsverlust eingespart werden könnte. Gleichzeitig geht der Autor Hans Peter Studer weiter und bearbeitet die grundsätzliche Frage nach einem gesunden Leben.

Dass Bildung zu einem großen Thema in der Postwachstumgesellschaft wird, macht Christine Ax deutlich. Sie meint damit aber eine Bildung, in der auch „musische, motorische, handwerkliche, soziale, ästhetische und lebenspraktische Fähigkeiten“ gelehrt werden, die den Menschen reich machen. Wenn der Stellenwert von materiellen Gütern sinkt, dann braucht es einen anderen Schatz. Etwas das uns reich macht, ohne andere Menschen und die Natur arm zu machen.

Und damit zu den Kernthemen: der derzeitige Konsum und die damit verbunden Art des Wirtschaftens hängt ganz entscheidend an den fossilen Energieträgern. Erst diese extrem

praktische Form von Energie, macht Produktion, Transport und Vertrieb so billig. Aber auch nur deshalb, weil die externen Kosten nicht hinein gerechnet werden, wie Schadstoffbelastungen an Luft und Boden. In Relation dazu ist die Arbeitskraft immer teurer geworden. Ein Ausweg aus dem Dilemma besteht für die AutorInnen der zentralen Kapitel in einer Steuerung durch den Staat, bzw. durch die Staatengemeinschaft. „Der Substanzverzehr besteht im Raubbau an den Lebens- und Produktionsgrundlagen, die allen Menschen zustehen: den Gemeingütern.“ Eine Ökonomie der Gemeingüter verlangt daher, dass die Nutzung so begrenzt ist, dass sich diese wieder regenerieren können, oder adäquat ersetzt werden. Beides wird aber derzeit unterlassen. „Auf längere Sicht ist das durch Externalisierung erzielte Wachstum unwirtschaftlich.“ Das wird sich nicht ändern, solange Politik und Wirtschaft am Wachstumsziel festhalten. Oder wie es dann im Kapitel zum Thema „Finanzmärkte und Aufgabe der Banken“ heißt: „Weil die Nutzung des Faktors Natur nach wie vor weitgehend kostenfrei ist, haben wir die heute beobachtbaren ökologischen Probleme.“

Das Finanzkapitel unterbreitet ganz konkrete Vorschläge für einen neuen Ordnungsrahmen, damit das Geld wieder seine ursprüngliche Funktion erfüllen kann. Das ist alles nicht so utopisch – da finden sich wahrscheinlich viele ZeitgenossInnen wieder. Richtig spannend wird es dann noch einmal gegen Ende des Buches. Da geht es um eine ressourceneffiziente Wirtschaftsentwicklung. Da wird ganz nüchtern gerechnet, ob sich das überhaupt ausgehen könnte, den Ressourcenverbrauch bis 2050 weltweit zu halbieren und es zeigt sich: „Wir beobachten seit vielen Jahren einen Zuwachs der Ressourcenproduktivität von 1,5 Prozent.“ Jährlich. Zumindest in Deutschland. Durch Beratungsprogramme, durch Ressourcensteuern wäre da einiges machbar, ist Bernd Meyer, Professor für Volkswirtschaft an der Universität Osnabrück überzeugt. Wenn, ja wenn nur nicht durch die Verhinderung der einen Emissionen, andere entstehen (Reboundeffekt). Das Steueraufkommen könnte insgesamt neutral bleiben, aber Güter mit intensivem Ressourcenverbrauch würden teurer werden. All das wurde schon im MOSUS-Projekt mit dem umweltökonomischen Modell GINFORS berechnet. Das Ergebnis: eine absolute Minderung von Ressourcenverbrauch und CO2 Emissionen wäre möglich – ohne massiven Schaden auf die Volkswirtschaft.

Da müsste also der Staat einen wirklich großen Wurf wagen. Aber wie ist das überhaupt mit dem Staat, wenn dieser auf sein Wachstumspostulat verzichten würde? Tragen die Argumente, dass durch  vermehrtes Wachstum die Staatsschulden vermindert werden können, dass dadurch leichter ein Ausgleich zwischen arm und reich möglich wird? Seidl und Zahrnt verneinen. Im Gegenteil. Sie rechnen auch noch einmal ganz nüchtern: „In Deutschland belaufen sich die umweltschädigenden Subventionen auf 34 bis 48 Milliarden Euro pro Jahr, also auf das vier- bis sechsfache des Einnahmeausfalles, der durch ein ausbleibendes Wirtschaftswachstum im Jahr 2008 entstanden wäre.“ Folglich müssten endlich die externen Kosten des Wirtschaftswachstums in die Bilanz hinein gerechnet werden. Daher noch ein Blick in die Zukunft einer Demokratie, die diesen Namen verdient.  Da macht die Autorin Claudia von Braunmühl vorerst noch Suchbewegungen aus und ist sich dessen bewusst, dass sich ein naturverträglicher Umgang in kleinteiligen, demokratischen Strukturen leichter durchsetzt.

Wie eine zukunftsfähige Gesellschaft aussieht, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Das Buch versteht sich als Diskussionsanstoß. Beim Lesen kommt einem wirklich die Frage, ob es nicht längst Zeit wäre für einen großen Diskurs darüber, ob wir das alles so wollen, was wir angeblich wollen. Also ein Plädoyer für ein Innehalten. Dass es um weit mehr geht, als nur um technische und ökonomische Lösungen, machen die AutorInnen schon durch die Auswahl der Kapitel aufmerksam. Dadurch, dass die Themen Alterssicherungssysteme, Gesundheit, Bildung und Finanzmärkte auf gleicher Ebene behandelt werden. Und für jeden der zwölf Gesellschaftsbereiche werden zum Abschluss auf drei Seiten Thesen für eine Postwachstumsgesell-schaft serviert. Für den Bereich Ressourceneffizienz heißt es da: „Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit sind nur vereinbar, wenn es gelingt, neben das Klimaziel ein explizites Ressourcenverbrauchsziel zu stellen, und wenn diese ökologischen Ziele die ökonomischen dominieren.“ Die Debatte ist eröffnet.

Irmi Seidl und Angelika Zahrnt,(Hg.): Postwachstumsgesellschaft. Konzepte für die Zukunft, Metropolis Verlag, Marburg 2010
Die beiden Autorinnen betreiben
auch einen Blog zum Thema:
www.postwachstum.de

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